Vier-Punkte-Plan der Grünen

Apotheken sollen Lieferengpässe bei Kinderarzneien mit Rezepturen abfedern

Berlin - 19.12.2022, 12:45 Uhr

Wie kann derzeit die Gesundheitsversorgung von Kindern sichergestellt werden?  Die Grünen-Fraktion hat einen Vier-Punkte-Krisenplan vorgelegt. (s / Foto: IMAGO / Future Image)

Wie kann derzeit die Gesundheitsversorgung von Kindern sichergestellt werden?  Die Grünen-Fraktion hat einen Vier-Punkte-Krisenplan vorgelegt. (s / Foto: IMAGO / Future Image)


Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat einen Vier-Punkte-Krisenplan vorgelegt, wie sie die Versorgung kranker Kinder in diesen schwierigen Zeiten sicherstellen wollen. Was die Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln betrifft, sollen insbesondere die Apotheken in die Bresche springen, etwa mit Rezepturen.

Seit Monaten kämpfen die Apotheken mit Lieferengpässen bei Kinderarzneimitteln. Vor allem Fiebersäfte und gängige Antibiotika sind Mangelware. Auch in den Kinderarztpraxen und in den Krankenhäusern spitzt sich die Situation zu: Nur mit Mühe können die vielen kleinen Patientinnen und Patienten noch versorgt werden, gleich mehrere Wellen von Atemwegsinfekten rollen über das Land hinweg.

Jetzt legt die Grünen-Fraktion im Bundestag ein Ideenpaket vor, wie man der Situation Herr werden könnte. In einem Vier-Punkte-Krisenplan adressiert sie die aus ihrer Sicht wichtigsten Baustellen, die unverzügliches Handeln erfordern: Arzneimittelversorgung, Entlastung von Familien, Kinder- und Jugendarztpraxen und Kinderkliniken.

Grüne: Rezeptur ist Kernaufgabe der Apotheken

Um den Lieferengpässen bei Kinderarzneien zu begegnen, setzen die Grünen vor allem auf die Apotheken. „Kernaufgabe der Apotheken ist nicht nur die Abgabe industriell hergestellter Medikamente, sondern auch die Zubereitung von Arzneimitteln“, betonen sie in ihrem Papier. „Besteht für ein Medikament nachweislich ein Lieferengpass, sollten Apotheker*innen für einen befristeten Zeitraum – und auf Medikamente zur Behandlung akuter Atemwegserkrankungen begrenzt – eigenständig und ohne erneutes Rezept durch den behandelnden Arzt oder die Ärztin ein Medikament wie beispielsweise einen Fiebersaft herstellen können.“

Zudem sollten Apotheker:innen für einen befristeten Zeitraum nach telefonischer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt beziehungsweise der Ärztin Alternativprodukte ausgeben können, ohne dass dafür ein neues Rezept ausgestellt werden muss, fordert die Fraktion. Voraussetzung ist, dass für ein Medikament nachweislich ein Lieferengpass besteht. Falls sie stückeln müssen, um die Versorgung mit einem knappen Medikament zu sichern, schlagen die Grünen vor, die Patientinnen und Patienten nicht für jede Packung einzeln mit einer Zuzahlung zu belasten.

Extra-Pflichten für den Großhandel

Auch den pharmazeutischen Großhandel wollen die Grünen verstärkt in die Pflicht nehmen: Um Lieferengpässe zukünftig besser abfangen zu können, sollte er verpflichtet werden, „alle Medikamente, die von der Weltgesundheitsorganisation in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel geführt werden, für einen Zeitraum zu bevorraten, mit dem das Abfedern von Liefer- und Nachfrageschwankungen ermöglicht wird“. Auch soll die Meldepflicht sich anbahnender Engpässe gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, die aktuell nur für die Hersteller gilt, auf den Großhandel ausgeweitet werden – gleichzeitig sollten nach Ansicht der Grünen „nicht nur versorgungsrelevante Medikamente umfasst sein, sondern jegliche Arzneimittel“. Überdies wollen sie die zuständigen Aufsichtsbehörden ermächtigen, bei akutem Versorgungsmangel Vorgaben zur Ausgabe und Verteilung von Medikamenten an Großhandel und Apotheken auszusprechen und zu überwachen.

