AkdÄ

Hochdosierte Vitamin-D-Flüssigzubereitungen insbesondere bei Kindern vermeiden

Stuttgart - 06.09.2022, 16:15 Uhr

Ein Säugling erhielt als Nahrungsergänzungsmittel täglich etwa 40 Tropfen Vitamin D3 (ca. 40.000 I.E.) und musste deshalb auf Intensivstation. (Foto: FotoHelin / AdobeStock)

Ein Säugling erhielt als Nahrungsergänzungsmittel täglich etwa 40 Tropfen Vitamin D3 (ca. 40.000 I.E.) und musste deshalb auf Intensivstation. (Foto: FotoHelin / AdobeStock)


Es ist nur ein einzelner aktueller Fallbericht, doch er fügt sich ein in eine Serie aus Fallberichten, in der die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) seit Jahren vor Überdosierungen mit Vitamin D warnt. Außerdem ist er besonders brisant, weil es um eine „Vitamin-D3-Überdosierung bei einem Säugling“ geht: Im Alter von sieben Monaten musste er in der Folge intensivmedizinisch behandelt werden. Was steckt dahinter?

Eines vorweg: Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Vitamin-D-Gabe bei Säuglingen sei nicht angebracht oder grundsätzlich gefährlich. Immerhin gehört Vitamin D zu den „Top-12-Kinderarzneistoffen“, die laut TK-Arzneimittelreport am häufigsten von Kinder- und Jugendmedizinern verordnet werden. Und so bekam der Säugling in einem aktuellen Fallbericht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) zur Rachitisprophylaxe richtigerweise auch „anfänglich die ärztlich verordnete Vitamin-D3-Prophylaxe mit 500 IE/d“. Allerdings: „Seit etwa fünf Monaten war auf Anraten von Freunden jedoch auf ein hochkonzentriertes Vitamin-D-haltiges Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet umgestellt worden, und der Junge hatte täglich 40.000 IE erhalten.“

Es ist offensichtlich, dass ein solcher Fehler beim Erwerb über eine öffentliche Apotheke hätte vermieden werden können. Denn normalerweise ist Vitamin D in der Dosierung von 20.000 IE verschreibungspflichtig.

Bereits 2016 hatte die DAZ berichtet, dass Apotheker:innen bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) immer wieder Produkte beanstanden, „die sich nach EU-Recht als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt befinden, jedoch als Arzneimittel aufgefasst werden können“. Denn: Ab 1.000 I.E. ist Vitamin D in Arzneimitteln verschreibungspflichtig, in Nahrungsergänzungsmitteln jedoch nicht. Anlass der Berichterstattung von 2016 war eine aktuelle Stellungnahme zu Vitamin D einer Expertenkommission der zuständigen Bundesoberbehörden, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die sich mit der Abgrenzung von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln befasst. Sie kam zu dem Schluss: „Bis zu einer Tagesdosis von 20 μg Vitamin D kann im Kontext der Ernährung/Nahrungsergänzung noch von einer ernährungsspezifischen beziehungsweise einer physiologischen Wirkung ausgegangen werden […].“ Das entspricht 800 I.E., und diese Einschätzung gelte auch nur, wenn alle lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllt sind, die empfohlenen Anwendungsgebiete also nicht eine Einstufung als Arzneimittel rechtfertigen. 

Doch NEM (Nahrungsergänzungsmittel) werden nicht zugelassen, in der Folge müssen die regional zuständigen Behörden jedes Präparat (nachdem sie bereits auf den Markt gelangt sind) einzeln beurteilen. Und so sind bis heute Vitamin-D-NEM im Handel, die eine Dosierung von 800 I.E. bei weitem überschreiten. Was ist nun im aktuellen Fall geschehen?

Vitamin-D-Intoxikation des Säuglings – Symptome und Folgen

Der sieben Monate alte Säugling war „wegen Gewichtsabnahme (-7 % in drei Wochen), Exsikkose und Vigilanzminderung auf die Intensivstation aufgenommen“ worden. Das Gespräch mit den Eltern erbrachte die Information über das hochdosierte verabreichte NEM: „Täglich erhielt der Säugling etwa 40 Tropfen Vitamin D3 (ca. 40.000 IE entsprechend 1000 µg).“ Die Konzentration von 25-Hydroxycholecalciferol im Serum sei mit über 600 µg/l (Referenzbereich 20–70 µg/l) extrem erhöht gewesen, es wurde schließlich die Diagnose einer ausgeprägten chronischen Vitamin-D-Intoxikation mit Hyperkalzämie und Nephrokalzinose gestellt. Selbst drei Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus soll die Konzentration von 25-Hydroxycholecalciferol noch bei 278 ng/ml gelegen haben, was durch die sehr lange Halbwertszeit zu begründen sei.

Laut AkdÄ veranschaulicht der aktuelle Fallbericht, dass „auch vermeintlich harmlose, freiverkäufliche Vitamin-D3-haltige Nahrungsergänzungsmittel“ Risiken bergen können. Es sollten immer die Dosierungsempfehlungen bzw. die altersspezifischen sicheren Zufuhrmengen der European Food Safety Agency (EFSA) eingehalten werden, betont die AkdÄ. „Hochkonzentrierte Flüssigzubereitungen von Vitamin D3 sollten aus Sicht der AkdÄ wegen der Gefahr akzidenteller Überdosierungen insbesondere bei Kindern vermieden werden.“ 

Eine langfristige Überdosierung von Vitamin D3 kann zu Hyperkalzämie führen und potenziell lebensbedrohlich sein. Kalzium-Ablagerung in Gefäßen und Geweben, insbesondere der Niere, kann die Folge sein. Die Symptome können unspezifisch sein (z. B. gastrointestinale Symptome, Dehydratation, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Bewusstseins- und Herzrhythmusstörungen) (6-8).“ 

AkdÄ, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 35-36, 05.09.2022

Erst im Februar 2021 hatte die AkdÄ beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Einnahme von Vitamin D (auch bei Erwachsenen) eine eindeutige Indikation braucht. Im August 2020 hatte zudem das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt, dass hochdosiertes Vitamin D in Nahrungsergänzungsmitteln „unnötig“ sei. Und schon 2017 hatte die AkdÄ vor „Nierenversagen durch vermeintlich harmlose Vitamin-D-Präparate“ gewarnt. 

Doch während der Finger also schon seit Jahren in die Wunde gelegt wird – und die AkdÄ auch jetzt wieder erklärt: „Um versehentliche Überdosierungen durch hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel zu vermeiden, wären Höchstmengen für Vitamin D in Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll.“ – geht auf Ebene der Politik alles ein wenig langsamer. „Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln sowie Lebensmitteln mit Vitamin-Zusatz sollten aus Sicht der Bundesregierung EU-weit geregelt werden“, hieß es zwar im April 2020. Doch bis heute gibt es solche gesetzlich bindenden Höchstregeln nicht.


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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