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Genusscannabis durch die Studi-Brille

02.02.2023, 13:45 Uhr

Cannabis zu Genusszwecken: ein Blick durch die Brille von Pharmaziestudierenden. (Foto: Svitlana / AdobeStock)

Cannabis zu Genusszwecken: ein Blick durch die Brille von Pharmaziestudierenden. (Foto: Svitlana / AdobeStock)


Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken steht hoch in der Debatte und noch sind viele Aspekte ungeklärt. So beispielsweise der Jugendschutz, die Prävention und die Rolle der Apotheken bei der Abgabe. Für die Pharmaziestudierenden stellt sich die Frage: Wie können wir später zu Cannabis beraten, wenn wir im Studium nicht adäquat darauf vorbereitet werden?

Seit die Bundesregierung 2021 angekündigt hatte, Cannabis zu Genusszwecken legalisieren zu wollen, ist die Diskussion um die Droge zu neuer Größe erwachsen. Cannabis ist heute die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Laut dem Epidemiologischen Suchtsurvey 2021 lag die 12-Monats-Prävalenz für den Cannabiskonsum bei den Erwachsenen bis 64 Jahre bei knapp 9 Prozent. Bei den jungen Erwachsenen bis 25 Jahren war es sogar jede*r Vierte, wobei die große Mehrheit der Anwender*innen es beim Probierkonsum beließ. Schätzungen zufolge entwickeln circa 9 Prozent der Konsument*innen eine Abhängigkeit.

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Das im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgeschriebene Vorhaben, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften einzuführen, wurde mit dem Eckpunktepapier der Bundesregierung im Oktober 2022 konkreter.

Zwei hypothetische Szenarien der Legalisierung

Die Regierung hat sich damit hohe Ziele gesetzt, die im Extrem so aussehen könnten:

Im besten Fall ist die Umsetzung mit EU- und Völkerrecht vereinbar. Die Qualität des abgegebenen Cannabis ist hoch und erfolgt nur an volljährige Personen. Durch den legalen Verkauf verschwindet der Schwarzmarkt; Prävention, Jugendschutz und öffentliche Aufklärung funktionieren einwandfrei. Die Gesundheitsgefahren sind gering und die Fälle von Substanzmissbrauch und pathologischer Sucht sind kaum ein Problem. Die Behörden werden durch die abnehmende Kriminalität entlastet und der Staat verbucht durch eine Cannabissteuer zusätzliche Einnahmen, die für die Bekämpfung von Suchterkrankungen eingesetzt werden können.

Es kann aber auch ganz anders kommen: Trotz der staatlich kontrollierten Abgabe von Cannabis gelangen Minderjährige in den Besitz der Substanz und konsumieren sie vermehrt. Dem Schwarzmarkt kann kein Paroli geboten werden; der Staat scheitert an den selbst gesteckten Zielen von öffentlicher gesundheitlicher Aufklärung und Präventionsmaßnahmen für Minderjährige. Der Konsum in jungen Jahren führt bei vielen Betroffenen zu einer Abhängigkeit und neben Alkohol und Nikotin erwächst Cannabis zu einem gesellschaftlichen Suchtrisikoprodukt. Diese Situation belastet das Gesundheitssystem und die Behörden. Cannabis wird außer zu Genusszwecken auch missbräuchlich für die Selbstmedikation angewandt.

Der Suchtproblematik begegnen

Als Berufsstand im Gesundheitswesen interessiert uns Apotheker*innen natürlich vor allem die medizinisch-pharmazeutische Seite des Themas. Wir sind berufen, pharmazeutische Tätigkeiten auszuüben. Hierunter fallen die Information und Beratung zur Anwendung sowie die Abgabe von Arzneimitteln – womit wir beim zentralen Konflikt sind: Es soll sich um Arzneimittel drehen, was sich nicht wirklich auf Cannabis zu Genusszwecken anwenden lässt. Auch unter apothekenüblicher Ware lassen sich Genussmittel nur schwer verordnen, wenn man einen Blick in die Apothekenbetriebsordnung riskiert. Die Debatte um Cannabis zu Genusszwecken in der Apotheke führt uns also zur Gretchenfrage für unseren Berufsstand: Welchem Zweck dient die öffentliche Apotheke? Sicher: Beraten und informieren, das sollten Apotheker*innen können. Cannabis zu medizinischen Zwecken wird einigen Patient*innen verschrieben und auch dazu möchten diese in der Apotheke gut beraten werden. Aber: Warum denn Cannabis zu Genusszwecken? Beschäftigen wir uns nicht eigentlich mit Gesundheit? Sollten wir in Apotheken dann nicht gleich noch Alkohol und Tabak staatlich reglementiert abgeben? Einen Sinn hätte das schon, denn Arzneimittelinteraktionen mit Nikotin und Alkohol gibt es genug, ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Risiken des Konsums dieser Drogen auch ohne zusätzliche Pharmakotherapie. So sehr man dieses Dilemma auch zerdenkt, abschließend werden sich nicht alle Fragen ausräumen lassen.

