Kommentierende Analyse

Apothekenhonorar: Rechen(nach)hilfe für das BMG

Süsel - 15.09.2022, 17:50 Uhr

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hält an der zweijähgien Erhöhung des Kassenabschlags fest und geht davon aus, dass die steigende Zahl von Hochpreisern für eine gewisse Kompensation sorgen kann.  (s/ Foto: Schelbert / DAZ)

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hält an der zweijähgien Erhöhung des Kassenabschlags fest und geht davon aus, dass die steigende Zahl von Hochpreisern für eine gewisse Kompensation sorgen kann.  (s/ Foto: Schelbert / DAZ)


Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat beim Deutschen Apothekertag erklärt, nach Berechnungen seines Ministeriums müssten die Apotheken die geplante Einbuße beim Apothekenabschlag durch höhere Umsätze mit teureren Arzneimittel kompensieren können. DAZ-Wirtschaftsexperte Thomas Müller-Bohn hat in einer kommentierenden Analyse nachgerechnet und vier Gründe gefunden, warum das nicht funktionieren kann.

Ein zentraler Inhalt des Grußworts von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der anschließenden Fragerunde beim Deutschen Apothekertag war der Plan, den Apothekenabschlag für zwei Jahre von 1,77 Euro auf 2 Euro brutto zu erhöhen. Lauterbach begründete dies insbesondere damit, dass er die Einsparungen auf viele Schultern verteilen wolle. Später ergänzte er, nach Berechnungen aus seinem Ministerium müssten die Apotheken die Einbuße verkraften können, weil sie durch höhere Arzneimittelumsätze kompensiert würde. Lauterbach erklärte nicht, wie das Ministerium darauf kommt. Doch hier soll nachgerechnet werden, ob das plausibel ist.

Gemäß einer früheren Rechnung – ausgehend von eher niedrig geschätzten 617 Millionen GKV-Rx-Arzneimitteln pro Jahr – würde der erhöhte Apothekenabschlag eine Durchschnittsapotheke jährlich mit einer Rohertragseinbuße von 6.400 Euro belasten. Um dies über den dreiprozentigen Zuschlag auf Rx-Arzneimittel zu kompensieren, müsste der Umsatz mit Rx-Arzneimitteln um etwa 213.000 Euro pro Durchschnittsapotheke steigen. Gemäß Apothekenwirtschaftsbericht setzte im Jahr 2021 eine Durchschnittsapotheke 3,079 Millionen Euro um, davon 80,4 Prozent mit Rx-Arzneimitteln, also 2,475 Millionen Euro. Demnach müsste dieser Umsatz um 8,6 Prozent wachsen, damit die Apotheken die Einbuße beim Apothekenabschlag kompensieren.

Doch wenn das wirklich der Plan des Ministeriums sein sollte, liegen darin vier Fehlschlüsse.

Erstens: Mehr und teurere Arzneimittel wären ein viel größeres Problem

Damit diese (angebliche) Kompensation eintritt, müsste der Rx-Arzneimittelumsatz um 8,6 Prozent steigen. Demnach müsste das Ministerium also milliardenschwere Mehrausgaben der GKV durch teurere Arzneimittel erwarten, obwohl 17 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Bei Arzneimittelausgaben von 35,65 Milliarden Euro (für 2021, gemäß Apothekenwirtschaftsbericht, vor Rabattabzug) ginge es um gut 3 Milliarden Euro mehr. Darüber sollte sich der Minister dann mehr Gedanken machen als über die Apotheken.

Zweitens: Setzt das Ministerium auf Umverteilung durch Apothekenschließungen?

Das obige Argument würde sich relativieren, wenn viele Apotheken schließen und sich die erwartete Umsatzsteigerung bei den verbleibenden Apotheken aus der Umverteilung ergibt. Das widerspricht aber der Idee Lauterbachs, dass die Apotheken die Belastung verkraften. Das sollte als Erklärung also wegfallen.

