DAZ-Adventsrätsel – Tag 23

Ein Wirkstoff wird zum Antihelden

Stuttgart - 23.12.2022, 07:00 Uhr

Als Hustenmittel bei Kindern ist der Held der Geschichte unserer heutigen Frage aus der Apotheke verschwunden. Doch in manchen Fällen genügt auch eine warme Milch mit Honig. (Foto: photo_mts / AdobeStock)

Als Hustenmittel bei Kindern ist der Held der Geschichte unserer heutigen Frage aus der Apotheke verschwunden. Doch in manchen Fällen genügt auch eine warme Milch mit Honig. (Foto: photo_mts / AdobeStock)


Die Geschichte mancher Arzneistoffe klingt wie die eines Romanhelden. Die Reise einer gewissen Substanz könnte die spektakulärste aller Wirkstoffe sein. Im heutigen Rätsel suchen wir die Ausgangsstoffe dieses ursprünglichen Hustenmittels für Kinder.

Unsere Substanz erblickte im 19. Jahrhundert als Kind zweier Väter das Licht der Welt. In ihren Retorten kochten die beiden Männer eine seit vielen Jahren auf allen Erdteilen genutzte Arznei mit dem Anhydrid einer handelsüblichen Säure auf. Damit schufen sie nichts weniger als einen Helden der Medizin, der sich später leider als Antiheld entpuppen sollte.

Der erste Vater war ein Engländer, der zweite ein Deutscher. Der Deutsche erkannte gemeinsam mit seinem Arbeitgeber das Potenzial. Der Chemiker entwickelte ein Syntheseverfahren, das für die Großindustrie geeignet war, der Arbeitgeber steuerte Ideen für ein effektives Marketing bei. Mit „kein Husten mehr“ verbreitete die Firma ihren Helden international. Vorzugsweise für Kinder und Tuberkulose-Kranke sollte das Mittel geeignet sein. Neben Husten kam das Mittel bei vielen anderen Indikationen infrage: Der Hersteller versprach Linderung für zahnende Kleinkinder, für an Entzugserscheinungen leidende Kokainisten und Hypertoniker.

Doch nur wenige Jahre nach der Markteinführung warnten immer mehr Ärzte vor unserem Helden. Zwar linderte er so ziemlich jedes Leiden. Doch wollten sich Patienten nach der Genesung von ihrer Arznei trennen, erging es ihnen mitunter schlechter als vor der Therapie. Die Produzenten unseres Wirkstoffs versuchten jahrzehntelang, Gegner ihres Helden „mundtot [zu] schlagen“. Doch drei Jahrzehnte nach der Patentierung ihres Wundermittels musste man doch schließlich die Produktion einstellen.

Während damit die Apotheken-Karriere unseres Helden weitgehend endete, nahm die Karriere außerhalb der Pharmazie erst richtig Fahrt auf: Weltweit verfielen immer mehr Menschen der Wirkung der Substanz, die sie in aller Regel parenteral konsumieren. Heute stehen schätzungsweise neun Millionen Menschen weltweit in ständigem Kontakt mit ihr.

Auch wenn die Substanz aus der Apotheke gänzlich verschwunden ist: In Ausnahmefällen darf sie nun wieder von spezialisierten Ärzten in gereinigter Form abgegeben werden. Doch nicht Kinder mit Husten sind heute die Zielgruppe, sondern Patienten, die sich nicht von unserer heldenhaften Substanz trennen können.

Frage:

Mit welchen beiden Ausgangsstoffen synthetisierten ein deutscher und ein britischer Entdecker im 19. Jahrhundert den heutzutage obsoleten Wirkstoff?

Die Antwort lautet:

Indem sie Morphin mithilfe von Essigsäureanhydrid acetylierten, entdeckten zwei Forscher unabhängig voneinander Diamorphin. Als Erstem gelang dem Engländer Charles Romley Alder Wright 1873 die Synthese. Der bei Bayer angestellte Chemiker Felix Hoffmann führte 1896 dieselbe Synthese durch. Der Bayer-Konzern ließ die Substanz 1898 markenrechtlich als „Heroin“ schützen und vermarktete sie unter anderem als Hustenmittel für Kinder.


Diesen Artikel teilen: