In Zeiten von Lieferengpässen

Amoxicillin-Saft als Rezeptur? Geht!

Stuttgart - 22.12.2022, 15:45 Uhr

Christian Fleischhammel und Berthold Pohl haben gemeinsam eine Herstellungsvorschrift für einen Amoxicillin-Saft entwickelt. (Foto: privat)

Christian Fleischhammel und Berthold Pohl haben gemeinsam eine Herstellungsvorschrift für einen Amoxicillin-Saft entwickelt. (Foto: privat)


Die Apotheken in Deutschland versuchen immerhin einen Teil der derzeitigen Engpässe bei Kinderarzneimitteln mit Eigenproduktion zu überbrücken und stellen Ibuprofen- und Paracetamol-Suspensionen her. Aber warum eigentlich nicht auch Amoxicillin-Saft, der ebenfalls so gut wie nicht zu bekommen ist? Diese Frage hat sich der Münchener Apotheker Dr. Berthold Pohl gestellt und es ausprobiert. Mit Erfolg, wie er sagt.

Die Eigenherstellung der Apotheken soll in Zeiten massiver Lieferengpässe die Versorgung mit Kinderarzneimitteln sicherstellen. Das haben Politiker verschiedener Parteien eingefordert, zum Beispiel der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Die Rede ist dabei vor allem von Fiebersäften und -zäpfchen mit Ibuprofen oder Paracetamol. Doch bekanntermaßen fehlen nicht nur Analgetika in kindgerechten Darreichungsformen. Auch Antibiotika, allen voran Amoxicillin-Säfte sind nicht zu bekommen.

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Warum also nicht auch die herstellen, dachte sich Dr. Berthold Pohl, der die Max-Weber-Platz Apotheke in der Münchener Innenstadt betreibt. Gemeinsam mit seinem Laborleiter Christian Fleischhammel, PTA und Pharmakant, machte sich Pohl also daran, eine genießbare Rezeptur aus Tabletten zu entwickeln. Die seien zwar auch knapp, aber immerhin besser zu bekommen als die Säfte, so Pohl.

Süßorangenöl als Geschmackskorrigens

Die Basis der von Pohl und Fleischhammel entwickelten Rezeptur bildet die Grundlage für Suspensionen aus dem NRF (NRF S.52.). Da er über sein Unternehmen Lighthouse Pharma GmbH in Kooperation mit anderen Pharmaunternehmen galenische Entwicklung betreibe und zudem eigene Produkte entwickle, sei sein Labor mit diversen Aromatika ausgestattet. So sei es gelungen, den problematischen Geruch und Geschmack weitestgehend zu maskieren, berichtet er. Und zwar durch Süßorangenöl. Wenn die Einnahme trotzdem noch verweigert wird, empfiehlt der Apotheker und zweifache Familienvater, den Saft unter süßen Joghurt oder Quark zu mischen. „Das funktioniert und ist mit Penicillinen und auch Cephalosporinen kompatibel.“

Amoxicillin Suspension 250mg/55m

Amoxicillin Tbl. 1000 mg5 Stück
Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen (NRF S.52.)100,40 g
Oleum Aurantii dulcisq.s.
  • 5 Tabletten aus dem Blister drücken und abwiegen
  • 6! Tabletten im Mörser zu feinem Pulver verreiben und die Masse von 5! Tabletten abwiegen
  • zu suspendierenden Feststoff bzw. homogenes Feststoffgemisch in Fantaschale  vorlegen
  • mit etwa gleicher Menge Dispersionsmittel homogen verreiben, begleitet durch häufiges Abkratzen mit dem Kartenblatt
  • im Verhältnis 1:1 schrittweise weitere Mengen Dispersionsmittel zugeben und homogen verreiben bis Endmasse erreicht ist

Inprozesskontrollen (soweit durchführbar):

  • Ist die Anreibung von Wirkstoff/en und Hilfsstoffen homogen?
  • Ist die Suspension homogen?
  • Ist die Suspension leicht aufschüttelbar?
  • Entsprechen Farbe, Geruch und Beschaffenheit?

