Posttraumatische Belastungsstörung

Chancen und Risiken einer MDMA-gestützten Psychotherapie

Berlin - 30.10.2023, 09:15 Uhr

Die Trauma-fokussierte Psychotherapie gilt als Goldstandard in der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Welchen Stellenwert MDMA künftig einnehmen wird, bleibt spannend. (Foto: loreanto/AdobeStock)

Die Trauma-fokussierte Psychotherapie gilt als Goldstandard in der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Welchen Stellenwert MDMA künftig einnehmen wird, bleibt spannend. (Foto: loreanto/AdobeStock)


MDMA, das auch als „Ecstasy“ bekannt ist, unterstützt die Psychotherapie von Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung. In Phase-III-Studien führt die Therapie zu besseren Remissionsraten und ist zudem sicher. Der Wirkstoff ist in Australien bereits zugelassen, in weiteren Ländern steht die Zulassung bevor. Was sind die Chancen und Risiken der Behandlung?

Die Substanz MDMA hat viele Namen. Die chemische Bezeichnung lautet 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, in der Drogenkultur heißt sie „Ecstasy“, „Molly“ oder „Emma“. Sie unterliegt seit 1986 dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über psychotrope Substanzen. Dennoch vergab die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA 2017 der MDMA-gestützten Psychotherapie das Label „bahnbrechende Therapie“ [1]. Der Grund für den Paradigmenwechsel liegt in der Natur der Erkrankung, bei der sie helfen soll: der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Einer von zwölf Erwachsenen erkrankt im Laufe seines Lebens daran. Zudem ist sie potenziell lebensbedrohlich: Mehr als die Hälfte der Suizide bei PTBS-Patienten lässt sich auf die Erkrankung zurückführen [2]. Zudem sind verfügbare Therapien oft nicht wirksam. Als Goldstandard gilt die Trauma-fokussierte Psychotherapie. Sie ist oft effektiv, aber viele Patienten brechen die Behandlung ab. Wenn die Psychotherapie nicht wirksam oder verfügbar ist, können Fachärzte Psychopharmaka verschreiben. Erste Wahl sind die selektiven Sero­tonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin und Sertralin. Daneben kommt Venlafaxin im Off-Label-Use infrage [3]. Bei bis zu 47% der Patienten mit PTBS spricht die Pharmakotherapie nicht an [4].

Mehr zum Thema

Nun liegen zwei klinische Studien der Phase III vor, die zeigen, dass MDMA die Behandlung von Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung verbessert. Die australische Arzneimittelbehörde ließ die MDMA-assistierte Therapie im Juli 2023 zu. Experten zufolge wird die FDA 2024 folgen und in einigen Jahren auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA).

Drei Sitzungen mit je vier Begleitterminen

Die erste Phase-III-Studie mit dem Namen „MAPP1“ wurde 2021 im Journal „Nature Medicine“ veröffentlicht. 90 Probanden mit schwerer PTBS nahmen daran teil [5]. Im September 2023 erschien die bestätigende Studie „MAPP2“. Unter den 104 Probanden ließen die Autoren auch Patienten mit moderater PTBS zu [4]. Die Forscher rekrutierten diesmal eine diversere Population: Ein Drittel der Teilnehmer hatte lateinamerikanische Wurzeln, ein Viertel identifizierte sich als „nicht weiß“. Diese Menschen sind traditionell in klinischen Studien unterrepräsentiert, aber häufiger von einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen.

Die erforschte Intervention war bei beiden Studien identisch. Sie bestand aus drei MDMA-assistierten psychotherapeutischen Sitzungen im Abstand von einem Monat. Hinzu kamen je eine vorbereitende und drei nach­bereitende Sitzungen. Bei der ersten Sitzung nahmen Patienten der Verumgruppe (n = 53) 80 mg MDMA ein sowie eine Folgedosis von 40 mg rund zwei Stunden später. Beim zweiten und dritten Termin erhielten die Probanden zunächst 120 mg, gefolgt von weiteren 60 mg MDMA. Zum Vergleich erhielt ein Teil der Patienten (n = 51) ein Placebo. Während die Probanden die Wirkung der Substanz (oder des Placebos) spürten, verarbeiteten sie zusammen mit Psychotherapeuten traumatische Ereignisse. Acht Stunden dauerten diese Sitzungen.

