Synthetische Cannabinoide

Polizei warnt vor „Baller-Liquid“

28.10.2024, 16:45 Uhr

Synthetische Cannabinoide werden heutzutage vermehrt in Vapes und e-Liquids verkauft. (Foto: fotofabrika/AdobeStock)

Synthetische Cannabinoide werden heutzutage vermehrt in Vapes und e-Liquids verkauft. (Foto: fotofabrika/AdobeStock)


Synthetische Cannabinoide wie „Baller-Liquid“ werden teilweise offen über Onlineshops vertrieben. Der Gesetzgeber zieht jährlich nach und unterstellt neue Stoffe oder ganze Stoffklassen dem NpSG. Dann beginnt das Katz-und-Maus-Spiel von neuem. 

Seit etwa 2004 kursieren auf dem europäischen Drogenmarkt die ersten synthetischen Cannabinoide (SC) [1]. Was als legale und unbedenkliche Cannabisalternative vermarktet wurde, stellte sich in der Zwischenzeit als teilweise unkalkulierbar und gefährlich heraus. Seit 2016 gilt daher das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG), das den Umgang mit neu entwickelten synthetischen Drogen reguliert. Immer wieder synthetisieren Untergrundchemiker neue Substanzen, die an bestimmten Rezeptoren (z. B. Cannabinoidrezeptoren, CBR) eine psychoaktive Wirkung auslösen. Da diese Wirkstoffe neu und zunächst nicht illegal sind, erwecken sie bei jungen Konsumenten einen harmlosen Eindruck. Jedes Jahr zieht der Gesetzgeber nach und unterstellt neue Stoffe oder ganze Stoffklassen dem NpSG und das Katz-und-Maus-Spiel beginnt von neuem.

Polizei warnt vor synthetischen Cannabinoiden
in e-Liquids und Vapes

Eine kürzlich erschienene Pressemeldung der Polizei Emsland [2] warnt vor Drogen mit den Szenenamen „Görke“ oder „Baller-Liquid“. Auch hierbei handelt es sich um synthetische Cannabinoide. Während die Substanzen zu Beginn ihres Aufkommens häufig in Kräutermischungen verkauft wurden, finden sie sich heute vermehrt in e-Liquids und Vapes. Diese werden teilweise offen über Onlineshops vertrieben, sie sind schließlich nicht illegal. Dafür aber umso gefährlicher, wie die Liste der tödlichen Überdosen der letzten Jahre zeigt. Eine retrospektive Auswertung dokumentierte zwischen 2014 und 2020 allein im Raum München mindestens 98 Todesfälle, bei denen synthetische Cannabinoide involviert waren. In 51 % der Fälle galten synthetische Cannabinoide als Verursacher, in 26 % trugen auch andere Substanzen zum Verlauf bei und in 23 % wurde die Beteiligung von synthetischen Cannabinoide als unbedeutend bewertet. Hier zeigt sich auch die Vielfalt der synthetischen Cannabinoide. Forensische Toxikologen wiesen in den Proben der Verstorbenen 41 verschiedene Substanzen nach [3 bis 5]. Hinter „Görke“ können sich also verschiedene Stoffe oder Mischungen verstecken.

Hintergrund synthetische Cannabinoide

Heute auf dem Markt befindliche synthetische Cannabinoide tragen kryptische Kürzel wie 4F-ABUTINACA, ADB-HEXINACA oder 5F-MDMB-PICA. Bisher wurden über 200 synthetische Cannabinoide auf dem europäischen Markt nachgewiesen, jedes Jahr kommen neue hinzu [6, 7]. Sie alle sind Agonisten für Rezeptoren des Endocannabinoidsystems, über die auch Δ9-THC, der Hauptwirkstoff von Cannabis, seine psychoaktive Wirkung entfaltet. Bei THC handelt es sich um einen partiellen CBR-Agonisten, viele synthetische Cannabinoide dagegen sind Vollagonisten. Die Affinität vieler künstlicher Cannabinoide zu CBR ist zudem deutlich höher als die von THC. Damit sind die erwünschten, cannabisähnlichen Effekte wie Entspannung und ein Wohlgefühl oft intensiver. Gleiches gilt aber auch für die unerwünschten Nebenwirkungen. Auf neurologischer Ebene können Halluzinationen, Panikattacken, Krämpfe, Suizidgedanken und psychotische Symptome auftreten. Viele synthetische Cannabinoide wirken auch auf das kardiovaskuläre System und können Herzrasen, Arrhythmien, Blutdruckschwankungen und in Extremfällen Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen. Da synthetische Cannabinoide meist inhalativ konsumiert werden, treten oft Wirkungen in der Lunge auf und auch Fälle von Leber- und Nierenversagen sind bekannt. Bei regelmäßigem Konsum machen synthetische Cannabinoide abhängig. Der Entzug wird begleitet von Ruhelosigkeit, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Übelkeit, Zittern und Albträumen [8, 9].