Laufzeit: eine Woche in Weithals-Flasche, braun 150 ml

Der Saft ist aber nicht nur genießbar – das hat laut Pohl die organoleptische Prüfung gezeigt – auch die Qualität stimmt offenbar: Die Suspension ist dem Apotheker zufolge nach 24 Stunden Lagerung im Kühlschrank leicht aufschüttelbar, es komme zu keiner Kuchen-Bildung. Den Anteil von Glucose in der Suspensionsgrundlage erachtet Pohl als unproblematisch – Glucose mindert die Stabilität von Amoxicillin. Fertigpräparate von Amoxicillin-Trockensäften enthielten ebenfalls Glucose. Für den fertigen Saft wird eine Aufbrauchfrist von sieben Tagen bei Lagerung im Kühlschrank angegeben.  Auch hier sieht sich der Apotheker auf der sicheren Seite. „In der Literatur (US-Pharmacist) werden beim gleichen pH von ca. 5,5 sogar 14 Tage eingeräumt,“ so Pohl.

„Pragmatische Lösungen zum Wohle des Patienten sind unsere Kernkompetenz“

Für Berthold Pohl, der die Apotheke gemeinsam mit seiner Frau betreibt, ist es selbstverständlich, die Engpässe mit Rezepturen zu überbrücken. Behauptungen aus der Politik, Apotheken würden zu wenig Rezepturen herstellen, ärgern ihn. „Das weisen wir grundsätzlich zurück und empfinden es als Unverschämtheit“, so Pohl. Grundsätzlich sieht er wie alle Kollegen das Problem in der deutlich stärkeren Nachfrage nach Rezepturen aufgrund des Mangels an notwendigen Fertigarzneimitteln bei gleichzeitig angespannter Personaldecke. In solchen Situationen pragmatische Lösungen zum Wohle des Patienten zu suchen und zu finden, halten er und sein Team aber für die Kernkompetenz einer öffentlichen Apotheke.

Rezepturen für Ibuprofen- und Paracetamol-Säfte in der Ziegler Rezepturbibliothek 

Das ZRB-Modul zum Dr. Lennartz Laborprogramm bietet Rezepturvorschriften zu pädiatrischen Schmerz- bzw. Fiebersäften in verschiedenen Varianten an:

  • Ibuprofen-Saft 20 mg/ml oder 40 mg/ml, aus Rezeptursubstanz oder Fertigarzneimittel-Tabletten
  • Paracetamol-Suspension 40 mg/ml, aus Rezeptursubstanz oder Fertigarzneimittel-Tabletten
  • Paracetamol-Suspension 50 mg/ml, aus Rezeptursubstanz

In den fertig ausformulierten Herstellungsanweisungen finden sich neben den rezepturspezifischen Herstellungsschritten und Inprozesskontrollen auch konkrete Angaben zur Laufzeit sowie Anwendungs- und Warnhinweise. Die gebrauchsfertig vorbereiteten Herstellungsanweisungen können einfach aufgerufen und für die eigene Dokumentation verwendet werden.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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6 Kommentare

