Importe, Rezepturen

Antibiotika-Mangel – können Notmaßnahmen wirklich helfen?

Berlin - 04.05.2023, 17:50 Uhr

Antibiotika-Säfte für Kinder sind derzeit ein besonderes Problem – aber auch andere Arzneimittel fehlen. Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. (IMAGO / CHROMORANGE)

Antibiotika-Säfte für Kinder sind derzeit ein besonderes Problem – aber auch andere Arzneimittel fehlen. Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. (IMAGO / CHROMORANGE)


Die fehlenden Antibiotika-Säfte für Kinder treiben Apotheken, Kinderärzte und Eltern an ihre Grenzen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach verspricht zwar Tempo beim Engpass-Gesetz, zudem hat sein Haus den Länderbehörden ermöglicht, Importe zu gestatten. Doch eine schnelle Lösung der Probleme ist damit nicht zu erwarten. Klar dürfte allen sein: Wer etwas bewirken will, muss Geld in die Hand nehmen.

Lieferengpässe bei Arzneimitteln gehören schon seit Jahren zum Alltag der Apotheken. Doch erst als Kinderarzneimittel knapp wurden, kam vor einem guten halben Jahr auch Bewegung in die Politik. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) predigt seitdem, dass man die Ökonomisierung im Bereich der Arzneimittelversorgung zu weit getrieben habe. Und erst diese Woche räumte er erneut ein, dass die Probleme seit zehn Jahren bekannt seien. „Es ist nie viel gemacht worden“, sagte er am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Jetzt haben wir sehr schnell ein Gesetz durchs Kabinett gebracht, und ich bin ganz sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen im Parlament dieses Gesetz auch schnell beschließen werden.“

Bedenkt man, dass die Eckpunkte für besagtes Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen und zur Verbesserung der Versorgung von Kindern seit kurz vor Weihnachten vorliegen, wirkt das Tempo allerdings eher beschaulich. Kommende Woche steht zunächst der erste Durchlauf des ALBVVG-Entwurfs im Bundesrat an – es steht zu erwarten, dass das Länderplenum eine Stellungnahme im Sinne der Apotheken beschließen wird. Die erste Lesung im Bundestag ist Ende Mai geplant. Mitte Juni soll die Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags erfolgen, danach die abschließende Beratung im Bundestag. Anfang Juli ist dann der zweite Durchgang im Bundesrat – zum 1. August sollte das Gesetz spätestens in Kraft treten.

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Aber allen ist wohl klar, dass das Gesetz keine schnellen Erfolge bringen wird. Vielmehr hat das Bundesgesundheitsministerium erst einmal einen Versorgungsmangel für antbiotikahaltige Säfte für Kinder bekannt gemacht – nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diesen festgestellt hat. Eine Reihe von Ländern hat mittlerweile auf Grundlage dieser Bekanntmachung Allgemeinverfügungen erlassen, die den zuständigen Landesbehörden ermöglichen, im Einzelfall ein Abweichen von den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes zu gestatten (nach Maßgabe von § 79 Abs. 5 und 6 AMG). Mittlerweile haben auch Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern angekündigt, die Einfuhr nicht zugelassener Antibiotika-Säfte aus dem Ausland zu erlauben.

Eine echte Erleichterung für die Apotheken ist damit jedoch nicht erreicht. Es ist unklar, ob es überhaupt ausreichend importfähige Ware in der richtigen Qualität gibt. Informationen über verfügbare Importmengen will das BfArM den Landesbehörden schnellstmöglich zur Verfügung stellen, sagte ein BfArM-Sprecher dem Tagesspiegel Background. Um diese zu identifizieren, stehe das BfArM aktuell „im engen Austausch mit den anderen europäischen Arzneimittelbehörden“. 

Overwiening: Apothekenteams müssen den Karren aus dem Dreck ziehen

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte am gestrigen Mittwoch gegenüber der dpa: „Die Apothekenteams müssen für die Politik nun also erneut den Karren aus dem Dreck ziehen und auf Basis der Behördenentscheidungen alternative Arzneimittel aus dem Ausland beschaffen, um die Patientinnen und Patienten schnell versorgen zu können“. Sie forderte, dass wieder mehr Produktion nach Europa geholt werden müsse, „um allzu komplexe und damit leicht anfällige Lieferketten aus Fernost zumindest bei wichtigen Arzneimitteln zu vermeiden“. Kurzfristig bräuchten die Apotheken einen größtmöglichen Entscheidungsspielraum bei der Abgabe von Arzneimitteln.

