Auslegung der ALBVVG-Regeln

Abgaberangfolge bleibt auch bei Nichtverfügbarkeit relevant

Berlin - 24.10.2023, 17:50 Uhr

Das ALBVVG erspart den Apotheken nicht, weiterhin die Abgaberangfolge des Rahmenvertrags durchzuprüfen, wenn ein Arzneimittel nicht lieferbar ist. (Foto: ABDA)

Das ALBVVG erspart den Apotheken nicht, weiterhin die Abgaberangfolge des Rahmenvertrags durchzuprüfen, wenn ein Arzneimittel nicht lieferbar ist. (Foto: ABDA)


Die neuen Abgabe- und Retax-Regelungen des ALBVVG erleichtern den Apotheken den Arbeitsalltag leider nicht in dem Maße, wie diese es sich gewünscht hätten. Insbesondere sind nach wie vor alle Stufen der Abgaberangfolge nach dem Rahmenvertrag zu prüfen – und die neuen Vorgaben zum Retaxschutz gelten nur für Beanstandungen, die nach Inkrafttreten des ALBVVG ausgesprochen wurden. Das hat das BMG nun gegenüber dem DAV klargestellt.

Am 27. Juli dieses Jahres ist das Arzneimittellieferengpassgesetz (ALBVVG) in Kraft getreten; seitdem gelten unter anderem die neuen Retax-Verbote (verankert in § 129 Abs. 4d SGB V). Die gesetzliche Verstetigung der erleichterten Abgaberegeln (§ 129 Abs. 2a SGB V und § 17 Abs. 5b ApBetrO) wurde zum 1. August wirksam. Doch wie so oft lassen die neuen Vorgaben Interpretationsspielraum. Und Krankenkassen und Apotheken haben hier einmal wieder unterschiedliche Vorstellungen, wie einzelne Bestimmungen auszulegen sind.

Das hat den Deutschen Apothekerverband (DAV) bewegt, Mitte September im Bundesgesundheitsministerium (BMG) nachzuhaken. Vier konkrete Streitfragen legte er vor – und bat um Auslegungshilfe. Die Antwort liegt mittlerweile vor. So informiert aktuell der Apothekerverband Schleswig-Holstein seine Mitglieder zumindest über die Rückmeldung des BMG zu zwei der Fragen.

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Zum einen ging es darum, wie die neue Regelung zum Austausch bei Nichtverfügbarkeit abweichend von den Vorgaben im Rahmenvertrag zu verstehen ist. Der DAV interpretierte sie so, dass die Apotheke nur die erste Stufe der Abgabereihenfolge zu prüfen hat, die der Rahmenvertrag vorgibt. Ergebe diese Prüfung, dass das abzugebende (Rabatt-)Arzneimittel nicht verfügbar sei, sei die Apotheke in der Auswahl frei und könne das abzugebende gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Denn aus DAV-Sicht sollte gerade die aufwendige, mehrstufige Prüfung der Abgabereihenfolge erleichtert werden. Die neue Möglichkeit, von ihr abzuweichen, sollte sogar bereits greifen, wenn ein einziges nach Rahmenvertrag abzugebendes Arzneimittels nicht verfügbar ist. Doch das BMG sieht den Fall offenbar so wie der GKV-Spitzenverband. Denn wie der Apothekerverband Schleswig-Holstein mitteilt, bleibt die Abgaberangfolge nach Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V unverändert. „Eine Erleichterung der Arzneimittelabgabe besteht somit lediglich bei der Auswahl von Packungsgrößen, Packungsanzahl, Abgabe von Teilmengen und der Wirkstärke“.

Retax-Verbot greift nicht bei vor dem 27. Juli gestarteten Beanstandungen

Und auch die Frage, ab wann die neuen Regeln des Retaxationsausschlusses anzuwenden sind, hat das BMG im Sinne der Kassen beantwortet: Erfasst seien nur Beanstandungen, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (also ab dem 27. Juli 2023) ausgesprochen werden, nicht hingegen Beanstandungsverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind. Der DAV hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Neuregelung alle noch laufenden Beanstandungsverfahren, unabhängig vom Zeitpunkt der Arzneimittelabgabe oder dem Beginn des Verfahrens, umfasse.

Welche Retaxationen sind ausgeschlossen?

Darüber hinaus stellt der Apothekerverband nochmals klar, in welchen Konstellationen nun gar keine Retaxationen mehr ausgesprochen werden dürfen – und in welchen keine Nullretaxationen.

Gar nicht mehr retaxieren dürfen Kassen, wenn 

  • die Dosierungsanweisung auf der Verordnung fehlt (BtM- und Rezeptur-Verordnungen ausgenommen!),
  • das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
  • das Arzneimittel vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung abgegeben wurde,
  • die Belieferungsfrist nach der Arzneimittel-Richtlinie (28 Tage) um bis zu drei Tage überschritten ist, ohne dass etwas zur Überschreitung dokumentiert werden müsste (CAVE: ausgenommen von dieser gesetzlichen Kulanzregelung sind Verordnungen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt wurden (BtM-, Entlass- sowie Sonderrezepte mit kürzeren Belieferungsfristen, z. B. T-Rezepte)),
  • die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird (z. B. Einzelimport).