Defektur

von norbert brand am 23.12.2022 um 8:10 Uhr

Die Entwicklungsleistung der Kollegen ist löblich, die Vorbehalte in den Kommentaren mehr als nachvollziehbar. Wirklich helfen wird aber nur die von Minister Holetscheck geforderte Änderung des AMG in § 21 Abs.2. Nur wenn die Apotheke wirklich auf Vorrat herstellen darf wird sie a) in der Verfügbarkeitsmisere adhoc helfen können und das b) personell auch stemmen können. Die "nachweislich häufige ärztliche Verschreibung", die von der Zulassungspflicht befreit, ist ein Gummiparagraph. Der eine Pharmazierat fordert für jedes einzelne Rezepturarzneimittel eine Verschreibung, der andere Amtsapotheker ist mit zehn Verschreibungen per anno zufrieden. Das ist keine Basis. Das Traurige ist nur, daß die Chancen, die sich den herstellungswilligen Kollegen nun bieten, von der Politik und der ABDA dann wieder vergessen sein werden, sobald die Industrie wieder liefern wird. Merkt denn niemand, daß sich mit zwei Krisen (Desinfektionsmittel, Fiebersäfte) innerhalb kürzester Zeit für die Präsenzapotheke große Chancen geboten haben, für ihre Unentbehrlichkeit zu werben? und es werden weitere Gelegenheiten kommen. Doch unser Berufsstand hat sich die Befähigung dazu nahezu widerstandslos fast komplett abnehmen lassen aufgrund einiger nicht generell anwendbarer Urteile und mißglückter Gesetzgebung. Gerade Letzteres könnte man jetzt evtl. korrigieren. Doch da müßte Druck von der Standesvertretung kommen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Defektur

von Martin Straulino am 23.12.2022 um 9:40 Uhr

Sie haben völlig recht.
Das Problem ist seit Jahrzehnten: ABDA = Duckmäuser
... kennt irgendwer den Namen des Pressesprechers der ABDA??? Als der letzte gegangen (worden?) ist habe ich das zufällig gelesen und mir gedacht: ach - die ABDA hat auch einen Pressesprecher? Den habe ich die letzten 30 Jahre ja noch gar nicht wahrgenommen ...
Geht es irgendeinem Kollegen (m/w/d) hier anders?

Und konkret?

von Al Pacino am 22.12.2022 um 22:23 Uhr

Guter Ansatz, aber wieviel Süssorangenöl muss nun konkret hinein?
Mit quantum satis wäre ich doch wieder am Rumprobieren.
Leider wieder nur viel Eigenwerbung für einen Lohnentwickler, aber nichts handfestes.
Schade!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Und konkret

von Marie Bauer am 23.12.2022 um 10:20 Uhr

Das wäre nicht zielführend. Die Kollegen stehen dann dann da und wiegen mit der Analysenwaage das Aroma auf vier Nachkommastellen genau ein, damit es dann trotzdem nicht passt, weil es sich je nach verwendetem FAM ein bisschen ändert.

Schönes Guerilla-Marketing mit Rezepturen

von Andreas Grünebaum am 22.12.2022 um 18:54 Uhr

In ähnlicher Sache stand heute ein Leiter einer Apotheke in der benachbarten Kleinstadt in der Lokalpresse, der nun Rezepturen für Ibu-Säfte für Kinder herstellt.

Löblich aber:
1.) die NRF Rezeptur schmeckt einfach nur eklig. Daher die abweichende Rezeptur (für alle die es wissen wollen: https://www.ptaheute.de/praxiswissen/rezeptur/nrf-vorschrift-nun-auch-fuer-ibuprofen-suspension

2.) Herstellung im Apothekenlabor ist nur auf Einzelverordnung oder Kundenforderung zulässig. Defektur nur von der Aufsicht in tolerierter Herstellung.

3.) Wir haben heute eine erkleckliche Menge an Nurofen und anderen Säften über den Großhandel erhalten. Was wenn die Hersteller nun in Zukunft wieder liefern können und die in eigenverantwortlicher "Defektur" hergestellten Säfte vernichtet werden müssen? Hatten wir alles schon während der Zeit von fehlenden Desinfektionsmitteln.

Bis dahin gönnen wir den Kollegen Ihr "Guerilla-Marketing"

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Rezeptur

von Martin Straulino am 22.12.2022 um 18:49 Uhr

Es ist gut, dass es immer noch begeisterte und engagierter Kollegen gibt.
Aber mal ehrlich: wer von uns hat noch Zeit (und Lust?), mit einer nicht kostendeckenden Rezeptur mal wieder die Situation zu retten - Personalnot und hoher Krankenstand im Team machen es mir leider nicht möglich.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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