Apotheken-Plattform Grüne Brise

„Lieferando“ für den lukrativen Cannabis-Parallelmarkt

Stuttgart - 05.01.2023, 09:15 Uhr

Das Start-up Breezy führt auf seiner Startseite die Apotheken-Plattform Grüne Brise, den Cannabis-Telemedizinanbieter Algea Care und einen Shop für Cannabis-Zubehör. (Screenshot: Breezy.de / Bearbeitung: DAZ) 

Das Start-up Breezy führt auf seiner Startseite die Apotheken-Plattform Grüne Brise, den Cannabis-Telemedizinanbieter Algea Care und einen Shop für Cannabis-Zubehör. (Screenshot: Breezy.de / Bearbeitung: DAZ) 


Die neue Apotheken-Plattform „Grüne Brise“ will das Lieferando für medizinisches Cannabis werden. Bisher können Patienten aber nur Privatverordnungen einlösen. Die entsprechenden Rezepte liefert das Dach-Unternehmen von Grüne Brise. Kritiker befürchten: Solche Konstrukte fokussieren eine Zwei-Klassen-Medizin und bagatellisieren Cannabis als Medizin.

Der Lieferdienst Lieferando präsentiert sich als eines der erfolgreichsten Geschäftsmodelle der letzten Jahre. Einen vergleichbaren Ansatz wollen neue und wachsende Apotheken-Plattformen im Arzneimittelmarkt durchsetzen. Eine dieser neuen Plattformen heißt „Grüne Brise“. Anfang Dezember 2022 endete die Testphase und es ging „richtig“ los. 

Grüne Brise sei das „Lieferando für medizinisches Cannabis“, titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) vor einem Monat. Der Vergleich zu Lieferdiensten liegt nahe. Die Plattform verspricht Patient:innen die Cannabis-Bestellung binnen zwei Minuten und eine maximale Lieferzeit von 72 Stunden per DHL. Nur die angebotene pharmazeutische Betreuung unterscheidet die gelieferte Ware vom Amazon-Paket.  

Mehr zum Thema

Bisher führt die Plattform zwei Apotheken auf, eine in Frankfurt am Main und eine weitere in Münster. Laut Grüne Brise werden weitere hinzukommen. Die DAZ erkundigte sich nach den Teilnahme-Bedingungen für Apotheken. Ein Sprecher antwortet: Wichtig sei eine „tiefgreifende Expertise“, „operative Skalierbarkeit“ und ein „hoher Servicegedanke“ der Apotheken.  

Die Plattform verspricht den Apotheken mehr Cannabispatient:innen aus dem gesamten Bundesgebiet. Zusätzlich soll sie nicht-pharmazeutische Anliegen der Patient:innen abfedern.  

Cannabis auf Privatrezept: ein lukrativer Parallelmarkt

Grüne Brise vertreibt nicht alle Cannabis-Arzneimittel, sondern legt den Fokus auf Cannabisblüten. Auch können Patient:innen bisher nur Privatverordnungen einlösen. Innerhalb des ersten Halbjahres 2023 soll auch die Belieferung von GKV-Rezepten möglich werden. 

Neben der Versorgung mit Blüten zulasten der Kasse habe sich offenbar ein lukrativer Parallelmarkt entwickelt, kommentiert Daniela Joachim, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundes Deutscher Cannabis-Patienten (BDCan), das Geschäftsmodell gegenüber der DAZ. Hier stellten Ärzte ohne Kassenzulassung private Rezepte aus. Sie seien für Patient:innen bestimmt, die beim Genehmigungsverfahren zur GKV-Kostenübernahme scheiterten oder es gar nicht erst versuchen. Joachim zufolge würden heute mindestens ebenso viele Rezepte von Selbstzahler:innen eingelöst, wie zulasten der GKV.  

Und der Anteil der Selbstzahler:innen könnte weiter wachsen. Denn nach einem Vorschlag des Gemeinsamen Bundesausschuss könnten auch die Hürden für die Blüten-Verschreibung größer werden. Grüne Brise ist darauf vorbereitet.  