Überfüllte Kliniken und Praxen, fehlende Arzneimittel

So will Lauterbach die Versorgung von Kindern sicherstellen

Um Familien zu entlasten, regen die Grünen an, dass Arbeitnehmer erst ab dem vierten Krankheitstag ihres Kindes dem Arbeitgeber ein Attest vorlegen müssen. So soll auch eine Überlastung der Kinderarztpraxen vermieden werden. Zudem wollen sie die erweiterte Kinderkrankentage-Regelung von 30 statt 20 Tagen bis Dezember 2023 fortsetzen und die ab dem 1. Januar 2023 verpflichtend geltende elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schnellstmöglich auch um die Attestierung von Kinderkrankentagen erweitern.

Mehr Geld für Haus- und Kinderarztpraxen in unterversorgten Regionen

Überdies nimmt die Fraktion auch die Kinder- und Jugendarztpraxen in den Blick. Sie sollen von den bestehenden Budgetbegrenzungen befreit werden und ihre Patientinnen und Patienten unbegrenzt und bei voller Vergütung telemedizinisch beziehungsweise per Videosprechstunde betreuen können. Letzteres soll auch für Hausärztinnen und -ärzte gelten. Des Weiteren sollen beide Berufsgruppen in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen umgehend einen Vergütungsaufschlag erhalten, um die medizinische Versorgung zu sichern. Sollte in der aktuellen Überlastungssituation eine Behandlung in den regulären vertragsärztlichen Kinder- und Jugendarztpraxen nicht möglich sein und Eltern in der Not privatärztliche Angebote für ihre Kinder in Anspruch nehmen, sollen die Kosten in Höhe der Preise vergleichbarer Vertragsärzte durch die gesetzliche Krankenversicherung – auch ohne vorherige Genehmigung – erstattet werden.

Koordination und Leasing-Fachkräfte für Kinderkliniken

Zu guter Letzt widmen sich die Grünen den Kinderkliniken. Während der Corona-Pandemie habe sich die zentrale Koordination von Klinik-Versorgungskapazitäten über das sogenannte Kleeblattsystem und DIVI-Intensivregister bewährt. „Auch jetzt brauchen wir Koordination und Steuerung, um für jedes Kind, das ein Krankenhausbett braucht, schnell eines zu finden“, heißt es in dem Papier. Zur Abfederung der aktuellen Spitzenbelastung sollten zudem Leasingfachkräfte von den Kliniken vorübergehend einfacher herangezogen werden können als bisher. Um das Personal in den Kliniken weiter zu entlasten, bedarf es nach Einschätzung der Grünen überdies einer befristeten, extrabudgetären Vergütung telemedizinischer Leistungen für Kinderklinken zur Sicherstellung der Akutversorgung in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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8 Kommentare

Arzneimittelherstellung

von Siegfried Müller am 22.12.2022 um 15:12 Uhr

1969 in der Grippewelle habe ich in meiner Apotheke bis 12 Uhr nachts Arzneimittel hergestellt. Dies ist heute durch die aufwendigeren Herstellungsmethoden, die teuren. Flaschen und die Personalknappheit nur mit grossen Verlusten möglich. Seit Jahren wurde durch Krankenkassen und Politik der Karren in den Dreck gefahren und jetzt sollen die Apotheken es richten. Die Aussage des Ärztepräsidenten zu der Misere mit der Einrichtung von Flohmärkten für Medikamenten auch mit verfallenem Datum zeigt, dass man in solche Positionen nicht durch Fachkenntnisse kommt.

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Kernaufgabe= unbezahle Dienstleistung?

von Jana Daut am 22.12.2022 um 7:09 Uhr

Immerwieder erschreckend zu sehen, wie undankabr auch die Politik ist.
Faktisch sind Rezepturen eine Kernaufgabe von Apotheken, vollkommen korrekt. Nur sprengt ein berechneter Preis eines einzelnen Fiebersafts alle wirtschaftlichen Kalkulationen. Dies würde weder eine KK noch ein Privatverbraucher bezahlen wollen.
Zum anderen Sind selbst Rohstoffe unheimlich schwer zu beziehen und dadurch resultiert dann ein unbeschreiblich hoher Preis. Vom Personalmangel ist da noch gar nicht die Rede von.
Eine Kernaufgabe darf nicht mit einer unbezahlten Dienstleistung vewechselt werden. Leider wird dies nie ausreichend beleuchtet.

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Das wird die neue Effizienzreserve

von Norbert Veicht am 20.12.2022 um 8:30 Uhr

Da wird doch dann später sicher jemand den zusätzlichen Umsatz berechnen, den wir mit diesen Rezepturen gemacht haben. Und der wird dann nach bewährtem Schema eins zu eins als neue Effizienzreserve auftauchen. Ich habe das Vertrauen verloren, dass wir da nicht wieder weitgehend umsonst Zusatzarbeit leisten sollen.

