Europäischer Gesundheitsdatenraum

ABDA: Keine neuen und teuren Pflichten für Heilberufe schaffen

Berlin - 25.10.2022, 12:15 Uhr

Die ABDA sieht noch einigen Nachbesserungsbedarf. (Screenshot: health.ec.europa.eu / DAZ)

Die ABDA sieht noch einigen Nachbesserungsbedarf. (Screenshot: health.ec.europa.eu / DAZ)


Im Mai dieses Jahres hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums vorgelegt. Dieser Datenraum soll bis zum Jahr 2025 einen sicheren digitalen Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen. Die ABDA hat nun ein Positionspapier zu den Plänen veröffentlicht. Darin unterstützt sie die Ziele der Kommission, sieht aber im Einzelnen noch einigen Nachbesserungsbedarf. 

Als die Kommission ihren Verordnungsentwurf zum „European Health Data Space“ (EHDS) vorlegte, war in ihrer Pressemitteilung die Rede von einem „Quantensprung“. Europaweit sollen Bürger:innen künftig ihre Gesundheitsdaten nutzen und kontrollieren können. Ein Rezept aus Deutschland soll beispielsweise in einer Apotheke jedes anderen Mitgliedstaats eingelöst werden können. Die Idee ist nicht neu. Schon in der EU-Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte aus dem Jahr 2011 ist angelegt, dass die Mitgliedstaaten Gesundheitsdaten sicher, effizient und interoperabel austauschen können. Doch bisher läuft die grenzüberschreitende Nutzung dieser Daten nur langsam an. Die als Modellprojekt gestartete Plattform MyHealth@EU, die die technische Infrastruktur für die auch für Apotheken relevante sogenannte Primärnutzung der Daten bietet, ist erst in zehn Mitgliedstaaten eingeführt. Sie unterstützt zudem bislang lediglich zwei Dienste: E-Rezepte und Patientenkurzakten. Ein Austausch elektronischer Verordnungen ist bisher nur zwischen Finnland, Estland, Kroatien und Portugal möglich. Das soll bis 2025 anders sein.

Doch nicht nur durch diese Primärnutzung soll sich die medizinische Versorgung der Bürger:innen verbessern. Die EU-Kommission setzt auch auf eine Sekundärnutzung: So soll etwa die Forschung von enormen Datenpools profitieren, zudem Gesundheitsinstitutionen und Industrie. Dafür soll es strenge Vorschriften geben, verspricht die Kommission. Nicht zuletzt soll der Binnenmarkt für digitale Gesundheitsdienste und -produkte gefördert werden.

ABDA: Begrüßenswerte Grundentscheidungen

In ihrem Positionspapier bezeichnet die ABDA den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission als „wichtigen Baustein der übergreifenden europäischen Datenstrategie“. Er enthalte richtige und begrüßenswerte Grundentscheidungen – etwa, dass für die Primär- und die Sekundärnutzung getrennte technische Infrastrukturen („MyHealth@EU“ und „Health- Data@EU“) vorgesehen sind. Auch dass der Datenzugriff von vorherigen Genehmigungen durch Zugangsstellen abhängig gemacht und die zulässigen Nutzungszwecke konkret definiert sind, ist im Sinne der ABDA. Das angestrebte höchste Sicherheitsniveau der technischen Infrastruktur hält sie ebenfalls für unverzichtbar, um Akzeptanz und Vertrauen bei den Bürgern zu schaffen.

Öffentliche Apotheken können Akzeptanz fördern

Diese Akzeptanz sollte aus Sicht der Standesorganisation durch geeignete Informationsmaßnahmen gefördert werden. Hier könnten gerade die öffentlichen Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen eine wichtige Unterstützung leisten: Sie besäßen die geeignete technische Ausstattung, um vielfältige digital gestützte Dienstleistungen anzubieten: „angefangen bei der Einlösung elektronischer Rezepte, über die Ausstellung digitaler EU-Impfzertifikate, die Unterstützung ihrer Patientinnen und Patienten beim Umgang mit Patientenakten und digitalen Gesundheitsanwendungen, bis hin zur Entwicklung von (künftig ggf. durch Künstliche Intelligenz unterstützten) innovativen pharmazeutischen Dienstleistungen“. Der verantwortliche Umgang mit elektronischen Gesundheitsdaten sei bereits heute tägliche Praxis in den öffentlichen Apotheken, betont die ABDA.

Erheblicher Nachbesserungsbedarf im Konkreten

Dennoch hält die Standesvertretung den Verordnungsentwurf der Kommission „an einigen entscheidenden Stellen (für) stark verbesserungsbedürftig“. So sind ihr die Vorgaben an vielen Punkten nicht klar und eindeutig genug. Zudem sieht sie Verwerfungen mit Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung.

Unter anderem missfällt der ABDA die Definition des Begriffes „Telemedizin“, der auch „Online-Apotheken“ umfassen soll. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es in den meisten Mitgliedstaaten keine (reinen) Online-Apotheken gibt und der Rx-Versandhandel untersagt ist. Zudem könnten auch Präsenzapotheken bestimmte pharmazeutische Dienstleistungen online anbieten.

Bezug zum Gesundheitswesen klarstellen!

Vor allem aber fehlt der ABDA eine Bezugnahme der Verordnung auf die speziellen europäischen Vorgaben zum Gesundheitswesen (Artikel 168 AEUV) – die Kommission bezieht sich lediglich auf die Vorschriften zum Binnenmarkt und ergänzend zum Datenschutz. Aufgrund der strukturellen Unterschiede dieser Rechtsgrundlagen und der zu erwartenden konkreten Auswirkungen der Verordnung auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten hält die ABDA hier eine ergänzende Bezugnahme für notwendig. Darauf aufbauend sollten dann die einzelnen Vorschriften des Vorschlags – insbesondere zu Primärnutzung – überprüft werden, ob sie die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten hinreichend berücksichtigen. Wichtig ist der ABDA, dass den Mitgliedstaaten der nötige Umsetzungsspielraum belassen wird.

Was die konkrete Nutzung von Patientendaten durch die Apotheken betrifft, sei essenziell, dass diese auf Grundlage vorhandener nationaler Telematik-Strukturen und Softwaresysteme erfolgen kann. „Eine aufwändige Neuentwicklung würde unverhältnismäßig teuer. Überschießende und kostenträchtige neue Pflichten für Heilberufe dürfen nicht geschaffen werden“, mahnt die ABDA an.

Viele Fragen wirft dem Positionspapier zufolge auch das Kapitel zur Sekundärnutzung elektronischer Gesundheitsdaten für definierte Zwecke (z. B. Forschung und Statistik, aber auch für die Produktentwicklung und für Algorithmen und Künstliche Intelligenz) auf. Die ABDA sieht hier Widersprüche zwischen den geplanten weitreichenden Offenlegungspflichten für Heilberufe als Dateninhaber auf der einen Seite und der gesetzlichen Schweigepflicht sowie dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf der anderen Seite. Entsprechende Vorbehalte müssten daher zwingend ergänzt werden. Angesichts des datenschutzrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Patienten und Patientinnen müssten überdies die im nationalen Recht verankerten Einwilligungserfordernisse beziehungsweise Widerspruchsmöglichkeiten bezüglich der Sekundärnutzung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten beachtet werden. 

Wie die ABDA mitteilt, wird der Zusammenschluss der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU) voraussichtlich in seiner Generalversammlung im November ein eigenes Positionspapier verabschieden, bei dessen Erarbeitung die ABDA entsprechend mitgewirkt hat.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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