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Warum Biosimilars keine einfachen Generika sind

Stuttgart - 29.07.2022, 15:00 Uhr

Laut vfa, investiert ein Generikahersteller 1 bis 5 Millionen Euro und 3 bis 5 Jahre bis zur Marktreife seines Nachahmerpräparats. Biosimilars verschlingen dagegen 60 bis 200 Millionen Euro, und es braucht 8 bis 10 Jahre, bis ein Hersteller sein similares Biological entwickelt hat. (Bild: Sondem / AdobeStock)

Laut vfa, investiert ein Generikahersteller 1 bis 5 Millionen Euro und 3 bis 5 Jahre bis zur Marktreife seines Nachahmerpräparats. Biosimilars verschlingen dagegen 60 bis 200 Millionen Euro, und es braucht 8 bis 10 Jahre, bis ein Hersteller sein similares Biological entwickelt hat. (Bild: Sondem / AdobeStock)


Künftig sollen Biopharmazeutika in Apotheken automatisch substituiert werden – wie chemische Wirkstoffe auch. Doch warum lassen sich Biosimilars nicht direkt mit einfachen Generika vergleichen und warum wird ihr Austausch teils kritisch beäugt?

Chemische Wirkstoffe wie Ramipril oder ASS lassen sich in der Apotheke „munter“ austauschen. Grundlage bilden Rabattverträge nach §130 a SGB V, die Krankenkassen bekanntermaßen mit den Herstellern schließen – und welcher Apotheker kennt sie mittlerweile, nach über 15 Jahren, nicht? Anders sieht es – derzeit noch – bei biologischen Arzneimitteln aus: Ein automatischer Austausch in der Apotheke ist verboten, das heißt: Was der Arzt verordnet, gibt die Apotheke ab. Das sollte sich jedoch im August 2022 ändern. Denn: „Sog. Biosimilars (,ähnliche biologische Arzneimittel‘) sollen schneller in die Versorgung kommen“, schrieb das Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 15. August 2019 – und erreichen will das BMG dies, indem Apotheker biologische Arzneimittel fortan ebenfalls automatisch substituieren dürfen. Nun wurde die Frist, innerhalb derer der G-BA Kriterien für einen Biosimilar-Austausch in der Apotheke festlegen soll, allerdings um ein Jahr verlängert.

Die Kritik an diesem Vorhaben, welches das GSAV (Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung) im August 2019 mit sich brachte, war harsch, und Pharmaverbände, Hersteller sowie die ABDA, KBV, AMK und AkdÄ lehnten eine automatische Substitution in der Apotheke ab – bisher ohne Erfolg.

Doch was spricht eigentlich dagegen, auch – wie bei chemischen Wirkstoffen – bei biologischen Arzneimitteln die Sparbremse über Rabattverträge zu ziehen? Der Teufel steckt im Detail – und zwar der Herstellung und der Vielfalt der Anbieter. Die DAZ hat die wichtigsten Unterschiede zwischen Generika und Biosimilars für ihre TOPIC-Leser:innen zusammengefasst.

Chemische Synthese vs. Herstellung in lebenden Zellen

Chemische Wirkstoffe werden, wie der Name bereits vermuten lässt, durch chemische Synthese hergestellt. Deutlich komplexer gestaltet sich die Produktion von biologischen Wirkstoffen, für die es lebender Zellen – Zelllinien von Bakterien, Hefen oder Säugetieren – bedarf. 

Wie ein biologischer Arzneistoff am Ende der Herstellung aussieht, hängt damit stark von den Nährstoffen, der Temperatur und den Produktionsbedingungen ab. Wohingegen sich chemische Prozesse deutlich einfacher standardisieren und reproduzieren lassen. Zudem gestaltet sich die Herstellung von Biopharmazeutika langwierig, zum Teil dauert es Monate, um eine Wirkstoffcharge zu produzieren. Laut vfa (Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V.) sind dafür über 5.000 Schritte erforderlich.

Einfache vs. hochkomplexe Moleküle

Für den aufwendigen Herstellungsprozess von Biologicals mit lebenden Organismen wird man am Ende jedoch auch belohnt, denn die Zelllinien schaffen es, hochkomplexe Proteine zu synthetisieren, während chemische Arzneistoffe, verglichen damit, lediglich eine recht simple Molekülstruktur aufweisen. 