Drittens: Die prozentuale Komponente wird als Inflationsausgleich gebraucht

Der hier relevante dreiprozentige Zuschlag ist der einzige Teil der Honorierung der Apotheken durch die GKV, der mit höheren Preisen steigt. Nur hier gibt es einen gewissen Inflationsausgleich. Der wird jetzt dringend benötigt, um die vielen Kostensteigerungen ansatzweise aufzufangen, und kann nicht zur Kompensation zusätzlicher Einbußen verwendet werden. Die Belastungen durch die Inflation sind ohnehin das größere und strukturelle Problem der Apotheken. Der erhöhte Kassenabschlag würde das aber noch verschlimmern.

Viertens: Teurere Packungen verursachen auch mehr Kosten

Bei der ganzen bisherigen Betrachtung wird unterstellt, dass zusätzlichen Einnahmen durch teurere Rx-Arzneimittel keine zusätzlichen Kosten gegenüberstehen. Doch das ist falsch. Höhere Umsätze führen zu höheren Beiträgen und Prämien. Hochpreiser erhöhen das Bruch- und Retax-Risiko. Sie lösen aufwendige Prüfungen und Schutzmaßnahmen beim Handling aus. Das alles kostet Geld und das steht dann nicht mehr zur Kompensation neuer Einbußen zur Verfügung. Hier liegt ein ähnlicher Irrtum vor wie im Jahr 2012 bei der unzureichend bemessenen Anpassung des Festzuschlags. Damals wurde der zusätzliche Rohertrag durch zusätzliche Packungen als Entlastung gegengerechnet. Damals wurde ignoriert, dass zusätzliche Packungen mehr Arbeit und damit mehr Kosten verursachen. Im Jahr 2022 wird nun offenbar ignoriert, dass der Umgang mit teureren Hochpreisern auch zusätzliche Kosten verursacht.

Falls das Bundesgesundheitsministerium so gerechnet haben sollte, geht das nicht auf. Doch der Minister hat beim Apothekertag angekündigt, es solle nochmal nachgerechnet werden. Das sollte zu neuen Erkenntnissen führen!


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Apothekenhonorar Rechenhilfe

von Sylvia Trautmann am 16.09.2022 um 4:15 Uhr

Danke, Herr Dr. Müller-Bohn, für Ihre treffende, sehr gute und richtige Analyse zur Berechnung der Folgen zur Kürzung des Apothekenhonorars durch die Lauterbach-sche Erhöhung des Kassenabschlages. Ich möchte nicht wissen, wie schnell bei vielen Apotheken für immer das Licht ausgeht, wenn die Strom- und Heizungskosten und die erhöhten Gehaltsforderungen der Mitarbeiter auf dem Tisch der Apothekeninhaber liegen. Es ist eine sozialdemokratische Enteignung der Apotheken, die Lauterbach hier inszeniert. Und eine Vernichtung von vielen familienfreundlichen Frauenarbeitsplätzen. Und ein sozialverträgliches Früh-Ableben von Bürgern, die nachts keine Notdienstapotheke mehr finden für dringend benötigte, lebensrettende Arzneimittel.

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Durchschnittsapotheke

von Prof. Dr. med. Schmidt Harald H.H.W. am 15.09.2022 um 20:41 Uhr

Wäre es nicht langsam an der Zeit Durchschnittsapotheke mal anders zu definieren, nicht nach Umsatz sondern nach Rohgewinn. Hochpreiser können die Rentabilität von Apotheken extrem verzerren. So kann eine Apotheke mit mit extrem viel Hochpreisen und einem Umsatz über mehrere Millionen Euro unrentabel sein im Unterschied zu einer Apotheke mit einem Umsatz von unter 3 Millionen aber praktisch keinen Hochpreisern. Letztlich kommt es doch auf den Rohgewinn an.

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AW: Durchschnittsapotheke

von Anita Peter am 16.09.2022 um 6:26 Uhr

Wie wär es denn einfach mit dem Median zu rechnen? Wieviel fette Testbuden stecken denn in den "Durchschnitts"-3-Mio Apotheken? Wieviele Zyto-Brummer stecken in der "Durchschnittsapotheke", wieviele Blistermonster stecken in der "Durchschnittsapotheke"?


Neue Erkenntnisse

von Roland Mückschel am 15.09.2022 um 19:01 Uhr

Die alten Leute kommen auch zu den alten Erkenntnissen.
Keine Änderung.

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