Antibiotika unter dem Mikroskop

Vancomycin und Co. hemmen neben Zellwandsynthese auch die Zellteilung

Krefeld - 26.04.2023, 09:15 Uhr

Vancomycin zählt zu den Reserveantibiotika, wie es im Detail wirkt, ist aber noch Gegenstand der Forschung. (Symbolbild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited)

Vancomycin zählt zu den Reserveantibiotika, wie es im Detail wirkt, ist aber noch Gegenstand der Forschung. (Symbolbild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited)


Mit Blick auf die Zunahme von Antibiotika-Resistenzen wollen Forscher besser verstehen, wie Antibiotika auf zellulärer Ebene wirken. An der Universitätsklinik Bonn wurde nun mittels Hochleistungsmikroskopie am Beispiel von Staphylococcus aureus der Wirkmechanismus der Antibiotika Oxacillin, Vancomycin und Telavancin genauer untersucht. Die Erkenntnis: Schlüsselwirkung dieser Antibiotika ist die Hemmung der Zellteilung. Noch handelt es sich um Grundlagenforschung, doch die Forscher ziehen erste Schlüsse für die Praxis.

Telavancin ist ein Glykopeptid-Antibiotikum, genauso wie Vancomycin. Anders als für Vancomycin ist derzeit für Telavancin aber kein Fertigarzneimittel in der Lauer-Taxe gelistet (Stand: 25.04.2023). Beide Substanzen hemmen die bakterielle Zellwand-Synthese. Oxacillin zählt zu den Penicillinen und ist derzeit auch nicht als Fertigarzneimittel in der Lauer-Taxe aufgeführt. Doch auch bei Oxacillin wird die Hemmung der bakteriellen Zellwandsynthese als Wirkmechanismus beschrieben. 

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Während also alle drei Antibiotika die Zellwandsynthese (in unterschiedlicher Weise) hemmen, war bislang nicht klar, welche genauen Konsequenzen diese Wirkung letztlich für die Bakterien hat. Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn haben an dieser Stelle nun etwas genauer hingeschaut: Mithilfe von Hochleistungsmikroskopen und fluoreszenzmarkierten Schlüsselproteinen haben sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Dr. Fabian Grein, Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie des UKB und Institutsleiterin Professorin Dr. Tanja Schneider zusammen mit dem Team um Ulrich Kubitscheck, Professor für Biophysikalische Chemie an der Universität Bonn, angesehen, was genau passiert, wenn die drei Antibiotika Bakterien der Art Staphylococcus aureus hemmen und töten. Die Forschungsarbeit war Bestandteil des DFG-Sonderforschungsbereiches TRR 261 „Antibiotic CellMAP“, der auf der einen Seite Wirkmechanismen von Antibiotika, auf der anderen Seite die zellulären Vorgänge bei der Biosynthese von Antibiotika genauer aufklären soll.

Glykopeptid-Antibiotika hemmen die Zellteilung 

Die Bonner Forscher fanden heraus, dass Murein (Peptidoglykan) nicht nur der wichtigste Baustein bakterieller Zellwände ist, sondern dass dessen Synthese ein ganz wesentlicher treibender Bestandteil der bakteriellen Zellteilung ist. Die Murein-Synthese findet also nicht nur „auch während“ der Zellteilung statt. Der hemmende Effekt der Antibiotika auf die Zellwandsynthese hat damit eine recht unmittelbare Wirkung: „Wir fanden einen schnellen und starken Effekt von Oxacillin sowie der Glycopeptid-Antibiotika Vancomycin und Telavancin auf die Zellteilung. Das Zellteilungsprotein FtsZ diente hierbei als Marker und wurde von uns beobachtet“, sagt Jan-Samuel Puls, Doktorand am Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie des UKB. 

Dazu wurde FtsZ neben anderen Proteinen fluoreszenzmarkiert. Dieses Zellteilungsprotein FtsZ bildet in der Zellmitte der Bakterien den sogenannten Z-Ring und leitet so den Teilungsvorgang ein. Dort bildet sich die neue Zellwand mit dem Hauptbestandteil Peptidoglykan. Den Effekt der verschiedenen Antibiotika auf die Bakterien untersuchten die Forschenden über die Zeit mit superauflösender Mikroskopie. Eine automatisierte Bildanalyse erlaubte dabei die schnelle Analyse aller Zellen in den untersuchten Proben. Dabei fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Effekt binnen Minuten. Sie konnten zeigen, dass die beiden Glykopeptid-Antibiotika schnell und mit einem drastischen Effekt den Aufbau der Zellwand und damit gleichzeitig die Zellteilung hemmen.

Neue Erkenntnisse zu Oxacillin

Für das Betalaktam-Antibiotikum Oxacillin zeigten die Bonner, dass es das essenzielle Penicillin-bindende Protein 2 (PBP2) daran hindert, sich während des Teilungsprozesses korrekt zu lokalisieren – was ebenfalls über die Hemmung der Zellwandsynthese die Zellteilung unterbindet. Damit klärten sie gleichzeitig die Funktion von PBP2 weiter auf, welches Zellwandkomponenten miteinander verknüpft. „Das bedeutet, dass PBP2 nicht an die Stelle gelangt, wo es gebraucht wird. Die Folge ist, dass die Zelle sich nicht teilen kann“, sagt Grein. „Wichtig ist, dass dies alles unmittelbar nach der Zugabe der Antibiotika passiert. Entscheidend sind also die ersten zellulären Effekte, die bislang nicht besonders intensiv untersucht wurden.“

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Bonner Forschenden jetzt im Fachmagazin „Science Advances“.

