Greifswalder Forscher setzen auf Plasmatechnik

Mit neuen Ansätzen gegen Arzneimittel-Rückstände im Wasser

Düsseldorf - 24.05.2023, 17:50 Uhr

Wie Wirkstoffe ins Abwasser gelangen, ist klar. Aber wie bekommt man sie dort wieder raus, um Umweltschäden zu vermeiden? (Foto: AdobeStock / Happyphotons)

Wie Wirkstoffe ins Abwasser gelangen, ist klar. Aber wie bekommt man sie dort wieder raus, um Umweltschäden zu vermeiden? (Foto: AdobeStock / Happyphotons)


Greifswalder Forscher arbeiten an Anlagen, die Arzneimittelrückstände und Pestizide wirksam aus dem Abwasser entfernen. Dazu kombinieren sie herkömmliche Methoden und neue Technologien wie Ultraschall und Plasma. Die Technik soll auch helfen, resistente Erreger etwa aus Krankenhausabwässern zu entfernen. Demonstrationsanlagen sind bereits in Planung. 

Arzneimittel sollen chemisch weitgehend stabil sein und in geringen Dosierungen wirken. Was auf der pharmakologischen Seite richtig ist, ist aber aus ökologischer Sicht unter Umständen ein Problem. Denn gelangen Arzneimittel in die Umwelt, können sie auch dort ungewollte Folgen für Tiere und auch für den Menschen haben.

In die Umwelt gelangen Wirkstoffe (oder auch verwandte Substanzen wie Röntgenkontrastmittel) dabei überwiegend über das Wasser. Auf der einen Seite verstoffwechselt über die Ausscheidungen von Menschen und Tieren, auf der anderen Seite gar nicht so selten aber auch unmittelbar durch abgewaschene Salben und Gele aus äußerlichen Anwendungen. Außerdem gibt es trotz aller Aufklärungsarbeit immer noch zu viele Menschen, die alte Arzneimittel über die Toilette „entsorgen“.

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Zusammengenommen gibt es allein in Deutschland mittlerweile Nachweise über 414 verschiedene Substanzen aus dem Spektrum der Mensch- und Tierarzneimittel, die als Rückstände bis zum Jahr 2021 in Kläranlagenabläufen, Oberflächengewässern, Sedimenten, Grundwasser oder Böden identifiziert wurden, vermeldet das Umweltbundesamt. Weltweit gibt es sogar Nachweise für 992 entsprechende Substanzen – nachzulesen etwa im Fachmagazin Umwelt und Mensch – Informationsdienst des Umweltbundesamtes. In der Ausgabe 1/23 sind auch die Folgen des analgetischen Wirkstoffs Diclofenac in der Umwelt beschrieben, das etwa zu Nierenversagen bei Vögeln führen kann.

Bereits seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es etliche Ansätze, mit einer vierten Reinigungsstufe in den Kläranlagen – nach der mechanischen (erste Stufe), biologischen (zweite Stufe) und chemisch-abiotischen (dritte Stufe) – dem Problem der Mikroverunreinigungen im Abwasser Herr zu werden. Zu den Mikroverunreinigungen zählen dabei neben Arzneimittelrückständen auch Pestizide und andere chemische Stoffe. Gesetzlich vorgeschrieben ist das in Deutschland anders als etwa in der Schweiz (dort bereits seit dem Jahr 2016) bislang allerdings nicht. Oft stehen auch die hohen Betriebskosten einer vierten Stufe dem flächendeckenden Ausbau der Kläranlagen entgegen – in der Regel werden diese schließlich durch die Kommunen betrieben, von denen viele ohnehin über enge finanzielle Spielräume klagen.

Greifswalder Forscher setzen auf Plasmatechnik zur Abwasserbehandlung

An neueren und effizienteren Methoden, Abwässer von Arzneimittelrückständen und Pestiziden – aber auch von potenziell pathogenen antibiotikaresistenten Erregern – zu reinigen, arbeiten unter anderem Forschende am Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald. „Wir kombinieren klassische physikalische Verfahren zur Abwasserreinigung mit neuen Technologien wie Ultraschall, gepulsten elektrischen Feldern und Plasmatechnologie. Hierdurch können wir chemische Verbindungen wie Medikamentenrückstände, aber auch andere vom Menschen verursachte Verunreinigungen aufspalten und in unbedenkliche Stoffe umwandeln“, erklärt Professor Dr. Jürgen Kolb, Forschungsschwerpunktleiter Landwirtschaft, Bioökonomie und Umwelt am INP. 

