Erster therapeutischer Antikörper gegen Alzheimer

Never give up?

25.11.2024, 17:50 Uhr

Zur Behandlung einer milden Form der Alzheimer-Demenz befindet sich der monoklonale Antikörper Lecanemab in der Entwicklung. (Foto: Orawan /AdobeStock)

Zur Behandlung einer milden Form der Alzheimer-Demenz befindet sich der monoklonale Antikörper Lecanemab in der Entwicklung. (Foto: Orawan /AdobeStock)


Antikörper-Wirkstoffe sind aus vielen Therapien kaum noch wegzudenken. Sei es die Behandlung verschiedener Tumore, seien es Autoimmun­erkrankungen oder bestimmte Infektionen. Überall gibt es eine Zielstruktur, die es abzufangen und zu eliminieren oder zu blockieren gilt. Die Wirksamkeit ist sehr oft phänomenal. Bei Morbus Alzheimer wurden die Beta-Amyloid-Ablagerungen als Hauptauslöser der Erkrankung identifiziert. Also eine klare Zielstruktur, die von Antikörpern attackiert werden könnte. Aber warum fehlt bisher der therapeutische Durchbruch trotz etlicher Versuche, einen Antikörper gegen das Beta-Amyloid zu entwickeln?

Ursächlich für den Gedächtnisverlust bei Morbus Alzheimer ist das Absterben von Nervenzellen, das wiederum mit bestimmten Proteinablagerungen in Verbindung gebracht wird. Bereits bei der ersten Alzheimer-Patientin, Auguste Deter, konnten post mortem Protein-Plaques und -Fibrillen im Gehirn detektiert werden.

Die Fibrillen in den Neuronen bestehen aus dem sogenannten Tau-Protein, das normalerweise mit Mikrotubuli-Fasern in den Nervenzellen assoziiert vorliegt. Im Erkrankungsfall kommt es zur Hyperphosphorylierung des Tau-Proteins und zur Konformationsänderung, was schließlich zu den beobachteten Fibrillen und Knäueln führt.

Die Plaques entstehen aus Beta-Amyloid-Peptiden (Aβ), die ihrerseits Teile des Amyloid-Precursorproteins (APP) sind. APP ist ein transmembranäres Glykoprotein, das nacheinander durch die Enzyme β- und γ-Sekretase geschnitten wird. Dabei entstehen verschieden lange Aβ-Peptide, von denen Aβ40 und Aβ42 die wichtigsten für die Pathogenität sind. Der hydrophobe C-Terminus von Aβ42 sorgt für die Konformationsänderung des Proteins und die Aggregatbildung. Aggregierte Aβ-Peptide beeinflussen über unterschiedliche Wege, wie Entzündungsprozesse im Nervengewebe und oxidativen Stress in den Zellen, die Überlebensfähigkeit der Neuronen. Der Gedanke war also naheliegend: Könnte die Menge an Amyloid-Plaques reduziert werden, könnte auch das Ab­sterben der Nervenzellen reduziert und so vielleicht das Fortschreiten der Erkrankung gestoppt werden. Hier könnten Antikörper eingesetzt werden.

Tab.: An der Entwicklung von Antikörpern gegen Alzheimer wird seit vielen Jahren geforscht [www.alzforum.org/therapeutics]
AntikörperMolekültypEntwicklungsstandBindestelle
Bapineuzumabhumanisiert, IgG12012 Phase-III-Studie abgebrochen5-N-terminale Aminosäuren des helikalen Amyloid β, sowohl gegen lösliche Oligomere als auch fibrilläre Amyloid-β-Ablagerungen
Solanezumabhumanisiert, IgG12023 eingestelltmittlere Domäne des löslichen, monomeren, nicht-fibrillären Amyloid β
Crenezumabhumanisiert, IgG42019 Phase-III-Studien abgebrochenmittlere Domäne des fibrillären Amyloid β
Gantenerumabhuman, IgG1

2022 Phase-III-Studie erfolglos

2023 eingestellt

Konformations-Epitop aus N-Terminus und mittlerer Domäne des fibrillären Amyloid β
Aducanumab (Aduhelm®)human, IgG12021 FDA-Zulassung, Ende 2024 zurückgezogengegen lösliche Oligomere und fibrilläres Amyloid β
Lecanemab (Leqembi®)humanisiert, IgG1

2023 FDA-Zulassung

2024 Zulassungsempfehlung durch die EMA

Amyloid-β-Protofibrillen
Donanemab (Kisunla®)humanisiert, IgG12024 FDA-ZulassungAmyloid-β-Plaques

