Entwurf einer neuen EU-Abwasserrichtlinie

Arzneimittelhersteller sollen Ausbau von Kläranlagen finanzieren

Stuttgart - 28.10.2022, 09:15 Uhr

Wer sich beispielsweise nach dem Auftragen von Diclofenac die Hände wäscht – ohne sie vorher mit einem Papiertuch abzuwischen –, trägt Arzneimittel ins Abwasser ein. (x / Foto: IMAGO / Winfried Rothermel)

Wer sich beispielsweise nach dem Auftragen von Diclofenac die Hände wäscht – ohne sie vorher mit einem Papiertuch abzuwischen –, trägt Arzneimittel ins Abwasser ein. (x / Foto: IMAGO / Winfried Rothermel)


Die EU-Kommission hat einen Legislativvorschlag für die Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie veröffentlicht. Demnach soll die – in Umweltdiskussionen häufig als notwendig erwähnte – vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen über zwei Industriezweige finanziert werden: die Pharma- und die Kosmetikindustrie. Pharmaverbände halten das Vorhaben für verfassungswidrig.

Diclofenac ist ein Wirkstoff, von dem mittlerweile alle Apotheken-Mitarbeiter:innen wissen, dass er so wenig wie möglich ins Wasser eingetragen werden sollte. Anfang des Jahres machte die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) darauf aufmerksam, wie mit entsprechenden Produkten möglichst umweltschonend umgegangen werden soll. Dennoch: Solange Diclofenac und andere umweltschädliche Arzneimittel in unsere Abwässer gelangen, müssen diese gereinigt werden. Dabei kann und soll der Ausbau einiger Kläranlagen mit einer sogenannten vierten Reinigungsstufe helfen – doch diese wird nicht alle Probleme beheben und verursacht Kosten. Wer soll diese bezahlen?

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Im Oktober 2018 sprachen sich beispielsweise der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bettina Hoffmann dafür aus, die Arzneimittelhersteller an solchen Umweltkosten zu beteiligen. Im Januar dieses Jahres veröffentlichte der BDEW zudem ein „Gutachten zur Umsetzbarkeit der Fonds-Lösung zur Finanzierung der Spurenstoff-Elimination in Kläranlagen“. Und vergangenen Dienstag hat sich der BDEW erneut mit einer Pressemitteilung zu Wort gemeldet: Anlass ist ein Legislativvorschlag der EU-Kommission für die Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie (91/271/EWG). Demnach soll nun eingeführt werden, wofür sich der BDEW seit Jahren eingesetzt habe – „die erweiterte Herstellerverantwortung zur Finanzierung der vierten Reinigungsstufe“

Vierte Reinigungsstufe soll ab 2036 verpflichtend sein

Für alle Kläranlagen größer oder gleich 100.000 EW (Einwohnerwert = Vergleichswert für die in Abwässern enthaltenen Schmutzfrachten) möchte die EU-Kommission demnach die vierte Reinigungsstufe bis 31. Dezember 2035 verpflichtend einführen. Zudem soll sie bis zum 31. Dezember 2040 „ebenfalls für Siedlungsgebiete zwischen 10.000 und 100.000 EW überall dort eingeführt werden, wo höhere Mikroschadstoffkonzentrationen ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen“. Finanziert werden soll all das nach dem Verursacher-Prinzip: 


Mitgliedstaaten sollen dazu verpflichtet werden, die erweiterte Herstellerverantwortung auf nationaler Ebene für Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch sowie für Kosmetikprodukte anzuwenden. Die individuellen Beiträge der Hersteller ergeben sich aus der Quantität und der Toxizität der in den Umlauf gebrachten Stoffe.“

Pressemitteilung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), 26. Oktober 2022


Während mit dem Legislativvorschlag nun also das Gesetzgebungsverfahren beginnt, hat sich die Pharmaindustrie bereits dazu zu Wort gemeldet. In einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), von Pro Generika und dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) heißt es: „Eine Sonderabgabe für Arzneimittel-Hersteller zur Finanzierung einer vierten Reinigungsstufe für Kläranlagen wäre verfassungswidrig.“ 