Als primären Studienendpunkt definierten die Autoren die Schwere der posttraumatischen Belastungsstörung nach dem CAPS-5-Score vor Beginn der Intervention sowie zwei Monate nach der letzten Sitzung. Den CAPS-5-­Score erhoben Psychotherapeuten per Befragung. Patienten mit einer Punktzahl von 0 definierten sie als sym­ptomfrei, Patienten mit 47 oder mehr Punkten litten unter extremen Sym­ptomen.

Hohe Effektivität ohne schwere Nebenwirkungen

In MAPP1 besserten sich die Symptome der Patienten nach dem CAPS-5-­Score in der MDMA-Gruppe im Schnitt um 24,4 Punkte (Standard­abweichung [SD] = 11,6) und in der Placebogruppe um 13,9 Punkte (SD = 11,5). Der Unterschied zwischen den Studienarmen war signifikant und lag bei 11,9 (95%-Konfidenzintervall [KI] = 6,3 bis 17,4). Die Ergebnisse waren vergleichbar gut bei Patienten mit der dissoziativen Form der PTBS oder mit Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Substanzmissbrauch in der Vergangenheit. Diese Patienten sprechen häufig nicht auf bisher verfüg­bare Therapien an.

In der Studie MAPP2 war die beobachtete Effektivität ähnlich. Der CAPS-5-­Score besserte sich um 23,7 Punkte (95%-KI = -26,9 bis -20,4) in der MDMA-Gruppe sowie um 14,8 Punkte in der Placebogruppe (95%-KI = -18,3 bis -11,3). Nach der dritten MDMA-Therapie traf die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung auf 71% der Probanden nicht mehr zu, im Vergleich zu 48% in der Placebogruppe.

In Übereinstimmung mit der FDA untersuchten die Autoren von MAPP1 und MAPP2 die Probanden gezielt auf schwere Nebenwirkungen wie Kardiotoxizität (gemessen durch eine verlängerte QT-Zeit), erhöhte Suizidalität und ein erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch. Keine dieser Nebenwirkungen trat in den Studien auf. Moderate Nebenwirkungen waren häufiger. Bis zu 10% der Teilnehmer berichteten von Muskelverspannungen, Übelkeit, vermindertem Appetit oder verstärktem Schwitzen. Auch zeigte sich vorübergehend Tachykardie und erhöhter Blutdruck. Den Studien zufolge scheint MDMA im therapeutischen Setting sicher zu sein (s. Kasten: „Ist MDMA neurotoxisch?“).

Ist MDMA neurotoxisch?

Im Jahr 2002 veröffentlichte eine Forschergruppe um George Ricaurte an der Johns Hopkins Universität in Baltimore die wohl berühmteste Toxizitätsstudie zu MDMA. Laut Studien­protokoll gaben die Forscher Primaten die Substanz in einer Dosierung, die auch in Ecstasy-Tabletten gebräuchlich ist. Schon diese kleinen Dosierungen schienen zu einer schweren dopaminergen Neurotoxizität zu führen. Eine Entstehung von Parkinson sei schon bei seltenem Gebrauch wahrscheinlich, schlussfolgerten die Autoren. MRT-Scans der Gehirne illustrierten, was um die Welt ging: MDMA zerstört das Gehirn. Darüber berichteten neben der Deutschen Apotheker Zeitung und dem Deutschen Ärzteblatt auch Medien mit breitem Publikum.

Fatalerweise beruhte die Publikation auf einem Irrtum. In den darauffolgenden Monaten konnten die Autoren um Ricaurte ihre Ergebnisse nicht replizieren. Sie gingen auf Spurensuche und wurden fündig: Es war vor der Studie zu einer Verwechslung gekommen. Die Primaten hatten kein MDMA erhalten, sondern eine hohe Dosis Methamphet­amin („Crystal Meth“). Die Autoren riefen ihre Studie sofort zurück. Die Falschinformation blieb [9, 10].

