Start-up Apothera

Eine Ap(p)otheke für die Hosentasche?

Bonn - 21.12.2022, 11:00 Uhr

Die MYA-App – ein Angebot mit Nebenwirkungen. (s / Screenshot: apothera.ch / DAZ)

Die MYA-App – ein Angebot mit Nebenwirkungen. (s / Screenshot: apothera.ch / DAZ)


Die Digitalisierung schreitet auch im Gesundheitswesen immer weiter voran. Mit dem E-Rezept vor der Haustür ploppen auch gänzlich neue Möglichkeiten für die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf. Die MYA-App von Apothera bietet beispielsweise die Anforderung ärztlicher Verordnungen auf Knopfdruck. 

Das schweizerische Unternehmen Apothera schickt hierzu nun seinen deutschen Ableger – Apothera Germany GmbH – unter Leitung des Apothekers Daniel Lewinski in das digitale Rennen um die kostbaren ärztlichen Verordnungen. Die Tochterfirma mit Sitz in Berlin hat kürzlich ihre App „MYA“ veröffentlicht, mit der das Unternehmen nach eigenen Angaben das Leben von all jenen Menschen einfacher machen will, die regelmäßig Arzneimittel einnehmen müssen. 

Hierzu bietet die MYA-App verschiedene Funktionen an (siehe Tabelle 1). Während einige davon auch bereits in gewöhnlichen Kalender- oder Erinnerungs-Apps enthalten sind, ist gerade eine ihrer Funktionen neu auf dem deutschen Gesundheitsmarkt: die Anforderung von ärztlichen Verordnungen auf Knopfdruck.

Für ihre neuen Rezepte müssen die Nutzerinnen und Nutzer sich laut AGB zur App nicht einmal registrieren. Lediglich die Eingabe der persönlichen Daten, des benötigten Arzneimittels und der Krankenversicherung sowie die Daten der behandelnden Praxis sind notwendig. Auch das Datum des letzten Arztbesuchs wird in der Eingabemaske abgefragt. 

Weiterhin kann vor Bestellabschluss angegeben werden, ob man die ärztliche Verordnung selbst in der Praxis abholen möchte, sie an die Privatadresse gesendet oder direkt von Apothera an eine Versandapotheke zwecks Lieferung der verordneten Arzneimittel weitergeleitet werden soll. Im letztgenannten Fall wählt das Unternehmen selbst die Apotheke aus. Der Name der Apotheke werde den Nutzenden jedoch noch vor Bestellabschluss in der App mitgeteilt. 

Prüfung dauert bis zu fünf Tage

Sofern infolge der Bestellanfrage tatsächlich eine ärztliche Verordnung ausgestellt und an Apothera versandt wird, prüfe die ausgewählte Versandapotheke im Anschluss binnen fünf Werktagen, ob sie die Bestellung annimmt. Ein Vertrag komme erst durch die daraufhin versandte Versandbestätigung zustande, in welcher die Apotheke auch die Zahlungsbedingungen bestimme. Seinen Service bietet Apothera derzeit ausschließlich für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung an.

Das Unternehmen weist in den AGB zur MYA-App außerdem ausdrücklich darauf hin, dass bei solch einer Bestellanfrage keine „Eigen- und/oder Medikamentenanamnese“ durchgeführt werde. Es werde lediglich die Anfrage an die Praxis übermittelt, inklusive der Anweisung, was mit dem Rezept geschehen soll. Anhand welcher Eigenschaften die jeweilige Apotheke ausgesucht wird, lässt sich den AGB oder der Internetseite des Unternehmens allerdings nicht entnehmen. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass es sich um eine „geeignete Versandapotheke“ handle. 

Apothera sucht nach Apothekern

Ein Blick in die derzeit auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlichten Stellenanzeigen legt allerdings nahe, dass parallel zur App auch an dem Aufbau eines eigenen Netzwerks aus Versandapotheken mit Sitz in den Niederlanden gearbeitet wird. Neben einigen zu besetzenden Stellen innerhalb Deutschlands ist die Firma nämlich unter anderem auch auf der Suche nach pharmazeutischen Approbierten für den Einsatz in Eindhoven. Als Arbeitsschwerpunkte werden insbesondere die pharmazeutische Beratung via Videotelefonie, Mail, Chat und Telefon sowie die Mitarbeit bei der Konzeptentwicklung solcher digitalen Beratungs- und Betreuungsangebote genannt. Zusätzlich soll der hierzu notwendige Umzug in die Niederlande mittels eines Steuererlasses von 30 Prozent auf das Gehalt attraktiver gemacht werden.

Neben der automatischen Rezeptanforderung mit möglicher Einlösung der Verordnung bei einer von Apothera gewählten Apotheke bietet die App auch die Möglichkeit, bereits vorhandene elektronische Verordnungen bei einer Apotheke der eigenen Wahl einzulösen. In diesem Fall übernimmt Apothera lediglich die Weiterleitung der Rezeptdaten an die von der Kundschaft selbst gewählte Apotheke.