Ganz besonderes Augenmerk sollte noch auf die Suchtproblematik gelegt werden. Wir wissen mittlerweile aus zahlreichen Erhebungen, dass Cannabis einen substanziellen Suchtfaktor hat. Daher sollte ein wachsames suchtmedizinisches Auge auf die Entwicklung der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel schauen. Als Apotheker*innen liegt es in unserer Verantwortung, das medizinische und pharmazeutische Risiko zu beleuchten und das als Gesundheitswissenschaftler*innen auch politisch zu kommunizieren. Suchterkrankungen stellen eine erhebliche Belastung für Patient*innen, ihre Familien, die gesamte Gesellschaft und nicht zuletzt das Gesundheitssystem dar.

Es ist bedeutsam, schon im Kleinen anzusetzen. Apotheker*innen sind wir nicht nur von acht Uhr früh bis Ladenschluss. Apotheker*innen sind wir auch im Alltag, für unsere Mitmenschen und unser Umfeld. Gewissermaßen ein Fluch und ein Segen zugleich, der uns mit der Approbation ereilt. Selbige gibt uns aber auch die Möglichkeit, als Expert*innen aufzutreten. Vielleicht freut sich auch die Schule nebenan, wenn einmal ein*e Apotheker*in vorbeischaut und mit den Schüler*innen über Drogen, Sucht und Abhängigkeit spricht.

Die „Studi-Brille“

Eine Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken will also gesamtgesellschaftlich gedacht sein. Besonderen Fokus sollten wir auf mögliche medizinische Risiken legen und das Thema durch die Apotheken-Brille beäugen. Der Apotheken-Brille geht sinngemäß die Studi-Brille voraus. Wagt man einen Blick hierdurch, wird auffallen, dass sich ein klaffender Graben auftut zwischen dem, was an Kompetenzen zur adäquaten Beratung zu Cannabis notwendig ist, und dem, was im Pharmaziestudium gelehrt wird. Die Lehre steht und fällt aktuell mit dem Interesse der Professor*innen, das Thema im gelehrten Fach zu beleuchten. Ganz offen gestanden: Uns fehlt das Hintergrundwissen, welches für eine umsichtige Beratung zur Anwendung von Cannabis zu Genusszwecken nötig wäre. Eigentlich ein optimales Thema für die Klinische Pharmazie. Aber was ist schon anzufangen mit einem Fach, das im pharmazeutischen Fächerkanon vielleicht gerade an der 5-Prozent-Hürde kratzt? Eine betrübliche Betrachtung unseres Sorgenkindes Klinische Pharmazie, die uns doch eigentlich eine pharmazeutische Kernkompetenz an die Hand geben soll.

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Ipso facto lässt sich das Thema Cannabis nicht abschließend und eindeutig bewerten ist. Konflikte und Dilemmata ergeben sich nicht nur in der gesamtgesellschaftlichen Debatte, sondern auch auf Apothekenebene. Es wirft die Frage des Selbstverständnisses des Heilberufes auf. Was sicher ist: Im Studium ist Cannabis unterrepräsentiert. Lehre muss sich in einem Fach wie der Pharmazie viel mehr am Zeitgeist orientieren. Die vorhandenen Möglichkeiten sind vielfältig, denn wir entsinnen uns:  Nach Artikel 5 Grundgesetz ist die Lehre frei. Dennoch mahlen die Mühlen der deutschen Hochschulbildung leider häufig langsamer, als es zu wünschen ist.


Antonia Schmitz, BPhD-Beauftragte für Public Health
redaktion@daz.online


Julian Held, BPhD-Beauftragter für Gesundheitspolitik
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Betrüblich

von Stefan Haydn am 02.02.2023 um 20:29 Uhr

9% der Konsumenten entwickeln ein Suchtverhalten.

Klingt wenig, wird aber bei Freigabe durch die vermutlich deutlich höhere Konsumentenzahl in Summe gesellschaftlich gesehen dann doch recht relevant.

Entspricht etwa der Zahl an Patienten mit Spätfolgen nach der Corona-Erkrankung.
Ob man dies als Apotheker gut heißen kann?

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