Arznei-Telegramm fordert Marktrücknahme von StroVac

Immunstimulation bei Blasenentzündung – was kann man empfehlen?

Stuttgart - 15.05.2023, 16:45 Uhr

Vor allem Frauen leiden häufig an wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Was hilft? (Foto: Orawan / AdobeStock)

Vor allem Frauen leiden häufig an wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Was hilft? (Foto: Orawan / AdobeStock)


Harnwegsinfektionen sind äußerst unangenehm – insbesondere, wenn sie (bei Frauen) immer wiederkehren. In der Apotheke wird man deshalb nicht selten mit der Frage konfrontiert, was in so einem Fall „wirklich“ hilft. Dass es darauf keine leichte Antwort gibt, wissen Apotheker:innen. Doch klingt eine Art „Impfung“ gegen Harnwegsinfektionen nicht sinnvoll und empfehlenswert? Die Zeitschrift Arznei-Telegramm äußert an einem konkreten Präparat aktuell starke Zweifel.

Erst im April dieses Jahres wurde eine Cochrane-Übersichtsarbeit mit dem Titel „Cranberries zur Vorbeugung von Harnwegsinfektionen“ veröffentlicht, welche für die Beratung in der Apotheke Hoffnung macht. Denn demnach könnten Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen (HWI) tatsächlich von Cranberry-Produkten profitieren. Allerdings bleibt unklar, wie genau solche Cranberry-Produkte zusammengesetzt sein müssen, damit sie wirken. Zudem sei es kein gutes Zeichen, dass die Autor:innen sechs Studien fanden, die schon länger registriert sind, ohne Ergebnisse zu veröffentlichen. „Dies kann ein Hinweis auf Publication Bias sein, dass also Studien, die keinen Unterschied zwischen Cranberries und Plazebo gezeigt haben, nicht veröffentlicht wurden“, hieß es im April in einer entsprechenden Cochrane-Mitteilung.

Weil aber grundsätzlich der Leitsatz gilt, die präventive Einnahme von Antibiotika so weit es geht zu vermeiden, erscheint ein Therapie-Versuch mit einem Cranberry-Produkt aktuell jedenfalls eine Investition wert zu sein. Doch gibt es noch andere – vielleicht wirksamere – Präventionsmöglichkeiten?

Die „S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten“ befindet sich seit Ende 2021 in Überarbeitung. Dort heißt es in dem Kapitel „Rezidivierende Harnwegsinfektionen bei Frauen in der Prämenopause“ mit Empfehlungsgrad B („Sollte“-Empfehlung) und Evidenzgrad Ia (Systematische Übersicht über kontrollierte Studien (RCT)): „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau sollte vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention das Immunprophylaktikum UroVaxom®(OM-89) oral über 3 Monate eingesetzt werden.“ Mannose und „verschiedene Phytotherapeutika (z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal ein Monat), Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel)“ werden lediglich mit dem Empfehlungsgrad C („Kann“-Empfehlung) und Evidenzgrad Ib (einzelne RCT mit engem Konfidenzintervall) empfohlen. 

Sind Präparate zur Immunstimulation in der HWI-Prävention gegenüber Phytotherapeutika also generell zu bevorzugen?

Studien-Ergebnisse zu StroVac ließen auf sich warten

Mithilfe der (abgelaufenen) Leitlinie kann man das derzeit nicht so genau beantworten, denn für ein weiteres, parenteral zu verabreichendes Immunprophylaktikum gilt mit dem Empfehlungsgrad C und Evidenzgrad Ib: „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention das Immunprophylaktikum StroVac® (vormals Solco-Urovac®) parenteral mit 3 Injektionen in wöchentlichen Abständen eingesetzt werden.“

Wer nun wiederum die neueste Ausgabe des Arznei-Telegramms gelesen hat, wird vielleicht zu einer noch kritischeren Einschätzung kommen. Denn dort wollen die Autor:innen anlässlich einer erst nach über sechs Jahren veröffentlichten Studie nicht einmal mehr eine „Kann-Empfehlung“ für StroVac® aussprechen: 