Auch der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, erklärte gegenüber der „Rheinischen Post“, dass jetzt kein Aktionismus helfe. „Der Bundesgesundheitsminister muss die strukturellen Probleme in der Versorgung mit rezeptpflichtigen Generika lösen. Es muss sich für die Hersteller wieder lohnen, Standardmedikamente wie Antibiotika herzustellen“. Und weiter: „Der Staat sollte wie beim Impfstoff feste Abnahmemengen zusagen, damit könnten der Versorgungsmangel geheilt und eine nationale Antibiotika-Reserve aufgebaut werden.“ Zugleich brauche man „schnell eine einfache Aut-Simile-Lösung – Apotheken sollten ohne neues Rezept alternative Medikamente ausgeben dürfen“, so Preis.

In Nordrhein-Westfalen waren die Engpässe gestern auch Thema einer Aktuellen Stunde im Landtag – einberufen von der schwarz-grünen Regierungskoalition. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) dämpfte dort ebenfalls allzu große Erwartungen an die eröffneten Möglichkeiten für Importe und Rezepturen. Die Arzneimittel seien ebenso wie die Grundsubstanzen für Antibiotika weltweit knapp. Die Herstellung lasse sich auch nicht von heute auf morgen nach Europa zurückbringen. Laumann machte zugleich klar: Um die Lieferketten wieder sicher zumachen, müsse man mehr Geld in die Hand nehmen.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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7 Kommentare

Eventuell einfach mal anfangen?

von Chris am 05.05.2023 um 13:09 Uhr

Es gibt immer viele Gründe dagegen sprechen. Merkwürdigerweise haben die Apotheken die Sache bei den Desinfektionsmitteln doch auch hinbekommen!
DAC und NRF unterstützen in Sachen technischer Umsetzung und wir praktizieren das auch. Dafür braucht es keine teuren Abfüllanlagen sondern eine funktionierende Rezeptur die ggfs auch Defektur kann. Am End geht es um den Patienten und aktuell besonders um pädiatrische Patienten. Da strenge ich mich für meinen Teil, gerne mal ein wenig an ...

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Erleichtert die Rezeptur/Defektur

von Chris am 05.05.2023 um 11:31 Uhr

Sämtliches Politikergesäusel ist überflüssig ...
Davon kommt keine einzige Flasche Fieber- oder Antibiotikasaft in eine Apotheke.
Was jetzt helfen könnte oder würde, wäre z.B. die Erleichterung von Wirkstoffimporten. Und wenn es in Europa keine Ware mehr gibt, dann kommt die eben aus China oder Indien. Dort kaufen die industriellen Hersteller auch ein. Was an relevanten Dokumenten fehlt, wird bei Bedarf hier durch eine Voll- oder Teilanalyse gemäß Ph. Eur. ergänzt. Wenn beispielsweise mehrere Rezepturherstellende Apotheken 100 kg Amoxicillin trihydrat bestellen, relativieren sich diese Analysenkosten. Allerdings wird vermutlich der Zoll oder die Aufsicht den Import zu verhindern wissen. Damit hat alles seine Ordnung und der Versorgungsnotstand bleibt bestehen. Mit ratlosen und kollegialen Grüßen ....

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AW: Erleichtert die Rezeptur/Defektur

von Rainer W. am 05.05.2023 um 11:58 Uhr

Die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen.

Aktuell gibt es mit dieser Vorstellung so viele Probleme: Eine Defektur dürfte kaum wirtschaftlich sein, insbesondere, wenn man den Platz und Zeitlichen Aufwand für 100kg Säfte berücksichtigt. Abfüllanlagen lassen sich nicht rechtzeitig errichten und auch niemals abbezahlen von der mageren Marge. Und selbst wenn die Marge angehoben würde wäre das Zeug unverkäuflich, sobald es wieder Ware aus dem Mass Market gibt.

Hier gibt es so viele juristische und wirtschaftliche Fallstricke, nur mit einer entsprechend umsichtigen Regelung wird das jemand in die Hand nehmen.

