Die Blaue Hand – Teil 7

Palforzia – warum für Erdnuss-Allergiker der Schulungsbedarf besonders groß ist

Rosenheim - 03.07.2023, 07:00 Uhr

Im Kindesalter ist jede vierte Nahrungsmittel-induzierte Anaphylaxie auf Erdnüsse zurückzuführen. (Foto: IMAGO / Zoonar)

Im Kindesalter ist jede vierte Nahrungsmittel-induzierte Anaphylaxie auf Erdnüsse zurückzuführen. (Foto: IMAGO / Zoonar)


Wenn Arzneimittel besonders erklärungsbedürftig sind, können Heilberufler und Patienten das am „Blaue-Hand-Symbol“ erkennen. Unter anderem Adrenalin-Pens für Allergiker gehören zu solchen Arzneimitteln mit besonderem Schulungsbedarf. Bei Erdnuss-Allergie müssen sich Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen allerdings nicht nur mit Epinephrin-Autoinjektoren auskennen – wird zusätzlich das Präparat Palforzia zur Hyposensibilisierung eingenommen, gilt es einige weitere wichtige Punkte zu beachten.

In Deutschland leiden etwa 4,2 Prozent der Kinder an einer Nahrungsmittelallergie. Dabei ist die Anaphylaxie zweifelsohne der Alptraum aller Eltern. Im Kindesalter ist jede vierte Nahrungsmittel-induzierte Anaphylaxie auf die Erdnuss zurückzuführen. Bis vor kurzem blieb Eltern nichts anderes übrig, als Erdnüsse um jeden Preis zu meiden und für den Notfall (mit einem Adrenalin-Pen) vorbereitet zu sein.

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Seit Ende 2021 ist das zumindest ein wenig anders, denn mit Palforzia® wurde ein Arzneimittel zur Behandlung einer bestätigten Erdnussallergie im Alter zwischen vier und 17 Jahren zugelassen. Es enthält entfettetes Pulver mit Erdnussprotein von Arachis hypogaea L., semen (= Erdnüsse) und wird in spezialisierten Gesundheitszentren eingesetzt.

Ziel der Therapie mit Palforzia® ist die Erhöhung der Schwellendosis, die eine allergische Reaktion auslöst. Wegzaubern kann sie die Erdnussallergie also nicht.

Die drei Dosierungs-Phasen von Palforzia

Die Therapie erfolgt in drei Dosierungs-Phasen. Aus Sicherheitsgründen wird die initiale Aufdosierung unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt und dauert rund vier Stunden. Anschließend verabreichen Eltern ihren Kindern die Dosis im häuslichen Umfeld selbst, nämlich einmal täglich etwa zur gleichen Uhrzeit. Alle zwei Wochen ist dann eine Dosissteigerung vorgesehen. Sie wird erneut unter ärztlicher Kontrolle in spezialisierten Gesundheitseinrichtungen durchgeführt, damit Patienten nach der Einnahme mindestens 60 Minuten überwacht und notfalls behandelt werden können. Treten nur leichte oder vorübergehende Symptome auf, dürfen die Patienten diese Dosisstufe zu Hause fortführen. Die Chargen der getesteten Dosisstufe müssen allerdings zwingend mit der häuslichen Charge übereinstimmen, um Produktions-bedingte Schwankungen auszuschließen.

Seit 2016 ergänzt die blaue Hand die rote und ...

... kennzeichnet behördlich angeordnetes und genehmigtes Schulungsmaterial für Arzneimittel, wie etwa Checklisten, Patientenausweise, Leitfäden oder Broschüren für Patienten. Dies wird immer dann erforderlich, wenn für die sachgerechte Anwendung zusätzliche Informationen notwendig sind, die über die Fach- und Gebrauchsinformation hinausgehen. Das Material ist beispielsweise Bestandteil sogenannter Risikomanagementpläne und erforderlich, um ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gewährleisten. 

Seit der Einführung wird das Angebot stetig erweitert. Das Schulungsmaterial kann auf der Homepage des BfArM beziehungsweise im Fall von biomedizinischen Arzneimitteln wie Antikörpern auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) aufgerufen werden. Außerdem finden Sie ausgewählte Inhalte des Schulungsmaterials auch in unserer DAZ-Serie zur „Blauen Hand“.

Der Zeitabstand von zwei Wochen zwischen den Dosissteigerungen darf nicht unterschritten werden! Bei Allergiesymptomen oder sonstigen Gründen kann eine Steigerung aber durchaus etwas später durchgeführt werden. Nach elf Dosisstufen und rund einem halben Jahr erreichen Patienten schließlich die finale Erhaltungsdosis mit 300 mg. Diese muss täglich eingenommen werden, um die erhöhte Toleranz, die hoffentlich durch Palforzia® erreicht wurde, aufrechtzuerhalten. Offiziell liegen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit für eine Behandlung von bis zu 24 Monaten vor. Die Zulassung ist zwar auf Kinder bis 17 Jahre begrenzt, laut Fachinformation kann eine Fortführung nach dem 18. Geburtstag aber erwogen werden.