Das Konzept Breezy Brands

Praktisch für Grüne Brise: Neue Privatverordnungen, die auf der Apotheken-Plattform landen, liefert zum Teil die eigene Unternehmensgruppe. Die Cannabis-Plattform ist eine Marke des Start-ups Breezy Brands, das aus der Bloomwell Group GmbH gegründet wurde. Auf Breezy.de erreichen Nutzer:innen mit zwei Klicks einerseits die Plattform Grüne Brise. Andererseits wirbt Breezy Brands auf der Startseite für die Partnerschaft mit einem weiteren Angebot der Bloomwell Group: die Privatarzt-Plattform Algea Care. Diese ist spezialisiert auf Privatverordnungen für medizinisches Cannabis. Laut Website sieht die Therapie so aus: Erst füllen Patient:innen online einen Fragebogen aus, der als „Vorab-Screening“ gilt. Dann können sie sich für die privatärztliche Behandlung an einem der 16 Standorte in Deutschland entscheiden.  

Joachim räumt gegenüber der DAZ-Redaktion ein, dass eine Plattform wie Grüne Brise Selbstzahlern im Fall von Lieferengpässen tatsächlich erleichtern könne, das verordnete Medikament zu bekommen. Doch durch das Modell sei eine Medizinalcannabis-Therapie oft nur den Menschen zugänglich, die finanziell gut aufgestellt sind. Das forciere eine Zwei-Klassen-Medizin. 

Wettbewerbsnachteil der Apotheke vor Ort

Die BDCan-Sprecherin ergänzt: Die meisten Cannabis-Privatrezepte landeten bei Apotheken, die ihr Geschäftsmodell auf die Selbstzahler ausgerichtet haben. Sie böten „selbstzahlerfreundliche“ Preise an, etwa durch den Einkauf großer Mengen Cannabis mit entsprechenden Rabatten sowie von Rezepturausgangsstoffen kurz vorm Ende der Aufbrauchfrist. Offenbar versuche Grüne Brise, diese Apotheken zu sammeln. Grüne Brise wiederum dementiert dies: Teilnahmebedingung für Apotheken sei nicht, zu wissen, wie sie die Preise für Selbstzahler niedrig halten können. 

Dennoch gibt Daniela Joachim zu bedenken: „Nichtspezialisierte Apotheken, die nur wenige Patient:innen vor Ort versorgen, sind nicht in der Lage, Selbstzahler:innen das Preisniveau der Versender zu bieten.“ Das führe zu einem Wettbewerbsnachteil der Apotheke vor Ort. 

Und wenn Plattformen hauptsächlich große Versandapotheken fokussieren, könnte das die Patientenversorgung gefährden. Christiane Neubaur vom Verband cannabisversorgender Apotheken (VCA) erklärt gegenüber der DAZ: „Eine Konzentration von wenigen großen Apotheken, die den Markt dominieren, macht es den Patient:innen nicht leichter, eine Apotheke vor Ort finden.“ Dabei sei die persönliche Betreuung chronisch Erkrankter stets die bessere Variante, so Neubaur. 

Auch dieser Vermutung widerspricht Grüne Brise. Denn schließlich könne sich jede Apotheke an das Start-up wenden, um Partner zu werden. „Wir wollen einen möglichst breiten Marktplatz aufbauen, aber mit dem Fokus, die Qualität hochzuhalten“, antwortet ein Sprecher des Unternehmens. 

Vor der Legalisierung ist nach der Legalisierung

„Qualität hochhalten“ scheint für Grüne Brise auch zu bedeuten, schon jetzt das Arzneimittel-Image von der Cannabis-Versorgung abzuschütteln. „Nutzer sollten sich nicht wie Patienten, sondern wie gewöhnliche Kunden behandelt fühlen“, sagte Breezy-CEO Janett Dalka der „FAZ“.  

