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Atropin-Vergiftung nach homöopathischer Rezeptur

Stuttgart - 25.06.2021, 09:15 Uhr

Nach der Einnahme von Atropin-haltigen homöopathisch hergestellten Rezepturen traten vermehrt Nebenwirkungen bei den betroffenen Patienten auf. (c / Foto: miwa / Adobe Stock)

Nach der Einnahme von Atropin-haltigen homöopathisch hergestellten Rezepturen traten vermehrt Nebenwirkungen bei den betroffenen Patienten auf. (c / Foto: miwa / Adobe Stock)


Mehrere Patient:innen berichteten über Nebenwirkungen wie Sehstörungen und trockenere Mund nach Einnahme einer homöopathischen Atropin-Dilution aus der Apotheke. Liegt ein Rezepturfehler und eine Atropin-Intoxikation vor? Was war schief gelaufen?

Bei einem 56-jährigen Mann traten etwa 15 Minuten nach der Einnahme von 30 Tropfen einer in der Apotheke hergestellten homöopathischen Lösung Geschmacks- und Sehstörungen sowie Benommenheit auf. Der Apotheker berichtete, dass bei zwei weiteren Patienten nach Einnahme der homöopathischen Lösung ebenso verstärkt Symptome wie Unwohlsein, eine undeutliche Aussprache, trockener Mund, Bluthochdruck und Schwindel auftraten. Die Nebenwirkungen besserten sich jeweils ein bis zwei Tage nach Abbruch der Einnahme. In einem Fall wurden die Nebenwirkungen nach wiederholter Einnahme erneut beobachtet. Eine vierte Patientin konnte vor der Einnahme der Rezeptur gewarnt werden.

Liegt ein Qualitätsmangel vor?

Die Apotheke stellte die homöopathischen Rezepturen auf Verordnung einer Heilpraktikerin her. Hierzu verdünnte die Apotheke zunächst eine bestellte Atropinum sulfuricum D4-Dilution im Verhältnis 1:10 (M/M). Die verdünnte Lösung wurde dann patientenindividuell mit drei anderen, gebrauchsfertigen Homöopathika gemischt. Der Anteil der verdünnten Lösung betrug dabei jeweils 50 Prozent (M/M). 

Aufgrund der Symptomatik hatte die Apotheke den Verdacht eines Qualitätsmangels der bestellten Atropin-haltigen D4-Dilution und nahm deshalb Kontakt mit der Firma auf. Diese beteuerte zunächst für die einwandfreie Qualität ihres Produktes.

ZL findet Auffälligkeit

Laboranalytische Untersuchungen durch das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker e. V. (ZL) konnten in allen untersuchten Lösungen einen erhöhten Atropin-Gehalt um bis zu Faktor 800 feststellen. Trotz Zusammenschau mit den Laborbefunden durch die AMK wurde festgestellt, dass die Herstellungsschritte der Apotheke nicht zu der festgestellten Gehaltsabweichung hätten beitragen können. Die Schritte zur Herstellung der gebrauchsfertigen Lösung aufgrund der Analytik waren nachweislich korrekt. 

Nach Übermittlung der Argumentation der AMK wurde die Firma erneut aufgefordert, den Sachverhalt aufzuklären. Nun wurde vonseiten der Firma eine Verwechslung der D4-Dilution mit der Urtinktur nach einer Kontrolle der Lagerbestände an Urtinktur und Dilutionen festgestellt. Die Apotheke hatte somit anstelle der D4-Dilution die Urtinktur zur Herstellung der Rezepturen genutzt – ohne dies zu wissen, da die Flasche fehlerhaft etikettiert war. Aufgrund der verwendeten Urtinktur müssten die gefundenen Gehalte rechnerisch sogar um den Faktor 1.000 höher liegen. Die gefundenen Faktoren von bis zu 800 lassen sich aufgrund methodischer Unterschiede sowie dem Vorliegen komplexer Gemische erklären.

Ab 1 mg peroralem Atropinsulfat kann es zu Nebenwirkungen kommen

Das ZL bestimmte zudem das Gewicht der aus den sichergestellten Flaschen abgegebenen Tropfen: Die Patienten nahmen zwischen 2,7 und 4,6 mg Atropinsulfat pro Dosis ein. Aus pharmakologisch-toxikologischer Sicht können ab einer Dosis von 1 mg peroral verabreichtem Atropinsulfat Nebenwirkungen auftreten wie:

  • Durstgefühl,
  • erhöhte Körpertemperatur,
  • Herzfrequenzsteigerung und milde Arrhythmie-Formen,
  • Erweiterung der Pupillen, Lichtscheu und Zunahme des Augendruckes.

Bei Anwendung höherer Dosen verstärken sich die Effekte, und es können zentralnervöse Reaktionen auftreten wie Schwindel, Gangunsicherheit, Unruhe, Verwirrtheit und Erregung.

Wie kann dem vorgebeugt werden?

Apotheken, die Atropin-haltige Homöopathika beziehen bzw. weiterverarbeiten, sollten sich den Atropin-Gehalt von der Firma durch ein Analysezertifikat bestätigen lassen. Es scheint zudem ratsam, im Rahmen der Apothekenpraxis eine eigene Analytik zu etablieren. Hierzu hat das ZL eine Hilfestellung entwickelt. 

Sollten Arzneimittelrisiken im Zusammenhang mit der Einnahme von individuell hergestellten Homöopathika auftreten, die potenziell toxische Urtinkturen enthalten, sind diese unter www.arznimittelkommission.de zu melden.


Viola Schlitter, PTA, Redakteurin PTAheute.de
redaktion@daz.online


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