Anfrage bleibt unbeantwortet

Auf unsere Anfrage, ob das mit der Rezeptanforderung verbundene Angebot künftig auch auf in Deutschland sitzende Versandapotheken ausgeweitet werden soll, erhielten wir bislang leider keine Rückmeldung des Unternehmens. Gleichfalls blieb auch unsere Bitte um eine Stellungnahme in Bezug auf die ausgeschriebenen Stellen für Approbierte in den Niederlanden unbeantwortet.

Eine App für alle mit der regelmäßigen Einnahme von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verbundenen Abläufe anzubieten, ist eine wirklich gute und zeitgemäße Idee, die das Leben vieler chronisch Kranker sicherlich sehr erleichtern kann. Doch das Konzept von Apothera Deutschland basiert augenscheinlich nicht auf der hierbei sinnvollen Beteiligung des etablierten Netzwerks unserer Vor-Ort-Apotheken. Vielmehr scheint der Fokus darauf zu liegen, möglichst viele Verordnungen aus dem deutschen Markt abzugreifen, welche dann im firmeneigenen, niederländischen Versandnetzwerk eingelöst und mit den Krankenversicherungen abgerechnet werden. Das Serviceangebot der MYA-App wirkt also weniger wie eine Ergänzung, sondern vielmehr wie eine direkte Konkurrenz zum deutschen Apothekenmarkt. Und dies in Zeiten des fortschreitenden Apothekensterbens in Deutschland, in denen wir synergistische Effekte zum Wohle aller Beteiligten wirklich gut brauchen und nutzen könnten.

Angebot mit Nebenwirkungen

Mit seinem digitalen Angebot scheint Apothera Deutschland also leider ähnliche Ziele zu verfolgen, wie einer ihrer prominenten Unterstützer: Ralf Däinghaus, Mitgründer der Firma DocMorris. Doch nicht nur der Abzug der ärztlichen Verordnungen ist hierbei kritisch zu beäugen – auch das eifrige Abwerben von Apothekerinnen und Apotheken in die Niederlande verschärft hiesige Probleme potenziell. Schon seit Jahren herrscht immerhin ein pharmazeutischer Fachkräftemangel in Deutschland.

Die MYA-App erleichtert sicherlich aufseiten der Patientinnen und Patienten das Procedere bei der Beschaffung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Ein digitaler Segen also für die modernen, chronisch kranken Menschen. Sie müssen dank der App künftig kaum noch Zeit und deutlich weniger Mühe auf sich nehmen, um ihre benötigte Medikation zuverlässig, pünktlich und bequem zu erhalten. Doch am Ende bezahlen sie hierfür eventuell ungeahnt einen hohen Preis. Denn unsere Apotheken vor Ort können nicht mehr jederzeit an jedem Ort sein, wenn nur noch rein wirtschaftliche Interessen unser Gesundheitssystem bestimmen und ausländischen Versendern immer wieder Marktvorteile gewährt werden. Dann stehen wir in Zukunft womöglich recht alleine da, wenn wir ein Arzneimittel wirklich dringend und unverzüglich benötigen.

Tabelle 1: Aktuell enthaltene Funktionen der MYA-App

FunktionBeschreibung
Verwaltung und Organisation der MedikationDie App erinnert regelmäßig an die Einnahme der Medikation sowie die rechtzeitige Anforderung von Folgeverordnungen. Die hierzu benötigten Informationen (Arzneimittel, Einnahmeintervall usw.) müssen von den nutzenden Personen selbst eingegeben werden. Die Scanncodes vorhandener Arzneimittel können jedoch über die Handykamera gescannt werden. Hierbei nimmt Apothera selbst keine Anamnese vor.
Anforderung von Folgeverordnungen

Zunächst müssen die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt in der App angegeben werden. Der App bereits bekannte Praxen werden im Verlauf der Eingabe vorgeschlagen, noch nicht hinterlegte können von den Benutzenden neu angelegt werden*. Nach Angabe der eigenen Krankenkasse sowie ggfs. weiterer erwünschter Services übermittelt Apothera die Bestellanfrage an die betroffene Praxis. Auch hierbei folgt keine anamnestische Überprüfung.

*Diese Information stammt aus einer nicht abgeschickten Test-Anfrage in der MYA-App durch die Autorin (auf einem Android-Smartphone).

Weiterleitung von ärztlichen Verordnungen an ausgewählte ApothekenWährend des Bestellvorgangs für Folgeverordnungen kann man auswählen, ob man diese selbst in der Praxis abholen möchte, sie postalisch an einen selbst übermittelt oder stattdessen zwecks Einlösung an eine Apotheke weitergeleitet werden sollen. Gemäß App-AGB wird im letztgenannten Fall Apothera hierzu „eine geeignete Apotheke für die Belieferung“ auswählen und deren Namen noch vor Bestellabschluss anzeigen.
Einlösen von E-RezeptenBereits vorliegende elektronische Rezepte können über die App bei einer Apotheke der eigenen Wahl eingelöst werden.

Jessica Geller, Autorin, DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Makeln?

von HB am 21.12.2022 um 15:16 Uhr

Dritten ist verboten, Verschreibungen – auch in elektronischer Form – zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und dafür für sich einen Vorteil zu fordern, § 11 Abs. 1a ApoG.

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