Wie wirkt MDMA?

Wie genau MDMA seine Wirkung entfaltet, ist noch nicht vollständig verstanden. Es wird der Gruppe der „En­taktogene“ zugeschrieben. Der Begriff (von en-, griechisch für „innen“ und tactus, latein für „berührt“) beschreibt, dass Patienten eine „innere Berührung“ erfahren. Die Substanz wirkt psychoaktiv, aber nicht halluzinogen. Strukturell gehört MDMA zu den Amphetaminen und wirkt auf mole­kularer Ebene ähnlich: Es ändert die Konformation präsynaptischer Monoamin-Transporter. Die Transporter setzen dadurch vermehrt Monoamine in den synaptischen Spalt frei. Das Resultat: Nach MDMA-Einnahme steigt in bestimmten Hirnregionen die Serotonin-Konzentration stark, Gleiches trifft in vermindertem Maße auf Dop­amin zu. In MRT-Studien wurde nach MDMA-Einnahme eine erhöhte Aktivität in den Mandelkernen beobachtet. Dort spielen sich unter anderem Prozesse der Angstverarbeitung ab. Hier beeinflusst MDMA den Serotonin-Stoffwechsel, was angstbasierte Verhaltensweisen bei PTBS-Patienten umstrukturiert – so diskutieren es die Studienautoren.

Einordnung von Experten

Die Ergebnisse stimmen hoffnungsvoll, aber für Freudensprünge ist noch weitere Forschung nötig. Prof. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für see­lische Gesundheit in Mannheim kommentierte: „Offene Fragen sind die Dauerhaftigkeit des Therapie­effektes – dafür wären längere Beobachtungszeiträume notwendig – und der Vergleich mit dem derzeitigen Goldstandard, der Trauma-fokussierten Psychotherapie.“ Prof. Matthias Liechti, stellvertretender Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel, fügte hinzu: Es sei möglich, „dass sich der Zustand im weiteren Verlauf wieder verschlechtern kann und weitere Behandlungen nötig werden. Darauf weisen Praxisdaten aus der beschränkten medizinischen Anwendung von MDMA in der Schweiz hin.“ In der Schweiz können Therapeuten per Ausnahmebewilligung vom Bundesamt für Gesundheit MDMA im Rahmen einer Psychotherapie verabreichen.

Eine der wichtigsten Schwächen der Studien MAPP1 und MAPP2 ist, dass die Intervention mit psychoaktiven Wirkstoffen für die Patienten kaum maskiert werden kann. Fast allen Probanden war nach Wirkeintritt klar, ob sie das Verum oder Placebo erhalten hatten. Lediglich 10% schätzten falsch ein, in welchem Studienarm sie waren. Um die Maskierung auf Seiten der Forscher aufrechtzuerhalten, erfassten unabhängige Gut­achter per Fragebogen die Schwere der PTSD nach dem CAPS-5-Score und damit den primären Endpunkt der Studie.

MDMA kommt, bringt aber auch Risiken mit sich

Während die MDMA-gestützte Therapie in Europa wohl erst in einigen Jahren zugänglich sein wird und auch dann nur wenigen Patienten, ist der Wirkstoff auf dem Schwarzmarkt als Ecstasy-Tabletten oder (angeblich) reine MDMA-Kristalle leicht zu beschaffen und erschwinglich. Dabei ist schwer zu überblicken, was genau enthalten ist. Hinweise liefert „Drug Checking Berlin“, eine Initiative der Drogenhilfsorganisation Vista, Fixpunkt und der Schwulenberatung Berlin. Seit Juni 2023 analysiert die Initiative Drogen auf dem Schwarzmarkt. Ecs­tasy-Tabletten, zu denen Drug Check­ing Berlin Warnungen veröffentlichte, enthielten zwischen 80 und 200 mg MDMA. Verunreinigungen waren häufig, darunter Methamphetamin, Cocain oder Substanzen, die nicht identifiziert werden konnten [6].