Entwicklung der therapeutischen Antikörper

Seit über 20 Jahren entwickeln verschiedene Firmen Antikörper gegen unterschiedliche Formen des Aβ-Proteins (s. Tab.). Ziel ist, dass die entstandenen Antikörper-Aβ-Komplexe von Mikrogliazellen abgebaut und Zytokine freigesetzt werden. Die meisten sind humanisierte IgG1-Moleküle (s. Tab.), wurden also ursprünglich in Mäusen generiert und dann gentechnisch so modifiziert, dass nur noch die hochvariablen Antigenbindedomänen aus murinen Sequenzen bestehen. Ca. 70% unserer IgG-Antikörper im Blut gehören zum Subtyp IgG1, während IgG4-Moleküle nur zu ca. 5% vorhanden sind. IgG1-Antikörper haben im Gegensatz zu IgG4 eine hohe Affinität zu Fc-Rezeptoren auf Immunzellen und lösen dadurch eine relativ starke Immunantwort aus. Die Bindestellen und auch die Affinitäten der Antikörper zu den Amyloid-β-Varianten unterscheiden sich (Abb. 1).

 Abb. 1: Die Kaskade der Aβ-Plaques Wird das Amyloid-Vorläufer-Protein nacheinander durch die β- und γ-Sekretase geschnitten, entstehen zunächst Amyloid-β-Monomere, die nach Konformationsänderung zu Oligomeren und schließlich zu Fibrillen und Plaques aggregieren. Antikörper gegen β-Amyloid können an verschiedenen Stellen des Proteins binden, hier am Beispiel der in den USA zugelassenen Antikörper Lenacemab und Donanemab gezeigt.

Trotzdem einzelne Zulassungen

Trotz der insgesamt eher uneindeutigen Studienergebnisse war Aducanumab seit 2019 auf dem US-Markt als Aduhelm zugelassen, und auch Donanemab ist als Kisunla in den USA verfügbar. Die Bewertung von Donanemab durch die EMA steht noch aus und wird für das Frühjahr 2025 erwartet. Donanemab wird alle vier Wochen intravenös verabreicht und zeigte in der Zulassungsstudie eine zu Lecanemab vergleichbare Wirksamkeit. Der Antikörper Lecanemab ist nicht nur in den USA, sondern auch in Japan, China, Südkorea, Großbritannien und Israel als Leqembi auf dem Markt. Die EMA hat sich bisher zurückgehalten, Antikörper gegen Aβ-Plaques zur Zulassung zu empfehlen. Das hat sich jetzt mit Lecanemab geändert. In einer ersten Bewertung im Juli dieses Jahres hatte das Expertengremium eine ablehnende Einschätzung abgegeben. Nachdem der Hersteller weitere Daten mit einer genaueren Subgruppenanalyse vorgelegt hatte, wurde der initiale Negativbescheid revidiert und die Zulassung des Antikörpers für eine bestimmte Patientengruppe empfohlen.

Welche Einschränkungen gelten?

Lecanemab darf nur bei Patienten im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung angewendet werden, die keine oder nur eine Kopie des ApoE4 aufweisen: Es muss also vor Therapiebeginn ein entsprechender Gen-Test durchgeführt werden. Eine weitere Vorgabe der EMA sind regelmäßige MRT-Scans vor Therapiebeginn sowie vor der 5., 7. und 14. Dosis. Weitere MRT-Untersuchungen sollten vorgenommen werden, sobald die Patienten über Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Schwindel, Sehstörungen, Übelkeit und Schwierigkeiten beim Gehen klagen. Außerdem dürfen die Patienten keine Antikoagulanzien einnehmen, und ein erhöhter Blutdruck muss gut eingestellt sein. All diese Vorsichtsmaßnahmen zielen darauf ab, ARIA mit den gefürchteten Hirnödemen oder -blutungen zu vermeiden. Insgesamt können wahrscheinlich nur 10 Prozent der Alzheimer-Patienten eine Lecanemab-Therapie erhalten; sie müssen zudem in ein Register aufgenommen und beobachtet werden, um die Wirksamkeit des Antikörpers langfristig abschätzen zu können.

Welche Wirkungen sind zu erwarten?

Auch die Antikörper gegen Amyloid-β-Plaques können Morbus Alzheimer nicht heilen! Durch die Therapie kann jedoch das Fortschreiten der Erkrankung um ca. sechs Monate hinausgezögert werden. Erstaunlicherweise war bei Männern nicht nur die Abnahme der Aβ-Plaques zu beobachten, sondern auch ein besseres Ergebnis in den kognitiven Tests im Vergleich zu Placebo: Bei Männern verlangsamte sich der Krankheitsverlauf um 43 Prozent, bei Frauen nur um 12. Es könnte also sein, dass Frauen weniger von der Therapie profitieren.