Und wenn man sich dann ansieht, wie lange selbst die einfachsten Veränderungen oder Verlängerungen der Regeln dauern wird es Jahre dauern, bis so etwas umgesetzt wird.

Klares Nein

von ratatosk am 05.05.2023 um 8:45 Uhr

Für die EU ein klares Nein !, es können nur unsolidarisch ärmere Länder ausgekauft werden. Die selben Gestalten aus Politik und GKV die noch vor wenigen Jahren einen großen Skandal darin gesehen haben, daß ein ein paar Apotheken kleine Menge für den Import aufgekauft wurden, zwingen uns über die Importregeln seit Jahren die ärmeren Länder, oder die die keine volle MwSt. abzocken leerzusaugen. Es handelt sich um eine völlige moralische und fachliche Bankrotterklärung.
Auch die nicht dauerhafte Fortführung der erleichterten Austauschregeln zeigt die wahren Absichten oder einfach Dummheit. Und wenn die GKV Apparatschiks ein paar Kickback abgreifen können spielt sowie alles andere keine Rolle.Da die Knappheit jetzt die Krankenhäuser erreicht hat, kommt es natürlich zu Toten dadurch, tolle Leistung.
Aber vielleicht bietet Karl ja einen tollen Kiosk an, der das löst.
Die Milliardenverwschendung von Securpharm in Produktion investiert, dann hätten wir dieses Problem gar nicht, aber zu dieser einfachen aber unspektakulären Lösung reicht es in Politik und Bürokratie leider nicht mehr. Darüberhinaus hätten auch die Berater und Zertifizierer nicht abkassieren können.

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AW: Auf den Punkt

von Stefan Haydn am 05.05.2023 um 10:19 Uhr

Punkt eins ist so auf den Punkt. Politik und Krankenkassen haben von EU-Ländern mit geringerer Kauf- und Wirtschaftskraft maximal schmarotzt. Bei dringend benötigten Fachkräften ja selbiges.
Man hat dort den Markt quasi leergekauft und die Befindlichkeiten der dortigen Bevölkerung einfach ignoriert.
Erst als durch die absurde Preispolitik Medikamente für den Export in andere EU-Länder attraktiv wurden und bei uns vergleichbare Mangelsituationen aufgtereten sind, kam der große Aufschrei. Medizinisches Fachpersonal wird uns ja auch konsequent von der Schweiz "schmarotzt".

Die Scheinheiligkeit in diesem Land ist nur noch zum K...n!

AW: DANKE!

von Holger am 08.05.2023 um 8:54 Uhr

Sie bringen es sehr gut auf den Punkt!!
Und wir müssen uns doch darüber im Klaren sein, dass bei eingeschränkter Verfügbarkeit von Präparaten in Deutschland aber weiter bestehender Verfügbarkeit der gleichen Produkte im benachbarten Ausland (sonst wäre Import ja nicht möglich), doch wohl NATIONALE Probleme verursachend für den Engpass sein müssen und nicht nur die "bösen" Asiaten, die alle Wirkstoffe für sich behalten ...

Besonders gelungen finde ich den Aspekt von Securpharm - da hauen wir die Milliarden für die Lösung eines Problems raus, das wir eigentlich gar nicht haben und wenn dann auf diesem Weg gewiss nicht lösen können. Mutmaßlich sind wir in Deutschland auch wieder mal das einzige Land der EU, das diesen Sch..... flächendeckend und konsequent umsetzt. Und dann fehlen uns genau diese Milliarden an anderen Stellen. Sankt Bürokratius MUSS man einfach lieben!

Das kann noch dauern...

von Rainer W. am 04.05.2023 um 22:31 Uhr

... Immerhin ist das Gesetz zu den Abgabeerleichterungen seit einem Monat fertig und noch immer nicht veröffentlicht.

Apotheken, die aktuell die Bevölkerung in dieser Mangellage versorgen haben immer noch keine Rechtssicherheit, dass die Versorgung bezahlt wird.

Und bevor das alte fertig ist wird wieder an was neuem gestrickt aber die, die es umsetzen sollen werden wieder im Regen stehen gelassen.

Ohne mich. Ich hab die Schnauze voll von diesem Pfusch. Macht ihr erst mal eure Arbeit, dann kann ich meine machen.

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