Gelangen Studien wie MAPP1 und MAPP2 an die Öffentlichkeit, können illegale Selbstversuche zunehmen. Dabei können Konsumenten zu Schaden kommen, zum Beispiel durch Überdosierungen. 2009 erweckte der Fall eines Berliner Arztes Aufsehen. Er hatte Patienten eine illegale MDMA-assistierte „Intensivsitzung“ angeboten, aber versehentlich die zehnfache Dosierung eingewogen. Zwei Menschen starben an den Folgen [7].

Vor diesen Risiken warnen Psychiater wie Dimitris Repantis. Er selbst therapierte im Rahmen klinischer Studien an der Berliner Charité Patienten mit MDMA. „Ecstasy kann psychiatrische Erkrankungen und tödliche Komplikationen verursachen“, schrieb er in einem Leserbrief im Journal „Nature“ im August 2023 gemeinsam mit dem Rechtswissenschaftler Christoph Bublitz und dem Soziologen Nicolas Langlitz [8]. Er bezieht sich dabei nicht nur auf MDMA, sondern auch auf den Magic-Mushroom-Wirkstoff Psilocybin, der im Rahmen psychotherapeutischer Therapien in Australien im Juli 2023 zugelassen wurde. Gesundheitsbehörden müssen sich darauf einstellen, dass der Freizeitgebrauch mit diesen Substanzen zunimmt, schreibt er. Er rät in seinem Kommentar, Drug-Checking-Stellen wie die in Berlin auszubauen, um Menschen vor Überdosierungen und gefährlichen Verunreinigungen zu schützen.

Literatur

[1] FDA Grants Breakthrough Therapy Designation for MDMA-Assisted Therapy for PTSD, Agrees on Special Protocol Assessment for Phase 3 Trials. Pressemitteilung der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies, 26. August 2017

[2] Fox V et al. Suicide risk in people with post-traumatic stress disorder: A cohort study of 3.1 million people in Sweden. J Affect Disord 2021;279:609-616, doi: 10.1016/j.jad.2020.10.009

[3] Posttraumatische Belastungsstörung. S3 Leitlinie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), AWMF-Registrier Nr. 155/001, Stand 19. Dezember 2019

[4] Mitchell JM et al. MDMA-assisted therapy for moderate to severe PTSD: a randomized, placebo-controlled phase 3 trial. Nat Med 2023;29:2473–2480, doi: 10.1038/s41591-023-02565-4

[5] Mitchell JM et al. MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Nat Med 2021;27(6):1025-1033, doi: 10.1038/s41591-021-01336-3

[6] Drug Checking Berlin: Aktuelle Warnungen. Zuletzt aufgerufen am 18. Oktober 2023, www.drugchecking.berlin

[7] Tödliche Therapie: Gericht verurteilt Drogenarzt zu Haft und Berufsverbot. Artikel von Spiegel Panorama, 10. Mai 2010

[8] Repantis D, Langlitz N, Bublitz C. Control side effects of the psychedelic renaissance. Readers respond Nature, Correspondence vom 10. August 2023, www.nature.com

[9] Ricaurte GA et al. RETRACTED: Severe Dopaminergic Neurotoxicity in Primates After a Common Recreational Dose Regimen of MDMA („Ecstasy“). Science 2002;297(5590):2260-2263, doi: 10.1126/science.1074501

[10] Knight J. Agony for researchers as mix-up forces retraction of ecstasy study. Nature 2003;425(6954):109, doi: 10.1038/425109a


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

MDMA kann bei posttraumatischen Belastungsstörungen helfen

Ecstasy in der Psychotherapie? 

Substanzmissbrauch ist bei traumatisierten Patienten häufig

Trauma und Sucht - ein Albtraum

Psilocybin könnte bei dysmorphen Störungen helfen

Verzerrte Körperwahrnehmung verändern

Naltrexon reduziert PTSD-Symptome und Alkoholkonsum

Belastungsstörung und Alkoholabhängigkeit

Ängste bei Krebspatienten

Rauschdrogen als „Retter“

Narkosemittel hilft bei post­traumatischer Belastungsstörung

Neue Option für Ketamin

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.