Coaching

Wenn Arbeit und Freizeit verschwimmen

Stuttgart - 11.09.2024, 07:00 Uhr

Ständige Erreichbarkeit - das ist für viele Arbeitnehmer inzwischen Normalität. Foto: IMAGO/Imagebroker

Ständige Erreichbarkeit - das ist für viele Arbeitnehmer inzwischen Normalität. 
Foto: IMAGO/Imagebroker


Während in früheren Zeiten die Arbeit strikt vom Privatleben getrennt wurde und seit einigen Jahren im Sinne der Work-Life-Balance im besten Fall eine Balance gebildet hat, verschwimmen heutzutage in vielen Betrieben diese Grenzen. Das hat nicht nur Vorteile.  

Im Rahmen der Berichterstattungen um New Work fällt auch zunehmend der Begriff „Work-Life-Blending“ (Blend = engl. Mischung, Gemisch). Es geht dabei um die Verschmelzung von Privatleben und Arbeit. Ermöglicht wird dies durch neue Technologien und dem Wunsch zur Selbstbestimmung. Work-Life-Blending kann somit als gegensätzliches Konzept zur Work-Life-Balance angesehen werden. 

Dass Privates und Berufliches verschwimmen ist von Betrieben teils gewollt und Bestandteil einer modernen Firmenpolitik, teils passiert diese Vermischung aber auch nicht gänzlich bewusst. So gibt es einerseits Bestrebungen, dem Work-Life-Blending mit familien- und freizeitfördernden Maßnahmen entgegenzuwirken, zum anderen gibt es Firmen, die mit einer familienartigen Struktur um Mitarbeiter werben und regelmäßig sogar gemeinsame „Workations“ abhalten – eine Mischung aus Arbeit und Urlaub.  

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Welche Vorteile gibt es?

Ein Vermischen der Bereiche Arbeit und Freizeit kann dabei einige Vorteile bringen. Befürworter des Konzepts weisen darauf hin, dass sich die Flexibilität sowohl für die Arbeitgeberseite als auch für die Arbeitnehmerseite erhöhe. Die beiden Lebensbereiche werden somit nicht als Gegensätze angesehen, sondern sollen sich sinnvoll ergänzen. Das kann ganz verschiedene Ausmaße annehmen.   
Ein Apothekenleiter hat hierbei bessere Möglichkeiten als die Mitarbeitenden der Apotheke. 

Während Inhaber und Inhaberinnen die volle Freiheit besitzen, zu welcher Zeit und an welchem Ort sie private oder geschäftliche Arbeiten erledigen, ist es bei den Optionen der Mitarbeitenden etwas komplizierter. Um keinen Raum für Unsicherheiten oder gar Konflikte zu schaffen, müssen Absprachen getroffen und Regeln festgelegt werden, welche privaten Angelegenheiten während der Arbeitszeit in welchem Umfang erlaubt sind. Ist es vielleicht sogar möglich, die Apotheke während der Arbeitszeit für private Termine oder familiäre Verpflichtungen kurzzeitig zu verlassen ohne einen oder einen halben Tag frei nehmen zu müssen? Wechselseitiges Vertrauen ist dabei unerlässlich. 

Beispiele für Work-Life-Blending

  • Lesen und Beantworten beruflicher Mails und Chat-Nachrichten in der Freizeit 
  • Bearbeiten von Aufgaben am Feierabend oder Wochenende 
  • Teilnahme an Teammeetings oder beruflich bedingten Fortbildungsveranstaltungen am Feierabend, Wochenende oder Urlaub 
  • Berufliche Telefonate in der Freizeit 
  • Die Arbeitsstelle verlassen, um einzukaufen 
  • Später an den Arbeitsplatz kommen, um Kinder in die Schule zu bringen 
  • Homeoffice 
  • pausieren, um den Haushalt zu  erledigen oder Termine wahrzunehmen 
  • Gemeinsame „Workations“

Die Umsetzung muss durchdacht sein. Gerade in einer öffentlichen Apotheke mit festgelegten Öffnungszeiten und Kundenverkehr kann es herausfordernd werden dies umzusetzen. Zusätzlich sind allgemein die Möglichkeiten des Work-Life-Blendings in Apotheken begrenzter als beispielsweise in klassischen Bürojobs. Homeoffice ist nicht überall oder nur in geringem Ausmaß möglich. Die meisten Aufgaben aus der Apotheke können nicht von zu Hause aus erledigt werden. Somit gelingt die Zuordnung, was Arbeitszeit und was Freizeit ist, hier einfacher als eben in den klassischen Bürojobs mit Homeoffice.

Ob „Privates“ am Arbeitsplatz überhaupt wirklich erstrebenswert ist, muss jeder Inhaber und jede Inhaberin individuell entscheiden. Können private Telefonate und Nachrichten – abgesehen von Notfällen – wirklich nicht in die Pausen gelegt werden? Und stören die Unterbrechungen nicht die Konzentration? Dazu gibt es zu bedenken, dass private Kommunikation ohnehin nur im Backoffice stattfinden sollte – natürlich außerhalb des Kundenkontakts.

