Fiebersäfte-Engpass

Bayerns Gesundheitsminister Holetschek will Apotheken Defektur erleichtern

Berlin - 20.12.2022, 14:30 Uhr

Um die Lieferengpässe insbesondere bei Kinderarzneimitteln kurzfristig abzufedern, setzt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf die Apotheken. (s / Foto: IMAGO / Future Image)

Um die Lieferengpässe insbesondere bei Kinderarzneimitteln kurzfristig abzufedern, setzt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf die Apotheken. (s / Foto: IMAGO / Future Image)


Nicht nur Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach macht sich Gedanken, wie man Lieferengpässen wirksam begegnen kann – auch Bayerns Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek hat einen Plan ausgetüftelt, wie die Versorgung insbesondere mit Kinderarzneimitteln kurzfristig über die Feiertage aufrechterhalten werden kann. Sein wichtigster Baustein sind die Apotheken, die mit Defekturen aushelfen sollen.

Nun sind sie da – die Eckpunkte zum sogenannten Generika-Gesetz aus dem Hause Lauterbach. Vorgesehen ist unter anderem, die Festbeträge für versorgungskritische Kinderarzneimittel anzuheben und bei Rabattvertragsausschreibungen für Onkologika und Antibiotika solche mit Wirkstoffproduktion in der EU zu bevorzugen. Zudem sollen die erleichterten Abgaberegeln für Apotheken der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung für jene Mittel erhalten bleiben, für die der Lieferengpass-Beirat des BfArM eine kritische Versorgungslage festgestellt hat. Und: Sollte bei der Belieferung einer Verordnung über ein versorgungskritisches Präparat eine Rücksprache mit der Praxis nötig werden, erhalten die Apotheken für ihre Mühe eine Aufwandspauschale in Höhe von 50 Cent.

Bis mithilfe dieser Eckpunkte, die erst noch in einen Gesetzentwurf gegossen und den parlamentarischen Prozess durchlaufen müssen, eine spürbare Verbesserung der Versorgungslage zu erwarten ist, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern. Bayerns Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) will jedoch nicht so lange warten: Er dringt darauf, kurzfristig wirksame Schritte einzuleiten, um etwa der akuten Knappheit an Fiebersäften und Antibiotika für Kinder zu begegnen.

Zu diesem Zweck hat sich der Minister mit Vertretern der Pharmaindustrie, der Ärzte- und Apothekerschaft an einen Tisch gesetzt und nach Wegen gesucht, die Versorgung kranker Kinder aufrechtzuerhalten. Laut einer Pressemitteilung seines Hauses sollen zum Beispiel die strengen Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung und des Arzneimittelgesetzes für die Herstellung von Defekturarzneimitteln gesenkt werden.

Holetschek fordert mehr Spielraum für Apotheken

Holetschek betonte am Dienstag in München: „Wir dürfen nichts unversucht lassen, um die Versorgung mit wichtigen Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder kurzfristig und unbürokratisch über die Weihnachtstage zu stabilisieren. Deshalb sollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die gesetzlichen Hürden dafür senken, dass die Apotheken selbst Fiebersäfte auf Vorrat ohne Nachweis häufiger ärztlicher Verschreibungen herstellen können. Für diesen Schritt muss das Arzneimittelgesetz geändert werden, um die Herstellung sogenannter Defekturarzneimittel zu erleichtern.“ So könnten Apotheker Holetschek zufolge pro Tag bis zu 100 abgabefertige Packungen Fiebersaft auf Vorrat herstellen. „Das wäre eine pragmatische Maßnahme, die umgehend Erleichterung bringen würde.“

Bayern arbeite im Rahmen der zwischen Bund und Ländern verteilten Kompetenzen mit Hochdruck daran, die Lage zu entspannen. Dabei appelliert er auch an die zuständige Apothekenaufsicht, großzügig zu sein. „Die Aufsichtsbehörden sollen bei der Überwachung von Herstellung von Rezepturen und Defekturen bei den Apotheken unbürokratisch vorgehen und werden deshalb vorläufig von entsprechenden Prüfungen absehen“, betont der Minister. „Die Regierungen und Kreisverwaltungsbehörden werden entsprechend informiert. Das soll den Apotheken die Arbeit erleichtern und mehr Kapazitäten schaffen, die Fiebersäfte selbst anzusetzen.“

