Entwicklung Antiviraler Wirkstoffe

Naturstoffe – „Bodenschätze“ als neue Waffen gegen Viren

Düsseldorf - 14.04.2023, 10:45 Uhr

Bodenbakterien produzieren eine Vielzahl an Sekundärmetaboliten, die es ihnen ermöglichen, sich gegen konkurrierenden Bakterien, Pilze, aber auch Viren zu schützen. (Symbolbild: ReisMedia / AdobeStock)

Bodenbakterien produzieren eine Vielzahl an Sekundärmetaboliten, die es ihnen ermöglichen, sich gegen konkurrierenden Bakterien, Pilze, aber auch Viren zu schützen. (Symbolbild: ReisMedia / AdobeStock)


Neue Wirkstoffe gegen Viren werden unter anderem bei den Sekundärmetaboliten von Organismen im Pflanzenreich oder im Meer gesucht. Aber auch das Mikrobiom von Bodenproben direkt vor der Haustür birgt noch ungeahnte Schätze – das haben jetzt Forschende des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) entdeckt. Gleich zwei neue Klassen von Naturstoffen mit antiviralen Eigenschaften kamen nun zutage.

„Warum denn in die Ferne schweifen, das Gute liegt so nah“ – dieses leicht abgewandelte bekannte Goethe-Zitat passt manchmal auch auf die Wissenschaft. Bei ihrer Suche nach neuen Naturstoffen, mit denen sich Pathogene bekämpfen lassen, hatten die Forschenden aus dem Team um Professor Rolf Müller, geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), aufgerufen, Bodenproben einzuschicken. Bei dem Bürgerwissenschaftsprojekt „Die Mikrobielle Schatzkiste“ kamen so über 700 Bodenproben zusammen, aus denen die Wissenschaftler insbesondere mehr als 1000 neue Stämme der Ordnung Myxobacteria isolierten. Die sekundären Metabolite dieser noch wenig erforschten Bodenbakterien sowie die der bekannteren Actinobacteria sind es, auf die die Forschenden bei ihrer Suche nach neuen Antibiotika und antiviralen Substanzen setzen. Erfolg hatten die Wissenschaftler dabei ausgerechnet bei einer Probe, die sie selbst vor der Haustür ihres Instituts nahmen.

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Bislang trägt der Stamm aus der Gattung der Myxococcaceae, der aus Bodenmaterial vom Campus der Universität des Saarlandes stammt, nur die Bezeichnung MCy9487. Doch einige seiner sekundären Metabolite haben großes Potenzial, in der Zukunft zu wirksamen Mitteln gegen verschiedene Viren weiterentwickelt werden zu können. Die so neu entdeckte Naturstoffklasse der Thiamyxine zeigte der Arbeit der Forscher zufolge die Fähigkeit, RNA-Viren aus der Gruppe der Corona-, Zika- und Dengue-Viren stark zu hemmen. Die HIPS-Wissenschaftler zeigten das in Virusinfektionsmodellen im Labor. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichten die Saarbrücker nun im Fachmagazin Angewandte Chemie (International Edition).

Weitere neue Naturstoffklasse ist ähnlich aktiv wie Remdesivir

Gemeinsam mit Virologen der Arbeitsgruppen von Professor Thomas Pietschmann am Twincore-Forschungszentrum für experimentelle und klinische Infektionsforschung und den Wissenschaftlern um Professor Ralf Bartenschlager am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) untersuchten die Forscher die Thiamyxine auf ihre Eigenschaften hin und konnten durch Fütterungsexperimente mit speziell markierten Vorläufersubstanzen ein Biosynthesemodell beschreiben.

Die gleiche Arbeitsgruppe am HIPS fand außerdem noch eine weitere bislang unbekannte Naturstoffklasse, die RNA-Viren hemmen kann. Diese sogenannten Persicamidine stammen anders als die Thiamyxine allerdings aus Bakterien der Klasse Actinobacteria. Die Wissenschaftler führten an den Persicamidinen unter anderem Strukturanalysen durch und fanden, dass diese Stoffe gegen die Coronaviren SARS-CoV-2, also den COVID-19-Erreger, sowie gegen das „Erkältungsvirus“ hCoV-229E in vergleichbarer Weise aktiv sind wie der Wirkstoff Remdesivir, das sich ebenfalls von einem Naturstoff ableitet (in dem Fall produziert von einem Flachwasserschwamm aus dem karibischen Meer).

