Kritische Analyse

Was lief schief in der Grippeimpfsaison 2020/2021?

Stuttgart - 25.03.2021, 07:00 Uhr

Viele Grippeimpfstoffdosen liegen noch immer in den Kühlschränken der Apotheken. Ihnen droht der Verfall – und den Betrieben herbe wirtschaftliche Verluste. (Foto: IMAGO / Ukrinform)

Viele Grippeimpfstoffdosen liegen noch immer in den Kühlschränken der Apotheken. Ihnen droht der Verfall – und den Betrieben herbe wirtschaftliche Verluste. (Foto: IMAGO / Ukrinform)


Die saisonale Impfung gegen Grippeviren ist ein wichtiges Präventionsziel und zugleich eine anspruchsvolle Herausforderung für das Gesundheitssystem. Jedes Jahr bleibt Deutschland bei der Impfquote deutlich hinter den WHO-Empfehlungen. Die Coronakrise hatte eigentlich zu einer erhöhten Nachfrage in der Bevölkerung geführt – doch dann kam der Lockdown. Apotheken und Arztpraxen sitzen seitdem auf Millionen unverbrauchter Impfstoffdosen. ABDA und pharmazeutischer Großhandel haben dem Bundesgesundheitsministerium nun eine Lösung vorgeschlagen. Dennoch bedarf es einer kritischen Analyse der zu Ende gehenden Saison. Und diese finden Sie in der aktuellen DAZ.

„Ein Virus kommt selten allein“ „Kommen Sie der Grippe zuvor“ „Niedersachsen macht die Grippe platt“ – An kreativen Einfällen mangelt es bei den Impfkampagnen nicht, dafür aber bei der Lösung eines großen logistischen Problems: Wie lässt sich die Grippeimpfung Saison für Saison organisieren, dass möglichst viele Menschen geimpft werden und möglichst geringe wirtschaftliche Risiken auf den Leistungserbringern wie Apotheken und Arztpraxen lasten?

Auch während der Coronakrise konnte diese Herausforderung nicht bewältigt werden, obwohl die Bereitschaft bei den Menschen deutlich größer war als in den Jahren zuvor, sich gegen die Grippe impfen zu lassen. Die Angst vor Interferenzen einer Grippeerkrankung mit einer Corona-Infektion sowie die Appelle aus der Politik und von Krankenkassen hatten zu einer erhöhten Nachfrage in der Bevölkerung geführt. Doch dann kam der Lockdown und unzählige Impftermine wurden abgesagt oder gar nicht erst wahrgenommen.

So berichtet beispielsweise eine Arztpraxis aus Schleswig-Holstein, dass sie wegen der ungewöhnlich hohen Nachfrage im September und Anfang Oktober 2020 ihre vorbestellte Menge von 110 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bereits aufgebraucht hatte und deshalb eine Warteliste mit insgesamt rund 400 Interessenten erstellte. Ende November konnte die Partner-Apotheke noch einmal Grippeimpfdosen in dieser Höhe liefern. Doch mit Eintritt des Lockdowns riss der Besuch der Impfwilligen schlagartig ab – obwohl sich das Praxispersonal mittels persönlicher telefonischer Einladungen um jeden Einzelnen bemühte. Der Kontakt nur zum Zwecke des Impfens wurde offenbar gescheut, wohl auch weil inzwischen kolportiert worden war, dass in dieser Saison eine Grippewelle ausbleibe. Nur etwa 50 Patient:innen erschienen ein zweites Mal zum Impfen.

Ausnahmeregel für Praxen

Dass es für Arztpraxen gerade während der Corona-Pandemie durchaus schwierig ist, die genaue Zahl an benötigten Grippe-Impfstoffdosen zu kalkulieren, war dem Gesetzgeber bewusst. Und so beschloss man in Berlin mit dem im Mai 2020 in Kraft getretenen zweiten Bevölkerungsschutzgesetz die Aufnahme eines Sicherheitszuschlags ins Sozialgesetzbuch V, wonach eine bis zu 30-prozentige Überschreitung der auf Sprechstundenbedarf bestellte Impfstoffmenge „gegenüber den tatsächlich erbrachten Impfungen nicht als unwirtschaftlich“ gilt (SGB V § 106b Abs. 1a).



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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1 Kommentar

Grippeimpfsaison 20/21

von Gregor Huesmann am 25.03.2021 um 10:18 Uhr

Hier sieht man wieder die verhängnisvollen Folgen der Planwirtschaft. Das Beste: Den schwarzen Peter haben die Patienten, die evtl. nicht geimpft werden und Ärzte und Apotheker, die auf den georderten Impfdosen sitzen bleiben. Meine wiederholte Forderung: Jede Apotheke bestellt just-in-time soviele Impdosen wie benötigt - über den Großhandel, und die Industrie liefert. Natürlich setzt das voraus, dass die Industrie auch Überkapazitäten vernichten muss, aber das ist nun mal so. Der Bäcker muss auch zu viel gebackene Brötchen entsorgen. Die Produktionskosten können nicht swo exorbitant hoch sein, dass die Pharmaindustrie sich das nicht leisten könnte. In Zeiten von mRNA-Impfstoffen könnte eine zeitnahe Nachproduktion durchaus möglich sein. Aber: Siehe Astra-Zeneca und Coronaimpfstoff-Hortung in Italien: Der Industrie geht es ausschließlich um das eigene Geld.

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