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warum nur befristet?

von norbert brand am 20.12.2022 um 7:33 Uhr

neben den nachvollziehbaren und nur zu berechtigten mehr emotional motivierten Kommentaren der Kollegen sei darauf hingewiesen, daß Apotheken auch ohne diese aktuellen Einlassungen der Grünen Fiebersäfte o.ä. herstellen dürfen. Die Vorschriften (NRF) gibt es, § 21 Abs.2 AMG gibt es auch; die GKV'en müssen es nur bezahlen. Wieso jetzt ein weiteres bürokratisches Monster aufbauen: "vorübergehend befristet", "nach Rücksprache mit dem Arzt", "bei nachweislichem Lieferengpass". Laßt doch die Apotheken einfach machen, und zwar unbefristet, die Versorgung wird ohnehin nicht anders zu realisieren sein, denn die Fertigarzneimittelschiene wurde fürs erste so nachhaltig kaputtgespart, das läßt sich nicht auf Knopfdruck reparieren, nur weil Karl jetzt ein Gesetz macht.

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Nein

von Thomas Kerlag am 19.12.2022 um 20:32 Uhr

Und uns ureigen ist auch das aufwendige Studium.
Dazu passt dann auch nur eine angemesse
Entlohnung. Ende dem Missbrauch!
Egal, es fehlt sowieso das Personal. Ist nicht einzusehen, dass wir uns immer mehr abhetzen und andere zu Hause hocken.

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Jaja...

von Rolf Lachenmaier am 19.12.2022 um 16:26 Uhr

"Ureigene" Aufgabe, "Kernaufhabe" soso. Und das fordern die Grünen bei den Hollandversendern ebenfalls ein? Oder dürfen die wie bei den fehlenden Desinfektionsmitteln wieder Däumchendrehen und die Creme abschöpfen...
Eine Entscheidung FÜR Vor-Ort-Apotheken wäre angesagt. Dazu klare Regeln für die Herstellung, Erstattung und ABNAHME-GARANTIE. Sonst stehen wir wieder dumm da, wenn der Nachschub an Land kommt und dürfen die Grundlagen und Packmittel teuer entsorgen. Und btw. die Erhöhung des Kassenabschlages wieder zurücknehmen oder adäquat ausgleichen plus eine faire Honorarerhöhung. Apotheken sind doch die nicht die willfährigen Deppen, die den Karren immer aus dem Dreck ziehen, wenn die Politik ruft. Behandelt Apotheken FAIR - dann werden sie sich mit viel Engagement und Fachwissen einsetzen.

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Noch nicht angekommen...

von Thomas Eper am 19.12.2022 um 14:42 Uhr

Bei den Grünen ist es scheinbar auch noch nicht angekommen, dass die Apotheken in Deutschland kaputt gespart wurden. Jeden Tag schließt eine Apotheke, weil seit 18 Jahren nur 3% Honorarerhöhung gab. Bedeutet inflationsbereinigt ca. die Halbierung des Honorars.

Wir haben nicht mehr genug Personal, weil wir sie nicht mehr bezahlen können.

Somit haben wir jetzt auch keine Effizienzreserven mehr, für die Politik den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Die Gesundheitspolitik der letzten Jahre und die Sparwut der Krankenkassen haben die jetzige Situation verursacht.
Apotheker warnen schon seit längerem; ohne Gehör.

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ja, Wahnsinn

von Karl Friedrich Müller am 19.12.2022 um 14:32 Uhr

plötzlich wissen alle, was Apotheken zu tun haben.
Kaputtsparen und dann sollen wir der Politik und den KK den Hintern retten - ohne Vergütung. Und wenn, dann mit unsicherer.
Man könnt auch mal fragen, oder ein Angebot maachen. nee. Im Befehlston. Motiviert super. Auch die ständigen - unberechtigten- Retaxe, bei denen man noch um sein Geld kämpfen muss, motivieren unheimlich. Manchmal bekommt man es auch, so als Gnadenerlass. Alles unwürdig!!! Wir wollen wie Menschen auf Augenhöhe behandelt werden und nicht wie Dienstboten. Anerkennung der Leistung, nicht als Kürzung der Bezüge!!!
Auch die Grünen ist keine Partei, die den Apotheken wohl gesonnen ist.
Mich würde mal interessieren, ob die Kinder den Rezeptur Saft überhaupt trinken oder gleich wieder ausspucken, weil er nicht nach grünem Tee, Mango-Maracuja schmeckt

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