„Angesichts der fehlenden validen Nutzenbelege und häufigen auch schweren unerwünschten Wirkungen bewerten wir die Nutzen-Schaden-Bilanz von STROVAC gegen rezidivierende Harnwegsinfektionen als negativ und raten von den Injektionen ab. Die Marktrücknahme erachten wir als überfällig.“ 

a-t 05/2023


Tatsächlich kommen auch die Studienautor:innen selbst zu dem Ergebnis, dass ihre Studie keine Überlegenheit von StroVac® gegenüber Placebo zeigen konnte. Doch offenbar erkennen sie darin keine mangelnde Wirkung ihres Präparates, vielmehr sei das Placebo selbst wirksam gewesen. „Grund soll der in Verum und Plazebo enthaltene Hilfsstoff Dextran sein, für den die Firma 2018 ein Patent zur Immunprophylaxe von Allgemeininfektionen angemeldet hat. Als Beleg dient laut Patentschrift ein Tierversuch mit 50 Mäusen“, erläutert das Arznei-Telegramm die Begründung in der Studie, und beschreibt diese als „speziell“. 

Damit dürfte Apotheker:innen und Ärzt:innen die Beratung bei wiederkehrenden Harnwegsinfektionen nun nicht unbedingt leichter fallen (sowohl UroVaxom® als auch StroVac® sind rezeptpflichtig). 

Ist die Immunstimulation auch bei Harnwegsinfektionen im Kindesalter geeignet?

Ein Blick in die „S2k-Leitlinie Harnwegsinfektionen im Kindesalter – Diagnostik, Therapie und Prophylaxe“, die im Gegensatz zur Leitlinie für Erwachsene noch bis August 2026 gültig ist, widmet sich im Kapitel der Infektionsprophylaxe ebenfalls der Immunstimulation. Selbsterklärend gibt es für das Kindesalter zwar noch weniger Evidenz als bei Erwachsenen. Doch auch hier erhält die orale Immunstimulation gegenüber der parenteralen eine bevorzugte Empfehlung: 


„Bei rezidivierenden Zystitiden ohne funktionelle oder anatomische Abnormalitäten kann eine orale Immunstimulation erwogen werden. Die prophylaktische Wirksamkeit einer oralen oder parenteralen Immunstimulation ist für das Kindesalter allerdings unzureichend belegt.“

S2k-Leitlinie Harnwegsinfektionen im Kindesalter – Diagnostik, Therapie und Prophylaxe


Laut ABDA-Datenbank soll StroVac® „bei Kindern zwischen 5 und 15 Jahren nur verwendet werden, wenn dies eindeutig erforderlich ist und der mögliche Nutzen gegenüber den eventuellen Risiken überwiegt.“ Uro-Vaxom® ist hingegen auch laut Leitlinie „ab dem Alter von vier Jahren bei rezidivierenden HWI ohne funktionelle oder anatomische Anomalitäten“ zugelassen.

Diese Einordnungen dürften Ärz:tinnen helfen, bei der Verordnung zwischen StroVac® und Uro-Vaxom® zu entscheiden, eine aktualisierte Leitlinie zu Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen dürfte dennoch mit Spannung erwartet werden – auch hinsichtlich der neuesten Ergebnisse zu Cranberry-Präparaten.

Orale oder parenterale Immunstimulation – was ist drin?

Uro-Vaxom (OM 89) besteht aus lyophilisierten lysierten Fraktionen von 18 ausgewählten E. coli-Stämmen. Die Wirkungsweise soll in einer Stimulation immunkompetenter Zellen der Darmschleimhaut (z.B. Peyer-Plaques), einer Stimulation von B-Lymphozyten und NK-Zellen sowie einer Stimulation sekretorischer Immunglobuline (sIgA) im Darm bzw. und schließlich über eine Zunahme der Konzentration von sIgA im Urin bestehen.“ 

[Quelle: S2k-Leitlinie Harnwegsinfektionen im Kindesalter – Diagnostik, Therapie und Prophylaxe]

„Der Impfstoff StroVac® (vormals Solco-Urovac®) ist zur Langzeitprävention rezidivierender Harnwegsinfektionen zugelassen. Er enthält 109 inaktivierte Erreger von insgesamt 10 Stämmen aus 5 Spezies.“

[Quelle: S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten (abgelaufen) ]


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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