Insgesamt kann das Work-Life-Blending eine Gratwanderung darstellen, etwa wenn die Arbeit in der Apotheke leidet, oder wenn übermäßig private Aufgaben erledigt und privat kommuniziert wird. Auf der anderen Seite gilt das aber auch, wenn das Beantworten beruflich bedingter E-Mails und Nachrichten in Gruppenchats, wie WhatsApp, an freien Tagen oder nach Feierabend überhandnimmt, oder wenn beruflich bedingte Fortbildungsmaßnahmen ausschließlich in der Freizeit stattfinden (sollen) ohne jeglichen Ausgleich.

Gerade für die jungen Generationen, für die ein Austausch über moderne Kommunikationswege selbstverständlich ist, wird die Vermischung von privaten und beruflichen Nachrichten in der Freizeit weniger ein Problem darstellen. So bringt es doch den Vorteil, ebenfalls während der Arbeitszeit private Nachrichten zu beantworten.

Auch Menschen, die nicht zwischen den beiden Faktoren „Job“, als vermeintlich kräftezehrende Arbeitswelt, und „Leben“, als das stets erholsame Privatleben, unterscheiden möchten und eine Vermengung aus beidem als „zu ihrem Leben gehörend“ ansehen, werden von der unscharfen Trennung dieser Lebensbereiche profitieren. Gerade bei Personen, die ihre Arbeit als sehr sinnstiftend und erfüllend empfinden, kann das der Fall sein. 

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Wie steht es um die Work-Life-Balance?

Ständige Erreichbarkeit stresst  

Trotzdem wird es immer Apothekenmitarbeitende geben, die sich von einer möglichen ständigen Erreichbarkeit nach Dienstschluss überfordert oder gestresst fühlen. Vor allem für Menschen, die schlecht „Nein“ sagen oder sich nur unzureichend von beruflichen Belangen abgrenzen und das Handy auch mal klingeln lassen können, kann ein Work-Life-Blending belastend sein. Viele Angestellte befinden sich so in ständiger Habachtstellung und einer Art „Rufbereitschaft“ in ihrer Freizeit. Die gearbeiteten Stunden daheim werden dazu oftmals nicht notiert, so dass Überstunden anfallen, die aber weder abgefeiert noch vergütet werden.

Da der überwiegende Großteil an Apothekenmitarbeitern kein Firmenhandy besitzen wird, kann es zudem schwierig sein, Nachrichten in der apothekeneigenen WhatsApp-Gruppe auf dem privaten Handy zu ignorieren.

Gegner des Work-Life-Blendings führen deshalb an, dass notwendige Erholungs- und Regenerationsphasen gestört werden können. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Entspannung der Mitarbeitenden, sondern kann im Privatleben auch zu Konflikten führen, wenn etwa Störungen im Urlaub zum Normalfall werden. Apothekeninhaber sollten sich darum gut überlegen und auch genau definieren, wie weit ein angestrebtes Work-Life-Blending gehen darf, ohne Gefahr zu laufen, dass es zum Wegbereiter für Burn-outs der Mitarbeiter wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Apothekeninhaberinnen sorgfältig überlegen müssen, in wie weit sie einem Work-Life-Blending Einzug in den Apothekenalltag und die Freizeit ihrer Mitarbeitenden gewähren sollen. Sie sollten sich fragen, ob das Konzept unterm Strich möglicherweise mehr schaden als nützen könnte. Erfahrungsgemäß wird mehr Berufliches das Private erreichen als umgekehrt. Es besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter ausgenutzt werden oder sich selbst ausbeuten. Die Apothekengewerkschaft Adexa riet aus diesem Grund bereits vor einigen Jahren dazu, äußerste Vorsicht in Bezug auf das Work-Life-Blending in der Apotheke walten zu lassen. Nicht zuletzt, da die Auswirkungen auf die Mitarbeitergesundheit und die Arbeitseffektivität erheblich sein können.
 

Literatur 


Nissen, R, Gabler Wirtschaftslexikon: Humanisierung der Arbeit, Gabler Wirtschaftslexikon, abgerufen am 26.07.2024 
Madel, M, Deutsche Apotheker Zeitung (2015): Work-Life-Blending statt Work-Life-Balance, abgerufen am 26.07.2024 
Freudenfeld, M, Dr. Joachimsthaler, S.: Deutsche Apotheker Zeitung (2015): Work-Life-Blending, abgerufen am 26.07.2024 
Joachimsthaler, S: Deutsche Apotheker Zeitung (2015): Schöne neue Welt oder Selbstausbeutung? abgerufen am 26.07.2024 
Warkentin, N: Karrierebibel (2023): Work-Life-Blending: Bedeutung, Vor- & Nachteile + Tipps, abgerufen am 26.07.2024


Michaela Theresia Schwarz, Apothekerin, PTA, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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