NPsG verfehlt Ziel 

Das NpSG wurde zuletzt im Juni dieses Jahres erweitert. Es beschreibt die Kernstrukturen, mögliche Seitenketten und Brücken der Moleküle. Als Kernstrukturen synthetischer Cannabinoidrezeptoragonisten sind bisher Indole, Pyrazole, 4-Chinolone, 3-Sulfonylamidobenzoesäure und 6H-Benzo(c)chromen-1-ole reguliert [10]. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit bis kreative Chemiker in China und Indien, die sich das Geschäft mit dem Rausch nicht entgehen lassen möchten, neue Strukturen entwickeln, die CBR aktivieren. Neue Stoffe von unbekannter Potenz, mit unbekannten Nebenwirkungen. Aus gutem Grund betrachten manche Fachleute das NpSG kritisch. In einer Publikation im Fachjournal Clinical Toxicology kommen Toxikologen, Mediziner und Vertreter von Giftinformationszentren zu dem Schluss, das Hauptziel des NpSG, Aufkommen und Verbreitung neuer chemischer Variationen bekannter Drogen zu unterbinden, sei verfehlt worden [11, 12].

Was „Görke“ angeht, handelt es sich wahrscheinlich um ein vorübergehendes Phänomen in der dynamischen Welt der neuen psychoaktiven Substanzen. Spätestens in einigen Jahren werden Mediziner, Ermittlungsbehörden und besorgte Eltern wegen neuer unbekannter Drogen Alarm schlagen.

 

Literatur

[1] Auwärter V et al ‘Spice’ and other herbal blends: harmless incense or cannabinoid designer drugs? J. Mass Spectrom 2009;44 (5):832–837, DOI: 10.1002/jms.1558

[2] Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim. POL-EL: Polizei Emsland Grafschaft Bentheim warnt vor gefährlicher Droge "Görke" in E-Zigaretten, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/104234/5874230

[3] Simon G et al. Fatal Overdose with the Cannabinoid Receptor Agonists MDMB-4en-PINACA and 4F-ABUTINACA: A Case Report and Review of the Literature. Toxics 2023:11 (8);673, DOI: 10.3390/toxics11080673

[4] Giorgetti A et al. Detection of AP‐237 and synthetic cannabinoids on an infused letter sent to a German prisoner. Drug Testing and Analysis 2022;14 (10):1779–1784, DOI: 10.1002/dta.3351

[5] Giorgetti A et al. ADB‐HEXINACA—a novel synthetic cannabinoid with a hexyl substituent: phase I metabolism in authentic urine samples, a case report and prevalence on the German market. Drug Testing and Analysis 2024;DOI: 10.1002/dta.3657

[6] Publications Office of the European Union. Synthetic cannabinoids in Europe. A review; Technical report; 2021

[7] Choi H et al. Identification of a novel bromoindazole synthetic cannabinoid analogue in seized e-cigarette liquid: ADB-BRINACA. Forensic Science International 2022;338:111385, DOI: 10.1016/j.forsciint.2022.111385

[8] Roque-Bravo R et al. Synthetic Cannabinoids: A Pharmacological and Toxicological Overview. Annu Rev Pharmacol Toxicol 2023;63(1);187–209, DOI: 10.1146/annurev-pharmtox-031122-113758

[9] Hasan M et al. Synthetic Cannabinoids-Related Cardiovascular Emergencies: A Review of the Literature. Cureus 2023, DOI: 10.7759/cureus.41929

[10] Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz:NpSG

[11] Halter S et al. Impact of legislation on NPS markets in Germany – The rise and fall of 5F‐ADB. Drug Testing and Analysis 2020;12(6):853–856, DOI: 10.1002/dta.2786

[12] Sommer M et al. Effect of new legislation in Germany on prevalence and harm of synthetic cannabinoids. Clinical Toxicology 2022;60(10):1130–1138, DOI: 10.1080/15563650.2022.2095282


Ulrich Schreiber, MSc Toxikologie, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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