Dafür sind die chemischen Wirkstoffe auch atomgenau definiert – der generische Wirkstoff ist tatsächlich identisch mit dem Original-Wirkstoff –, die Arzneistoffproteine sind dagegen strukturell eher heterogen aufgebaut, und ein Nachahmerpräparat eben nur ähnlich (similar) und nicht identisch zum Referenzprodukt (Spezialfall der Biosimilars sind Bioidenticals: Sie werden in derselben Produktionsstätte hergestellt und sind untereinander identisch – und damit problemlos austauschbar). 

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass eine Variabilität bei Biopharmazeutika auch bei unterschiedlichen Chargen des Referenzpräparats auftritt (nicht nur bei der Herstellung von Biosimilars verglichen mit dem Referenzprodukt).

Kleine vs. große Moleküle

Unterschiede zeigen sich auch in der Größe der Wirkstoffe: Chemische Wirkstoffe bestehen aus wenigen Atomen – Acetylsalicylsäure lässt sich aus gerade einmal 21 Atomen aufbauen. Bei biologischen Arzneistoffen bewegt man sich eher in Größenbereichen zwischen hunderten und tausenden Atomen. Allein Insulin besteht aus knapp 800 Atomen, bei monoklonalen Antikörpern müssen sich sogar um die 25.000 Atome zusammenfinden.

Orale vs. parenterale Verabreichung

Die meisten chemischen Wirkstoffe können Patient:innen oral anwenden. Biologicals müssen in aller Regel parenteral verabreicht werden. Zudem greifen Biopharmazeutika meist extrazellulär an (die meisten Proteine gelangen nicht in die Zelle), chemische Wirkstoffe sind durchaus in der Lage, Zellmembranen zu durchdringen , und ihre Ziele können sowohl extra- wie auch intrazellulär liegen.

Entwicklungskosten und -zeit

Auch bei den Entwicklungskosten und der erforderlichen Forschungszeit bis Marktzugang kommen Generika verglichen mit Biosimilars günstiger weg. Daten des vfa zufolge, investiert ein Generikahersteller 1 bis 5 Millionen Euro und 3 bis 5 Jahre bis zur Marktreife seines Nachahmerpräparats. Biosimilars verschlingen dagegen 60 bis 200 Millionen Euro, und es braucht 8 bis 10 Jahre, bis ein Hersteller sein similares Biological entwickelt hat.

Aufwendigerer Zulassungsprozess

Dass es länger dauert, ein Biosimilar zu entwickeln, und zudem teurer als ein „schlichtes“ Generikum, ist teils auch den Anforderungen der Zulassungsbehörden geschuldet. Für Generika fordern diese bei Qualität eine vollständige Prüfung, Biosimilars müssen neben dieser vollständigen Prüfung auch vergleichende Daten zum Referenzprodukt vorlegen. 

Gleichermaßen verhält es sich bei der Pharmakokinetik und -dynamik: Genügt bei Generika die Bioäquivalenz, fordern die Zulassungsbehörden bei Biosimilars zusätzlich eine vergleichende Prüfung zur Pharmakodynamik. Unterschiede gibt es vor allem bei Fragen des Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweises: Generische Hersteller dürfen an dieser Stelle auf Unterlagen des Originalpräparats verweisen, Biosimilar-Hersteller müssen hingegen zumindest in Teilen prüfen und die Wirksamkeit im direkten Vergleich zum Referenzprodukt belegen.

Nur wenige Biosimilar-Hersteller

Diese aufwendigen Prozesse – bei der Herstellung und Zulassung – tragen sicher dazu bei, dass der Markt der Biosimilar-Hersteller überschaubarer ist als der bei Generika-Produzenten. Ein Argument, dass marktregulierende Instrumente – wie die automatische Substitution via Rabattverträgen – die bei Generika gang und gäbe sind, bei Biosimilars nicht angewendet werden sollten, um zu verhindern, dass aus wirtschaftlichkeitsgründen Produktionskapazitäten aus Deutschland und Europa abwandern und es zu einer Monopolisierung auf Herstellungsseite kommt, findet der vfa. 

Biopharmazeutika seien keine chemisch-synthetischen Arzneimittel und demzufolge seien Biosimilars auch nicht mit Generika vergleichbar, denn: Biosimilars seien eben nur ähnlich, jedoch nicht identisch untereinander (anders als chemische Generika). Das sieht das Paul-Ehrlich-Institut anders und hält die Bedenken hinsichtlich Sicherheit und Immunogenität bei einem Wechsel zwischen Biopharmazeutika für „unbegründet“.


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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