Erst vor Kurzem veröffentlichte Kolb mit anderen Autoren im „Chemical Engineering Journal“ einen Review verschiedener Plasmatechniken zur Abwasserbehandlung. An der Technik selbst arbeitet man bereits seit einigen Jahren – in etlichen Forschungsprojekten haben sie ihr Potenzial bereits bewiesen und konnten die Wirkung gegen verschiedene Substanzen zeigen: 


„Analgetika wie etwa Diclofenac, Hormone wie Ethinylestradiol oder Antibiotika wie Trimethoprim lassen sich zu 99 Prozent abbauen, bei besonders stabilen Verbindungen wie Röntgenkontrastmittel sind Reduktionen um 50 Prozent erreicht worden.“

Professor Dr. Jürgen Kolb, Forschungsschwerpunktleiter Landwirtschaft, Bioökonomie und Umwelt am INP


„Bei einem nahezu vollständigen Abbau können Mineralisierungsstufen erreicht werden, das heißt toxische Abbauprodukte sind nicht vorhanden. Daher ist das Verfahren nicht nur effektiv, sondern auch umweltschonend“, sagt der Professor.

Noch arbeitet man im kleineren Maßstab. „Wir arbeiten auf diesem Gebiet an mehreren Stellen der Abwasseraufbereitung, in verschiedenen Skalierungsebenen. Für den Abbau von Arzneimittelrückständen arbeiten wir derzeit noch im Labormaßstab, eine Anlage im Demonstratormaßstab wird demnächst installiert. Zum Abbau von Pestiziden haben wir bereits einen Demonstrator im Einsatz. Auch für die Abwasserbehandlung zur Inaktivierung von antibiotikaresistenten Bakterien ist schon ein Demonstrationsmaßstab entwickelt worden, der mehrere Liter pro Stunde bearbeiten kann“, sagt Kolb.

Problem-Bewusstsein in der Abwasserindustrie noch gering

Noch stünden der Skalierung des Systems diverse Hürden gegenüber, sagt der Forscher. „Zum einen sind das die Realbedingungen vor Ort, beispielsweise der Leitwert des Abwassers, welches die Plasmawirkung beeinflussen kann. Hier arbeiten wir aber schon an Lösungen, um dieses Problem zu lösen. Da es aber kaum rechtlich verbindliche Grenzwerte für Arzneimittelrückstände oder Pestizide gibt, ist das Bewusstsein der Abwasserindustrie für dieses Problem noch nicht groß genug, so dass hier noch interessierte Industriepartner zur Verstetigung der Technologie fehlen. Die Energiekosten für das Verfahren sind noch nicht ideal, aber daran forscht das INP derzeit intensiv“, erklärt Kolb. Langfristig sehe man aber eine Eignung des Systems auch als vierte Reinigungsstufe kommunaler Kläranlagen.

Mobile Plasmasysteme für den Einsatz in Krankenhäusern

Vorerst verfolge man aber einen anderen Ansatz: „Unser Ansatz sind derzeit mobile Anlagen, die beispielsweise in Krankenhäusern eingesetzt werden können, wo die Wasserbelastung mit Arzneimittelrückständen besonders hoch ist. Gerade mit Blick auf die steigende Zahl an antibiotikaresistenten Mikroorganismen sehen wir hier akuten Handlungsbedarf“, sagt Kolb. So sei aktuell ein neues Projekt in Zusammenarbeit mit einem kommunalen Krankenhaus zum Abbau von Röntgenkontrastmitteln geplant, da dort die Grenzwerte für diese Stoffe für eine direkte Einleitung ins Abwassersystem deutlich überschritten würden. „Hier ist geplant, direkt vor Ort ein Plasmasystem zu entwickeln, um die bereits gezeigten möglichen Abbauraten unter Realbedingungen zu erreichen und die Kosten des Verfahrens trotzdem im Rahmen zu halten“, sagt der Forscher.

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Neben dem Einsatz von Plasmatechnik gibt es aber auch Methoden, die auf Adsorbtion etwa an Aktivkohle basieren oder auf „erweiterter Oxidation durch Ozon, Wasserstoffperoxid und/oder UV-Licht.

Aktuell gibt es in Deutschland erst wenige Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe. Von den etwa 2.500 kommunalen Anlagen allein in Bayern soll vorerst der Ausbau bei 13 Anlagen gefördert werden. In Baden-Württemberg waren es Stand 2020 16 aufgerüstete Anlagen und weitere 16 im Bau.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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