Künstliche Intelligenz (KI)

Chemie-Nobelpreis für rechnergestütztes Proteindesign

10.10.2024, 10:30 Uhr

Die Preisträger 2024: David Baker (USA) sowie Demis Hassabis und John Jumper, die in Großbritannien bei der Google-Tochter DeepMind arbeiten. (Foto: IMAGO/TT)

Die Preisträger 2024: David Baker (USA) sowie Demis Hassabis und John Jumper, die in Großbritannien bei der Google-Tochter DeepMind arbeiten. (Foto: IMAGO/TT)


Mit Künstlicher Intelligenz die Struktur von Proteinen vorhersagen und solche komplexen Moleküle zusammenbauen: Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger haben das Feld der Proteinforschung revolutioniert. Die Auszeichnung geht zu einer Hälfte an David Baker (USA), zum anderen Teil an Demis Hassabis und John Jumper, die in Großbritannien bei der Google-Tochter DeepMind arbeiten.

Proteine steuern nahezu alle Prozesse in Zellen. Ihre Funktion hängt maßgeblich von ihrer dreidimensionalen Struktur ab, der sogenannten Faltung. David Baker (USA, 62) erhält den diesjährigen Chemie-Nobelpreis für rechnergestütztes Proteindesign, Demis Hassabis und John Jumper erhalten ihn für die Vorhersage der Faltung von Proteinen durch Künstliche Intelligenz (KI).

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Hassabis (48) und der 1985 geborene Jumper hätten ein KI-Modell entwickelt, um ein jahrzehntealtes Problem zu lösen: die Vorhersage der Strukturen von Proteinen, hieß es vom Nobelkomitee. Jumper zählt zu den wenigen Chemie-Nobelpreisträgern, die bereits vor ihrem 40. Lebensjahr mit der Auszeichnung geehrt werden. Der bislang jüngste Preisträger war im Jahr 1935 der damals 35-jährige Frédéric Joliot-Curie. 

Vom Schachmeister zum Proteinzauberer

Hassabis, der schon als Vierjähriger Schach spielte und mit 13 Jahren Schachmeister wurde, programmierte als Jugendlicher Computerspiele und wandte sich dann der Künstlichen Intelligenz zu. 2010 gründete er das Unternehmen DeepMind mit, das KI-Modelle für Brettspiele wie Go entwickelte und 2014 an Google verkauft wurde. DeepMind erregte unter anderem Aufsehen, als die KI Go-Champions besiegte.

Danach begann Hassabis mit seinem Team, an der KI-gestützten Vorhersage von Proteinstrukturen zu arbeiten. Das Ergebnis von Hassabis' Forschung war das erste KI-Modell „AlphaFold“, das Proteinstrukturen mit einer Genauigkeit von fast 60 % vorhersagte. Verbessert wurde es, als Jumper 2017 zum Unternehmen stieß. Gemeinsam leiteten er und Hassabis die Arbeit, die das KI-Modell grundlegend reformierte.

„Das neue, KI-basierte Werkzeug hat zunächst einen Schock ausgelöst“

2020 präsentierte das Team „AlphaFold2“. Diese Version nutzt neuronale Netzwerke, um die Faltung von Proteinen anhand ihrer Aminosäurenabfolge vorherzusagen. Das Programm schneidet dabei fast so gut ab wie die Röntgenkristallographie, die fünf Jahrzehnte lang das gängigste, aber aufwändige Werkzeug für die Erstellung von Bildern verschiedener Proteine war. 

„Das neue, KI-basierte Werkzeug hat zunächst einen Schock ausgelöst“, sagte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Patrick Cramer. „Zehntausende Forscher haben ihre ganze Karriere damit verbracht, Proteinstrukturen zu ermitteln oder Wege zu finden, diese vorherzusagen“, sagte der Molekularbiologe. „Nun ist die Vorhersage mit einem Schlag gelungen.“

Immens gesteigerte Geschwindigkeit

Mit Hilfe von „AlphaFold 2“ lasse sich aus der DNA oder der Abfolge von Aminosäuren sehr schnell die 3D-Struktur vorhersagen. Davor war das anders: „Ich habe während meiner Doktorarbeit ganze zwei Proteinstrukturen ermittelt“, erinnert sich Cramer. „Die KI hat die Regeln gelernt, nach denen die Natur Proteine faltet.“ Das sei mithilfe von rund 200.000 experimentell von Forschern bestimmten Proteinstrukturen gelungen. „Der Beitrag der weltweiten Forschercommunity war, über 50 Jahre lang diese Strukturen zu bestimmen und zu sammeln. So schufen sie eine Basis für das Training der KI.“

Inzwischen hat Google DeepMind „AlphaFold 3“ vorgestellt, das noch effizienter und genauer arbeitet. „Es ist eine Technologie, die die Lebenswissenschaften revolutioniert. Strukturen der Proteine werden verlässlich vorhergesagt und Veränderungen der Proteine, die Krankheiten zugrunde liegen, können schneller interpretiert werden“, erklärte MPG-Präsident Cramer.

Proteine aus dem KI-Baukasten

Neben der möglichst exakten Beschreibung blieb auch die Schaffung neuer Proteine lange Zeit nur ein Wunschziel chemischer Forschung – bis zur Arbeit von Baker. Der Biochemiker entwickelte an der University of Washington in Seattle Ende der 1990er Jahre die Software „Rosetta“ zur Vorhersage der Faltung von Proteinen.

Gemeinsam mit seinem Team kam Baker auf die Idee, das Programm umgekehrt zu nutzen: Anstatt Aminosäureabfolgen einzugeben und Proteinstrukturen zu erhalten, sollte es möglich sein, eine gewünschte Proteinstruktur einzugeben und Vorschläge für die Aminosäureabfolge zu erhalten. Das Ergebnis waren völlig neue, am Computer geschaffene Proteine.

Solche Proteine mit neuen Funktionen können zu „neuen Nanomaterialien, zielgerichteten Pharmazeutika, einer schnelleren Entwicklung von Impfstoffen, kleinsten Sensoren und einer umweltfreundlicheren chemischen Industrie führen – um nur einige Anwendungen zu nennen, die zum größten Nutzen der Menschheit sind“, hieß es vom Nobelkomitee. 


dpa


Deutsche Apotheker Zeitung
redaktion@daz.online


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