Ist das schon eine vorgegriffene Cannabis-Legalisierung für Patienten, die es sich leisten können? „Durch die fehlende Prüfung der Krankenversicherungen können sich Trittbrettfahrer:innen eine persönliche Cannabis-Legalisierung zum Freizeitkonsum erschleichen“, schätzt Daniela Joachim von BdCAN. Das könne Medizinal-Cannabis in ein schlechtes Licht rücken und zur Stigmatisierung „echter“ Patient:innen beitragen. 

Firmen wie Grüne Brise und die Bloomwell Group kalkulieren mit der geplanten Cannabis-Freigabe. Wie ein Sprecher der DAZ erläutert, sei den Betreibern enorm wichtig, im Zuge der Legalisierung auch den Versandhandel mit dem Genussmittel zu ermöglichen. 

Daniela Joachim meint, Plattformen wie der Grünen Brise könne unterstellt werden, sich aufgrund der Pläne bereits jetzt in Position zu bringen und nach erfolgter Freigabe den medizinischen Bereich wieder zu verlassen, um sich auf das große Geschäft mit dem legalen Gras zu konzentrieren. „Cannabispatient:innen und deren Therapie sollten nicht als Sprungbrett für den Einstieg in den Freizeitkonsummarkt missbraucht werden“, warnt sie. 

Ein Sprecher von Breezy Brands versichert aber: „Mit Grüne Brise werden wir wiederum auch nach einer möglichen Legalisierung Cannabis-Patient:innen zuverlässig und flächendeckend versorgen.“ 

Bis die Cannabis-Plattform dieses Versprechen einlösen kann, wird noch viel Zeit vergehen. Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wird die Legalisierung sowieso nicht vor 2024 kommen. Und wenn sie gar scheitern sollte, könnte das „Lieferando für medizinisches Cannabis“ immerhin auf einen lukrativen Parallelmarkt zurückgreifen. 

 

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels entstand irrtümlich der Eindruck, dass Nutzer auf Breezy.de direkt die Privatarzt-Plattform Algea Care erreichen. Dies ist nicht korrekt. Vielmehr bewirbt Breezy Brands auf Breezy.de die Partnerschaft mit Algea Care. Auch betreibt Algea Care deutschlandweit 16 Standorte und nicht zwölf. Wir bitten dies zu entschuldigen. 


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Aufwand und Chancen durch Cannabis-Blüten und -Extrakte in der Apotheke

Jede Blüte macht Mühe

Cannabis-Verbände schreiben an Lauterbach und Blienert

Medizinalcannabis schützen, Eigenmedikation verhindern

Acht Cannabis-Verbände nehmen Stellung

„Rolle rückwärts“ für Medizinalcannabis?

Verband der Cannabis versorgenden Apotheken

„Prävention kann am besten in der Apotheke stattfinden“

Konsultationsprozess zur Legalisierung

Cannabis als Genussmittel – was fordern ABDA und VCA?

Fünf Minuten Zeitersparnis und ein Vielfaches an Rezepten

Medizinalcannabis fällt aus dem BtMG

Reaktionen aus der Apothekerschaft auf die geplante Cannabis-Legalisierung

„Wir brauchen klare Rechtssicherheit“

2 Kommentare

Service?

von Niels Bode am 06.01.2023 um 20:33 Uhr

"höher Servicegedanke" könnte schwierig werden. Alle Energie wird ja bereits dafür benötigt, das Kartenterminal bei Verdacht auf Kreditkartenzahlung schnell weg zu ziehen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Also doch

von Stefan Haydn am 05.01.2023 um 19:59 Uhr

Damit wird bestätigt, was Kollegen schon lange vermuten.
Es gibt also Apotheker, die sich zur Erschließung neuer Einkommensquellen jetzt auch als Cannabis-Dealer betätigen.
Dann ist die Legalisierung eh überflüssig, existiert ja quasi schon!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.