Warum lässt die FDA schneller Antikörper gegen Aβ-Plaques zu?

Die EMA empfiehlt die Zulassung neuer Arzneimittel für Europa, wo das Gesundheitswesen über Solidarsysteme finanziert wird. Deshalb richtet sich ein Entscheid für einen neuen Wirkstoff nicht allein nach Nutzen und Risiko, sondern auch in einem gewissen Umfang nach den Kosten für die Therapie. In Großbritannien wurde Lecanemab zwar zugelassen, allerdings werden dort die Kosten nicht vom staatlichen Gesundheitsservice übernommen. Auch in den USA werden sicherlich die Behandlungskosten den Markt regeln. Allein der Wirkstoff schlägt mit ca. 26.000 Euro pro Jahr zu Buche. Dazu kommen noch die Kosten für die nötigen MRT-Untersuchungen, um frühzeitig Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien zu entdecken. In Austra­lien haben sich die Behörden wegen der hohen Therapie­kosten bei zu geringer Wirksamkeit gegen die Zulassung des Medikaments entschieden.

Warum haben wir noch keine guten Arzneimittel gegen Alzheimer?

Man könnte meinen, dass mittlerweile so viel Forschung in die Erkrankung und die Entwicklung von Wirkstoffen gegen Morbus Alzheimer gesteckt wurde, dass inzwischen ein wirksames Medikament verfügbar sein sollte. Aber es ist kompliziert! Nach wie vor ist nicht exakt geklärt, was tatsächlich ursächlich für die Erkrankung verantwortlich ist. Anscheinend reicht es nicht aus, nur die Aβ-Plaques zu verringern. Besser wäre es wahrscheinlich, an mehreren Stellen des Pathomechanismus einzugreifen, wobei sich da die Frage stellt, an welchen?

Um ursächlich die Erkrankung zu verhindern, wäre es sicher sinnvoll, frühzeitig mit einer Therapie zu beginnen. Wann wäre hierfür der geeignete Zeitpunkt? Müssen dafür dann breit angelegte (und teure) Screenings durchgeführt werden?

Die bisherigen Studien für Medikamente gegen Morbus Alzheimer wurden auf ca. 18 Monate ausgelegt. Reicht dieser Zeitraum aus, um die Wirksamkeit eines Arzneistoffs nachzuweisen? Sind die in der Studie definierten Endpunkte hinreichend aussagekräftig, um das Fortschreiten der Erkrankung tatsächlich bewerten zu können?

Abb. 2: Anteil der beeinflussbaren Risikofaktoren für eine Demenz (nach Livingston et al. [2]).

Ist Leqembi ein Durchbruch?

Bei aller Euphorie darüber, dass nun auch die EMA die Zulassung für einen Antikörper gegen Aβ-Plaques empfohlen hat, bleibt die Ernüchterung, dass die mit dem Antikörper erzielten Effekte bei der kleinen, ausgewählten Gruppe an Alzheimer-Patienten eher gering ausfallen: Nach den bis­herigen Daten gewinnen die Patienten ein halbes Jahr, das jedoch verbunden ist mit intravenösen Infusionen, die alle zwei Wochen verabreicht werden müssen, und wiederkehrenden MRT-Untersuchungen. Mit den ganzen Einschränkungen und Auswahlkriterien könnte es in Deutschland etwa 800 Patienten pro Jahr betreffen, die in den Genuss einer Therapie kommen könnten. Nach wie vor ist nicht klar, wie lange eine Therapie mit Lecanemab durchgeführt werden soll und auch sinnvoll ist.

Solange eine wirksame Therapie der Alzheimer-Erkrankung nicht verfügbar ist, bleibt uns als beste Maßnahme, einer Demenz vorzubeugen. In einer kürzlich veröffentlichten Analyse der sogenannten Lancet-Commission werden 14 beeinflussbare Risikofaktoren identifiziert, mit deren Berücksichtigung man einer Demenz vorbeugen kann (Abb. 2). Vielleicht ist das eher der Durchbruch?

Literatur

Livingston G, Huntley J, Liu KY et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet 2024;404:572-628

van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P et al. Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. N Engl J Med 2023;388:9-21

www.alzforum.org/therapeutics

Zhang J, Zhang Y, Wang J et al. Recent advances in Alzheimer’s disease: mechanisms, clinical trials and new drug development strategies. Signal Transduct Target Ther 2024;9:211


 


Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie der Uni Frankfurt, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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