Die Verbände berufen sich dabei auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Professor Udo Di Fabio. Eine solch einseitige Belastung der Arzneimittelhersteller hätte negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung, heißt es zudem. Gesundheitsschutz sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – und entsprechend auch die Beseitigung von Arzneimittelrückständen aus dem Abwasser. „Warum ein systemrelevanter Sektor wie die pharmazeutische Industrie einseitig durch zusätzliche Kosten benachteiligt werden soll, obwohl Mikroverunreinigungen nachweisbar durch viele unterschiedliche Stoffgruppen hervorgerufen werden, ist nicht nachvollziehbar“, beklagen die Verbände. Arzneimittelwirkstoffe sollen laut den Verbänden nur einen geringen Anteil aller registrierten chemischen Stoffe ausmachen und würden auch nur in geringeren Mengen eingesetzt. Eine Umweltsonderabgabe würde deshalb zu einem diskriminierenden Modell für die Arzneimittelhersteller führen, befürchten sie. Die finanzielle Mehrbelastung könne gar dazu führen, dass wichtige Arzneimittel in Europa nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. 

Je weniger eingetragen wird, desto weniger Kosten

Doch der Entwurf der EU-Kommission bezeichnet die Hersteller von Arzneimitteln und Körperpflegeprodukten klar als Hauptverursacher schädlicher Mikroverunreinigungen im Abwasser. Zudem sollen den Herstellern nicht nur Kosten auferlegt werden, sondern auch Anreize geschaffen werden, weniger schädliche Produkte auf dem EU-Markt zu etablieren. Und die Industrie soll die Wahl haben, die Kosten auf den Preis ihrer Produkte umzulegen (maximale Erhöhung um 0,59 Prozent) oder ihre Gewinnspanne zu reduzieren (durchschnittliche maximale Auswirkung von 0,7 Prozent). Außerdem soll es Ausnahmen geben: Hersteller sollen von den Kosten entlastet werden, wenn sie von ihrem Produkt weniger als zwei Tonnen pro Jahr auf den Markt bringen oder ihre Produkte nachweislich keine Mikroverunreinigungen verursachen.

Ein Blick in das vom BDEW im Januar veröffentlichten „Gutachten zur Umsetzbarkeit der Fonds-Lösung zur Finanzierung der Spurenstoff-Elimination in Kläranlagen“ gibt ein Gefühl dafür, welche Kosten auf die Arzneimittelhersteller zukommen könnten, sollte der Vorschlag so angenommen werden: Beispielsweise Hersteller von Diclofenac-Präparaten müssten rund 20 bis 25 Prozent der Kosten tragen, würde der Eintrag von Diclofenac in die Gewässer zukünftig nicht reduziert.

Wie das Gutachten im Januar auch erklärte, wird laut einer von Pro Generika beauftragten Studie aus dem Jahr 2020 von der europäischen Gesamtnachfrage nach dem Wirkstoff Diclofenac nur 10 Prozent in Europa produziert. 85 Prozent der Produktion sollen in Indien stattfinden, 5 Prozent in China. Mit der vorgeschlagenen Fonds-Lösung solle das kein Problem sein, weil sie sich auf den Inverkehrbringer eines Spurenstoffs bezieht. Für im Ausland hergestellte Produkte müsste also der jeweilige Importeur auf Basis seiner importierten Menge in den Fonds einzahlen. Allerdings müsste man juristisch prüfen, ob dies mit den (europa-)rechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar wäre, hieß es. 

Es bleibt also spannend, wie unsere Gewässer in Zukunft sauberer werden sollen und das finanziert wird. 

Was die Wasserrichtlinie außerdem vorsieht

„Solange SARS-CoV-2 noch als ein Risiko angesehen wird, soll das Abwasser von mindestens 70 Prozent der Bevölkerung untersucht werden und Proben in Kläranlagen ≥ 100.000 EW mindestens einmal pro Woche durchgeführt werden. Darüber hinaus soll ab 2025 regelmäßig für alle Siedlungsgebiete von 100.000 EW und mehr die Antibiotikaresistenz in den Kläranlagenabläufen überprüft werden.“ 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), 26. Oktober 2022


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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