Die zahlreichen Darreichungsformen von Palforzia

Während der Phase der Dosissteigerung werden die Tagesdosen in Kapseln unterschiedlicher Form, Größe und Farbe angeboten, um die jeweils erforderliche Dosis stückeln zu können. Die Kapseln dürfen allerdings nicht geschluckt werden, sondern müssen vorsichtig geöffnet und das Pulver dann mit einer kleinen Menge Brei wie Joghurt, Pudding oder Apfelmus vermischt und unmittelbar verzehrt werden. Flüssigkeiten sind nicht geeignet! Die finale Erhaltungsdosis wird in einem Beutel angeboten.

Screenshot aus dem Palforzia®-Schulungsmaterial für medizinische Fachkräfte, Stand 15.10.2021

Die Co-Faktoren, die das Risiko für Allergie-Symptome erhöhen

Typischerweise treten allergische Reaktionen innerhalb der ersten ein bis zwei Stunden nach der Palforzia®-Einnahme auf. Das Kind sollte daher eine Stunde beobachtet werden. Die Einnahme darf außerdem nicht innerhalb von zwei Stunden vor dem Schlafen erfolgen und Patienten sollten sicherheitshalber drei Stunden mit Sport, heißer Dusche beziehungsweise Bad warten. Gleiches wäre auch unmittelbar vor der Einnahme tabu. Ebenfalls bei Stress, Alkoholkonsum, Schlafmangel oder akuten Erkrankungen wie Virusinfekten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Einnahme allergische Symptome auftreten. In diesem Fall kann gemäß Fachinformation ein vorübergehendes Absetzen oder eine Verringerung der Dosis erforderlich sein.

Vorsicht Anaphylaxie und eosinophile Ösophagitis

Für Patienten und ihre Betreuungspersonen fassen an das Alter angepasste und behördliche genehmigte Leitfäden die wichtigsten Eckpunkte zu Palforzia® zusammen – zu erkennen am Blaue-Hand-Symbol. Auch ein offizieller Leitfaden für Heilberufe soll dazu beitragen, die Anwendungsrisiken von Palforzia® zu minimieren. Diese sind im Wesentlichen:

  • die Anaphylaxie und
  • eine eosinophile Ösophagitis.

Es ist selbstredend, dass Allergiker und ihre Angehörigen intensiv über die Symptome einer Anaphylaxie geschult sein müssen und immer einen Notfallplan mitsamt Epinephrin-Pen bei sich tragen sollten! Auch bei abgeschlossener Palforzia®-Behandlung ändert sich daran leider nichts, Patienten müssen Erdnüsse weiterhin strikt meiden.

S2k-Leitlinie Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis (2)

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Die eosinophile Ösophagitis stellt hingegen eine nicht ganz so bekannte Nebenwirkung dar. Sie kann bei Patienten mit IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergie während der Anwendung von Palforzia® auftreten und sich durch vielfältige gastrointestinale Beschwerden äußern. Mögliche Symptome sind etwa Sodbrennen, Schmerzen im oberen oder unteren Abdomen oder Brustkorb, Erbrechen, Übelkeit, Dysphagie und verminderter Appetit sowie gastroösophagealer Reflux. Üblicherweise wird die genaue Diagnose durch eine Endoskopie mit Biopsie und Nachweis einer eosinophilen Infiltration gestellt. In der Zulassungsstudie betraf diese Nebenwirkung ein Prozent der Teilnehmer, wobei sich die Beschwerden nach dem Absetzen besserten. Treten einige oder mehrere Beschwerden regelmäßig oder immer wieder auf, müssen Patienten daher unbedingt ihren behandelnden Arzt aufsuchen. Er wird darüber entscheiden, ob die Therapie unterbrochen und/oder ein Gastroenterologe hinzugezogen werden muss.

Kein Zusatznutzen für Palforzia

Auch eine akute Exazerbation von Asthma bronchiale zwingt zu einer Unterbrechung der Therapie mit Palforzia®. Tritt diese häufiger auf, kann ebenfalls ein Absetzen von Palforzia® erforderlich werden. Versäumt der Patient mehr als zwei Tagesdosen nacheinander, muss dieser mit dem behandelnden Arzt das weitere Vorgehen besprechen – ab drei versäumten Dosen ist eine Palforzia®-Einnahme ohnehin unter ärztlicher Aufsicht erforderlich.

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Übrigens: Da trotz Palforzia® eine Erdnuss-vermeidende Diät nötig ist und zudem häufig Nebenwirkungen unter der Therapie auftreten, konnte der gemeinsame Bundesausschuss – nicht zuletzt aufgrund mangelnder Daten – 2022 keinen Zusatznutzen für Palforzia® feststellen. Die zweckmäßige Vergleichstherapie war „beobachtendes Abwarten“. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung vor und während einer Palforzia®-Therapie durch den behandelnden Arzt.


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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