Glykopeptid-Antibiotika verhindern erste Konstriktionsphase der Zellteilung

Molekular aufgeschlüsselt schlagen die Forschenden ein Modell für die Wirkung der Antibiotika vor, die die Peptidoglykansynthese hemmen: So schreiben die Bonner, dass sie Glykopeptide-Transglykosylase-(TGase)- und Transpeptidase-(TPase)-Reaktionen der Proteine hemmen, die an der frühen Phase der Teilung beteiligt sind. Transglykosylasen verknüpfen dabei Zuckerseitenketten, während Transpeptidasen die Quervernetzung von Peptiden befördern. Damit verhindern diese Antibiotika bereits die sogenannte erste Konstriktionsphase der Zellteilung, indem sie an das Substrat der TGasen und TPasen binden. 

Oxacillin stört dagegen die Rekrutierung von PBP2 in das sich bildende Septum, indem es an die TPase aktive Region des PBP2 bindet. Es verhindere so, dass die Zellen in die zweite Phase übergehen, in der der Septumverschluss durch die PBP2-Aktivität angetrieben wird, schreiben die Forscher. „Unser Modell identifiziert die Hemmung der Zellteilung als zelluläre Schlüsselwirkung von Antibiotika, die auf die Zellwandbiosynthese abzielen“, schreiben die Bonner. Bislang hieß es dagegen in entsprechender Literatur oft, die fehlerhafte Quervernetzung der Zellwände infolge der Antibiotika führe zum Platzen der Bakterienzellen. Dass die Hemmung der Zellwandsynthese aber bereits die Zellteilung inhibiert, ist dagegen eine neue Erkenntnis der Bonner Forschenden.

Zelluläre Wirkmechanismen unterscheiden sich im Detail 

Ein gänzlich allgemeines Prinzip für die Wirkung der Betalaktame und Glykopeptide ließe sich aus den Beobachtungen allerdings wohl dennoch nicht ableiten, sagt Grein. „Es gibt viele verschiedene ß-Laktam- und Glycopeptidantibiotika und das Interessante ist, dass obwohl alle diese Betalaktam- beziehungsweise Glycopeptid-Antibiotika meist die gleichen Zielstrukturen haben – das Penicillin-Bindeprotein beziehungsweise neu synthetisiertes Peptidoglykan –, stellen wir fest, dass die zellulären Wirkmechanismen im Detail doch teilweise verschieden sind, dies wollen wir in der Zukunft weiter untersuchen“, sagt der Forscher. Zudem gebe es etwa bei den Betalaktamen teilweise große Unterschiede, was die Affinität der Antibiotika zu den verschiedenen Penicillin-Bindeproteinen angehe. „So hat das von uns verwendete Oxacillin eine hohe Affinität zu dem untersuchten PBP2. Eine direkte Verallgemeinerung ist in allen Details also nicht möglich. Die Grundaussage, dass sowohl Betalaktame als auch Glycopeptidantibiotika direkt die Zellteilung inhibieren, aber vermutlich schon“, sagt Grein.

Was heißt das für die Praxis?

Die Arbeit der Forschenden sei eher der Grundlagenforschung zuzuordnen, mit dem Ziel, die grundlegenden Prinzipien bei der Wirkungsweise von Antibiotika aufzuklären. „Konkret lernen wir aus unseren Arbeiten aber zum Beispiel folgendes: Vancomycin ist ein Antibiotikum, das relativ langsam Bakterien abtötet. Das heißt, die Bakterien beginnen erst nach mehreren Stunden abzusterben. Unsere Arbeit zeigt aber, dass unmittelbar nach der Zugabe des Antibiotikums die Bakterien an der Zellteilung gehindert werden. Somit hat Vancomycin – und auch Telavancin – einen sofortigen bakteriostatischen Effekt. Solche Erkenntnisse können zum Beispiel bei der Kombinationstherapie von großer Bedeutung sein“, sagt der Bonner.

Als weitere Forschungsziele wolle man die nun gewonnenen Erkenntnisse noch weiter vertiefen. „In unserer künftigen Forschung möchten wir zum einen den Effekt der Delokalisierung des essenziellen PBP2 molekular auflösen. Wir wollen verstehen, wie es genau dazu kommt und welche Rolle das Peptidglykan-Vorläufermolekül Lipid 2 in diesem Zusammenhang genau spielt. Zum anderen wollen wir den Effekt verschiedener Glycopeptidantibiotika vergleichend untersuchen“, erklärt Grein.

Insgesamt soll die Forschung dazu beitragen, unter anderem mit Blick auf die Zunahme von Antibiotika-Resistenzen weltweit ein besseres Verständnis zu bekommen, wie genau diese Wirkstoffe auf zellulärer Ebene funktionieren. Das soll auch helfen, neue Antibiotika zu entwickeln, sagen die Forschenden.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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