Nullretaxationen sind ausgeschlossen, wenn

  • die Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels unterbleibt, wenn eine Wirkstoffverordnung vorliegt oder die Ersetzung durch den Arzt nicht ausgeschlossen wurde (aut idem) oder
  • die Apotheke bei der Abgabe einen Rabattvertrag nicht beachtet;
  • die vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen nicht oder nur teilweise vorliegen.

In diesen Fällen entfällt allerdings der Anspruch auf das Honorar nach Arzneimittelpreisverordnung, erstattet wird also nur der Einkaufspreis zuzüglich Mehrwertsteuer.

Keine Antwort findet sich im Rundschreiben des Apothekerverbands Schleswig-Holstein zu der Frage, worauf sich der Engpasszuschlag in Höhe von 50 Cent beim Austausch von mehr als einem Arzneimittel innerhalb einer Verordnungszeile bezieht. Der DAV ging hier davon aus, dass bei der Verordnung von zwei Packungen in einer Zeile auch zweimal der Zuschlag anfallen müsse. Die Kassenseite hält ihn nur für einmal abrechenbar.

Auch zu der Frage, wie die Berechnung abgegebener Teilmengen nach den neuen Vorgaben zu erfolgen hat, bleibt vorerst unbeantwortet. Ebenso bleibt offen, wie das BMG auf den Vorschlag des DAV reagiert hat, die Regelung umzuformulieren, da ihr jetziger Wortlaut aus seiner Sicht ungewollt nachteilig ist.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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3 Kommentare

GKV auf Tiefstand

von ratatosk am 25.10.2023 um 9:33 Uhr

Die GKV arbeitet mittlerweile auf dem Niveau von Drückerkolonnen, gedeckt durch die Politik mit einzigartigen Regelungen zu Geheimverträgen zu Lasten der Bürger.
Kommt ja immer mehr vor, daß normale Generika zuzahlungsfrei wären, aber nicht die Rabattvertragsartikel ! etc.etc. Die sogenannte Selbstverwaltung ist nur mehr ein Feigenblatt, da die GKV an sachlichen Auslegungen kein Interesse mehr hat, sondern nur Quellen für Retax sucht.
Die Schäbigkeit wird nur durch die komplizierten Regelungen für die Kunden verschleiert, da der Ärger in der Apotheke aufschlägt ! Wenn man die Kasse anruft, wird sowieso alles versprochen. Es sei denn man will Leistungen wie Kur etc. direkt von der Kasse, dann zeigen die notgedrungen die richtige Fratze.

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Wir haben eine Versorgungsauftrag! PUNKT!

von Pharmanymous am 24.10.2023 um 19:39 Uhr

§ 1 Absatz 1 Apothekengesetz: „Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.“

Um das geht es! PUNKT!

WIR deutschen Apotheken (bewusst nicht Apotheker, denn es sitzen alle ApothekenmitarbeiterInnen in einem Boot) haben die Verpflichtung die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen.
Wir deutschen Apotheken haben zur Zeit mit dermaßen vielen ROTEN LAMPEN zu kämpfen - sprich Defekte oder nicht lieferbare Arzneimittel, dass wir froh sind, ÜBERHAUPT noch Patientinnen und Patienten ein für sie PASSENDES (Abgabereihenfolge bla bla bla!) Arzneimittel abgeben zu KÖNNEN.
Wir haben überhaupt nichts davon, ein nach der Abgabereihenfolge NICHT passendes Arzneimittel abzugeben, weil wir faktisch einen Festzuschlag haben. Wir versuchen nur, unsere Aufgabe in dem Maße wahrzunehmen, wie es FÜR den/die Patienten/in passt.

Dabei finanzieren wir sogar die Abrechnung (inkl. Vorprüfung) der GKV-Rezepte, damit die Krankenkassen mundgerecht eine monatliche Sammelrechnung bekommen, finanzieren sowohl den Notdienst durch Umlagen als auch die pharmazeutischen Dienstleistungen SELBST - WIR deutschen Apotheken!

Und dann stellen wir uns noch als BITTSTELLER hin, um Randgebiete eines schlampig gemachten Gesetzes klarstellen zu lassen? Im Zweifel schlampige Rahmenverträge kündigen. Wir haben auch eine Würde!

Die Krankenkassen machen übrigens im Prinzip NICHTS anderes als Geld einzunehmen und wieder auszugeben... die Differenz können sie als Gewinn verbuchen.

Ich finde, wir deutschen Apotheken können wirklich stolz auf unsere tägliche Arbeit und die Erfüllung unseres Versorgungsauftrags sein.

Ein Apotheker, der immer noch seine Arbeit wirklich mag.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wir haben eine Versorgungsauftrag! PUNKT

von Apothekerin am 24.10.2023 um 22:53 Uhr

Danke für diesen Kommentar, spricht mir aus der Seele!

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