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Sinkende Parkinson-Inzidenz in Deutschland entgegen dem weltweiten Trend?

Stuttgart - 30.08.2022, 07:00 Uhr

Die Inzidenz der Parkinson-Diagnosen ist laut Zi im Zeitraum 2013 bis 2019 in Deutschland um bis zu 30 Prozent gesunken. (s / Foto: Pixel-Shot / AdobeStock)

Die Inzidenz der Parkinson-Diagnosen ist laut Zi im Zeitraum 2013 bis 2019 in Deutschland um bis zu 30 Prozent gesunken. (s / Foto: Pixel-Shot / AdobeStock)


Warum Menschen – vor allem im höheren Alter – an Parkinson erkranken, ist weitgehend unbekannt. Es gibt jedoch mehrere Theorien, deren Erforschung sich lohnen könnte. Denn laut dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) ist die Inzidenz der Parkinson-Diagnosen in Deutschland von 2013 bis 2019 um bis zu 30 Prozent gesunken. Woran könnte das liegen?

Im Juni 2016 berichtete das „Ärzteblatt“, dass Parkinson und vergleichbare Bewegungsstörungen immer häufiger werden. Es bezog sich auf eine Untersuchung aus dem Journal „JAMA“, die zeigte, dass die Inzidenz lediglich bei Männern, nicht aber bei Frauen, zwischen 1976 und 2005 angestiegen ist. Die Leitlinie zum idiopathischen Parkinson-Syndrom ist Ende 2020 abgelaufen. Darin heißt es, dass sowohl die Prävalenz als auch die Inzidenz von Parkinson in höherem Alter steigen. „Durch die Veränderung der Altersverteilung in den industrialisierten Ländern wird es nach Schätzungen von Dorsey (Dorsey 2007) bis zum Jahr 2030 zu einer Verdopplung der Erkrankungen weltweit kommen“, ist dort zu lesen.

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Tatsächlich berichtete die Zeitschrift „InFo Neurologie + Psychiatrie“ 2019, dass sich die Anzahl der Parkinson-Patienten verdoppelt hat. Allerdings hieß es darin auch, dass die weltweite Verbreitung von Parkinson bis dahin eher kontrovers diskutiert wurde. Unter Berufung auf das Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington, Seattle, in den USA kam man 2019 schließlich zu der Aussage, dass, während 2016 mehr als sechs Millionen Menschen an Parkinson erkrankt waren, es im Jahr 1990 lediglich 2,5 Millionen gewesen sind. Dieser Anstieg sei nicht allein durch die Veränderung der Altersstruktur zu erklären. Die Zunahme der Messparameter sei für alle Regionen der Erde ähnlich gewesen. Für Deutschland lag 2016 die Prävalenz bei 162.246 (95 %-KI 126.397–203.964), was einer Steigerung von 14,5 Prozent seit 1990 entspreche.

Nun meldete am vergangenen Freitag das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hingegen, dass die Inzidenz der Parkinson-Diagnosen im Zeitraum 2013 bis 2019 in Deutschland um bis zu 30 Prozent gesunken ist. Der Rückgang sei bundesweit und geschlechterübergreifend in allen Altersgruppen ab 50 Jahren zu beobachten. Diese Ergebnisse widersprechen also den bisher beobachteten steigenden Trends und auch der Annahme, dass die Inzidenz mit der alternden Gesellschaft steigt.

Welche Faktoren beeinflussen die Parkinson-Inzidenz?

 Das Zi stützt sich auf ärztliche Abrechnungsdaten aus der Versorgungsatlas-Studie. „Während die Inzidenz im Mittel über alle Altersgruppen im Jahr 2013 noch bei 168 pro 100.000 Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Altersbereich ab 50 Jahren lag, sank dieser Wert bis 2019 auf 122 ab“, schreibt das Zi.

Bemerkenswert sei, dass die Inzidenzen auch im ländlichen Raum immer weiter zurückgehen. „Dort waren die Erkrankungszahlen in früheren Jahren immer höher als im städtischen Raum“, sagt der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried. Doch über die Gründe für den Rückgang der Parkinson-Inzidenz könne man lediglich spekulieren. Die untersuchten GKV-Abrechnungsdaten böten hierfür keine weiteren Anhaltspunkte. 

Kausale Zusammenhänge zwischen der Nutzung landwirtschaftlicher Chemikalien und dem Parkinson-Risiko stünden jedoch seit geraumer Zeit im Fokus der wissenschaftlichen Debatte. Auch im „Ärzteblatt“ hieß es schon 2016: „Seit einiger Zeit wird vermutet, dass Pestizide ein möglicher Auslöser sind. Es gibt aber auch epidemiologische Studien, nach denen Raucher seltener an einem Morbus Parkinson erkranken.“ Viele Epidemiolog:innen bezweifelten jedoch in der Vergangenheit, dass bei solchen beobachteten Assoziationen wirklich kausale Zusammenhänge vorliegen. 

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In der „JAMA“-Studie von 2016 hatte man auch einen Anstieg der Erkrankungsrate in den Geburtsjahrgängen 1915 bis 1925 beobachtet – und zwar bei Männern und Frauen. Das kann die Frage aufwerfen, ob etwa die spanische Grippe (1918/20) zu intrauterinen Schädigungen geführt hatte, deren Folgen erst im Alter in Form von Parkinson sichtbar wurden. Solche Fragestellungen wären auch angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie interessant. 

Die Ursachen sind also unbekannt, was der Name „idiopathisches“ Parkinson-Syndrom (IPS) bereits zum Ausdruck bringt. Das IPS ist „die mit Abstand häufigste Erscheinungsform des Morbus Parkinson und lässt sich vom nicht idiopathischen oder sekundären Parkinson-Syndrom abgrenzen“, erklärt das Zi und nennt weitere mögliche Risikofaktoren für das IPS: Neben einer

  • erhöhten Exposition durch Agrarchemikalien sollen
  • der Konsum von Milchprodukten,
  • die Hormonersatztherapie,
  • Diabetes mellitus Typ 2, aber auch
  • psychische Vorerkrankungen einschließlich Depressionen, bipolare Störungen und Stimmungsschwankungen in die Gruppe möglicher nicht genetischer oder nicht ausschließlich genetischer Risikofaktoren fallen.

Für psychische Vorerkrankungen bestehe allerdings der Verdacht, dass sie keine unabhängigen Risikofaktoren darstellen, sondern in einer Prodromalphase des IPS auftretende Frühsymptome der später klinisch manifesten Erkrankung sind. 

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In einer aktuellen Studie zur Parkinson-Häufigkeit in Norwegen heißt es zur Inzidenz, dass es während des Beobachtungszeitraums (2005 bis 2016) keinen allgemeinen zeitlichen Trend gab. Jedoch sei in der Altersgruppe der 30- bis 59-Jährigen ein signifikanter Rückgang beobachtet worden. Sinkt die Zahl an IPS-Neuerkrankungen also wirklich? 

Laut Zi untermauert der in Deutschland gefundene Rückgang der Inzidenz des IPS „den bereits in einer früheren Untersuchung gefundenen Rückgang der Prävalenz im ambulanten Versorgungssektor“. Zukünftige Forschung zu den Ursachen hätte somit „das Potenzial, wichtige Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen auf Bevölkerungsebene aufzuzeigen“.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
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