Die Wissenschaftler vermuten, dass die beiden neuen Substanzklassen auch bei den Bakterien, die sie produzieren, eine antivirale Wirkung haben könnten. „Bakterien produzieren in ihrer natürlichen Umgebung – in den beiden vorliegenden Fällen also im Boden - eine Vielzahl an Sekundärmetaboliten, die es ihnen ermöglichen, sich möglichst gut an die vorherrschenden Bedingungen anzupassen und so ihre ökologische Nische zu besetzen. Die produzierten Substanzen erlauben es den Bakterien unter anderem, sich gegen Fressfeinde zu schützen und konkurrierende Bakterien am Wachstum zu hindern oder sogar abzutöten. Da zu den natürlichen Feinden von Bakterien nicht nur andere Bakterien oder Pilze, sondern auch Viren zählen, – sogenannte Bakteriophagen – benötigen diese entsprechend auch Substanzen, die ihnen dabei helfen, sich gegen diese zu wehren. Wir gehen also davon aus, dass die beiden von uns isolierten Substanzen Teil einer Art bakteriellen ‚Immunsystems‘ sind“, sagt Müller.

Bei Wirkmechanismen steht man noch ganz am Anfang

Als einer der nächsten Forschungsschritte soll nun der genaue Wirkmechanismus der Persicamidine und Thiamyxine aufgeklärt werden. „Im Fall der Persicamidine stehen wir, was den Wirkmechanismus angeht, noch weitgehend im Dunkeln. Wir wissen lediglich, dass wir bei SARS-CoV-2 und dem Lassavirus eine Beteiligung der RNA-abhängigen RNA-Polymerase (RdRP) mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen können. Bei den Thiamyxinen zeigen unsere Analysen hingegen, dass eine Beteiligung der RdRP denkbar ist, allerdings gehen wir davon aus, dass hier noch weitere, bislang unbekannte, Faktoren involviert sind“, sagt der Forscher.

Bis aus den Naturstoffen allerdings neue Therapeutika werden können, könne noch einige Zeit vergehen, meint der Wissenschaftler. „Bei den Persicamidinen arbeiten wir aktuell an der Aufklärung der Biosynthese. Parallel wollen wir versuchen, die Substanzklasse mittels Total- oder Semisynthese zugänglich zu machen und neue Derivate mit möglicherweise verbesserter Aktivität zu generieren. Zu den Thiamyxinen konnten wir gemeinsam mit unseren Partnern bereits eine Totalsynthese durchführen. Entsprechend generierte Derivate werden von uns aktuell getestet und charakterisiert. In beiden Fällen stehen wir also noch ganz am Anfang, was die Entwicklung zu potenziellen Medikamenten angeht. Bevor ein Wirkstoff überhaupt in klinischen Phasen am Menschen getestet werden kann, muss noch eine Vielzahl an Untersuchungen und gegebenenfalls Anpassungen durchgeführt werden. Dieser Prozess dauert in der Regel mehrere Jahre“, sagt Müller.

Man werde darüber hinaus zukünftig die Suche nach antiviralen und antibakteriellen Naturstoffen noch ausweiten. „Antibakterielle Wirkstoffe – also Antibiotika - waren schon immer der Fokus der wissenschaftlichen Aktivitäten am HIPS. Nicht zuletzt durch die Pandemie sind in den letzten Jahren aber auch einige Projekte zu antiviralen Wirkstoffen dazugekommen. Hier können wir die vorhandenen Technologien und unsere gesammelten Erfahrungen aus dem Bereich der Antibiotikaforschung gewinnbringend einsetzen und müssen nicht bei null anfangen. Dennoch wird das HIPS auch in Zukunft hauptsächlich nach neuen Antibiotika forschen, da hier unsere Hauptexpertise liegt. Neben den Bodenbakterien etablieren wir aktuell auch das menschliche Mikrobiom, also die Gesamtheit aller im und am Menschen vorkommenden Mikroorganismen, als sehr vielversprechende Quelle neuer Naturstoffproduzenten“, erklärt Müller.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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