Bereitschaftspraxen sollen für Apotheken erreichbar sein

Darüber hinaus will Holetschek die Abgabe von Medikamenten von Krankenhausapotheken an Offizinen erleichtern und den niedrigschwelligen Austausch zwischen Ärzten und Apotheken gerade mit Blick auf die bevorstehenden Feiertage sichern. Bayern werde „die Apothekenbetriebsordnung mit Augenmaß großzügig auslegen, damit zum Beispiel Krankenhausapotheken die Möglichkeit haben, Arzneimittel bei Bedarf an öffentliche Apotheken unbürokratisch abzugeben. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat uns zudem eine möglichst kurzfristige Erreichbarkeit der Bereitschaftspraxen über die 116117 für Apotheken über die Feiertage zugesichert, um Rückfragen von Apotheken bei Bereitschaftspraxen zu beschleunigen.“

Ein Schlüssel zum Erfolg sei eine möglichst enge Vernetzung zwischen Ärzten, Apotheken und Großhandel. „Ziel ist, dass Ärzte Rezepte so ausstellen, dass Apotheker einen größeren Spielraum für die Abgabe von Arzneimitteln erhalten“, unterstrich der Minister. „Und die gesetzlichen Krankenkassen werden gebeten, die Abrechnungen der Apotheken innerhalb des rechtlichen Rahmens möglichst großzügig zu handhaben.“

Auch der Sorgen der Pharmaindustrie nimmt sich der Minister an. Holetschek sagte: „Aus Gesprächen mit Herstellern höre ich, dass auch Transport und Lieferung ein Grund für die aktuelle Verknappung ist. Wenn nötig, sollte daher die Bundeswehr bei der Lieferung und Beschaffung unterstützen. Grundsätzlich sollte die Bundesregierung prüfen, ob sie selbst Wirk- und Hilfsstoffe beschaffen kann.“

Lauterbach soll den Dialog suchen

Holetschek fordert zudem, Lauterbach solle prüfen, ob der Bund einen Versorgungsmangel feststellen muss. „Das klingt zwar sehr bürokratisch, aber die offizielle Feststellung würde Bund und Ländern größeren Handlungsspielraum geben, auf die aktuelle Situation zu reagieren. Konkret könnten dann zum Beispiel die zuständigen Regierungen im Einzelfall gestatten, dass Arzneimittel, die nicht zum Verkehr im Bundesgebiet zugelassen oder registriert sind, befristet in den Verkehr gebracht werden.“ Das sei ein wichtiger Schritt, denn das Problem gehe schließlich über Fiebersäfte hinaus, die Apotheken noch vergleichsweise leicht selbst herstellen können. „Schwieriger wird es bei Antibiotika, die teils europaweit nur noch schwer lieferbar sind. Gerade hier ist es wichtig, dass wir Lieferketten sichern und die Beschaffung unterstützen.“

Holetschek hatte am 15. Dezember kurzfristig die erst Ende November gegründete bayerische Pharma-Taskforce zu einer zweiten Sitzung einberufen, um über die Lage zu beraten. Der Minister bekräftigte: „Wir werden diesen Dialog weiter vorantreiben und die Maßnahmen, die wir dort erarbeiten, dem Bund vorschlagen. Ich appelliere an das Bundesgesundheitsministerium, ebenfalls auf Dialog zu setzen und alle Beteiligten insbesondere bei der Suche nach mittel- und langfristigen strukturellen Reformen einzubinden, um solche Versorgungsengpässe künftig zu vermeiden.“ Zudem ruft er Lauterbach dazu auf, noch vor Weihnachten einen Gipfel mit Ärzteverbänden, KBV, Apothekern, Pharmagroßhändlern und pharmazeutischen Unternehmen einberufen, in dem alle Handlungsoptionen auf den Tisch kommen. Es liege jetzt an ihm, das Gespräch zu suchen und das Vertrauen wieder herzustellen, das er mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz weitgehend zerstört habe.

„Versorgungsmangel mit Ansage“

Holetschek kritisiert: „Leider ist das, was wir jetzt erleben, ein Versorgungsmangel mit Ansage. Zu viel Bürokratie, zu komplizierte Vergabeverfahren und ein zu großer Preisdruck machen die Arzneimittelproduktion in Deutschland seit Jahren immer unattraktiver. Was wir brauchen, sind wirksame Maßnahmen zur Stärkung des Arzneimittelstandorts Deutschland und Europa. Hier muss der Bund endlich handeln – und zwar kurz-, mittel- und langfristig. Der Bund muss zudem dringend ein Frühwarnsystem einführen. Nur so können Lieferengpässe rechtzeitig erkannt und entsprechend gehandelt werden. Zudem brauchen die Apotheken endlich definierte Spielräume beim Management von Lieferengpässen. Die Arzneimittelversorgungsverordnung der Corona-Pandemie kann hier als gutes Beispiel genutzt werden.“


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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