Gutachten der Wirtschaftsweisen

Sachverständigenrat sieht Rückverlagerung der Arzneiproduktion nach Europa kritisch

Stuttgart - 13.11.2020, 16:45 Uhr

Der Sachverständigenrat: Prof. Dr. Monika Schnitzer, Prof. Volker Wieland, Ph.D., Prof. Lars P. Feld, Vorsitzender, Prof. Veronika Grimm, Prof. Dr. Achim Truger (v.l.n.r.) (Foto: Statistisches Bundesamt Wiesbaden)

Der Sachverständigenrat: Prof. Dr. Monika Schnitzer, Prof. Volker Wieland, Ph.D., Prof. Lars P. Feld, Vorsitzender, Prof. Veronika Grimm, Prof. Dr. Achim Truger (v.l.n.r.) (Foto: Statistisches Bundesamt Wiesbaden)


Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat am Donnerstag sein jährliches Gutachten vorgestellt. Dabei ging es auch um die Rückverlagerung der Medikamentenproduktion nach Deutschland oder Europa. Dem stehen die Wirtschaftsweisen allerdings kritisch gegenüber. Vielmehr solle eine gemeinsame europäische Beschaffungsstrategie für Abhilfe sorgen.

Bei einigen Arzneimitteln wie zum Beispiel Anästhetika oder Medikamenten zur Krebstherapie kommt es in Deutschland nicht selten zu Lieferengpässen, wie Apotheker:innen wissen. Diese können in der Folge ihre Kunden nicht immer so versorgen, wie es erforderlich wäre. Patienten müssen auf andere Präparate ausweichen oder warten. Als ein Grund für die Lieferengpässe wird oft die Verlagerung der Herstellung nach Indien und China genannt – hier lässt es sich günstiger produzieren. Konzentriert sich die Herstellung dann auch noch auf sehr wenige Standorte und kommt es zu Rohstoffknappheit oder Fehlproduktionen, gerät die Lieferung ins Stocken. Die Folge sind Engpässe, die in kurzer Zeit nicht zu beheben sind. Pandemien wie die Coronakrise verstärken diese Wirkung.

Einige Gesundheitsminister der Länder erwarten von der Bundesregierung nun eilige Schritte für eine verstärkte Arzneimittelproduktion in Deutschland und der Europäischen Union. Man möchte die steigende Abhängigkeit von Ländern außerhalb der EU bei lebenswichtigen Medikamenten beenden. 

Dagegen betrachten die Ökonomen des Sachverständigenrats deutsche und europäische Überlegungen einer zumindest teilweisen Rückverlagerung der Medikamentenproduktion Europa kritisch: „Eine Umstrukturierung europäischer Wertschöpfungsketten hin zu einer stärkeren Nationalisierung dürfte mit erheblichen Effizienzverlusten verbunden sein.“ Vielmehr könnte eine „europäische Autarkiepolitik im Pharmasektor“ die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten nicht hinreichend gewährleisten, äußerte sich der Sachverständigenrat in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten.

Was ist zu tun?

Die Weisen schlagen vor, die Zulieferung weiter über Länder, Regionen und Kontinente zu streuen, obgleich Deutschland und die EU im Aggregat in ihrer Versorgung mit medizinischen Gütern ohnehin nur wenig abhängig von Handelsbeziehungen mit einzelnen Ländern sind. So könnten Versorgungsengpässe in akuten Gesundheitskrisen vermieden werden, indem die Bevorratung mit Arzneien und allgemeiner medizinischer Ausrüstung zur Resilienz beitragen.  

Zur Begründung erklärte der Sachverständigenrat weiter: „Die Bevorratung von medizinischen Gütern kann national oder europäisch angelegt sein, wobei für verderbliche Arzneimittel ein sinnvolles System gefunden werden müsste, bei dem Lagerbestände entsprechend ihrer Haltbarkeit eingesetzt werden. Der Vorrat könnte so angelegt werden, dass ein Zeitraum überbrückt werden kann, bis sich fehlende Importe durch eine Umstellung der heimischen Produktion substituieren lassen.“ Welche Arzneimittel bevorratet werden sollten und wie das Verteilungsprozedere aussehen sollte, nannte das Gremium nicht. Auch blieb im Gutachten offen, wie in Krisenzeiten auf eine schnelle heimische Produktion umgestellt werden könnte. 

Die ABDA erklärt auf Anfrage von DAZ.online, dass eine Rückverlagerung der gesamten Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion nach Europa kaum realistisch sei. „Für einzelne, besonders versorgungskritische Wirkstoffe und Arzneimittel ist sie allerdings zu überlegen“, so Christian Splett, stellvertretender Pressesprecher der ABDA. „Auf jeden Fall erscheint eine Diversifizierung der Produktion – mit einer Vielfalt an Herstellern, Standorten und auch Ländern – sinnvoll. Eine Lagerhaltung, die längerfristige Ausfälle in der Produktion kompensiert, erscheint dagegen weder organisatorisch noch wirtschaftlich darstellbar.“

Eine weitere Verlagerung der Produktion wichtiger Arzneimittel von Europa nach Fernost und anderswo sollte nach Auffassung der ABDA verhindert werden. „Durch Anpassung der Rahmenbedingungen, wie z.B. mittels Mehrfachvergaben bei Rabattverträgen, und eine Stärkung der Zusammenarbeit der Gesundheitsakteure, wie z.B. auf Brüsseler Ebene und im BfArM-Beirat, können weitere Schritte im Kampf gegen Lieferengpässe gemacht werden.“ 


Robert Hoffmann, Redakteur DAZ.online
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Rückverlagerung von Herstellungskapazitäten

von pille62 am 19.11.2020 um 11:25 Uhr

.......... billig, billiger, am billigsten und Defekte in Kauf nehmen.
Ist doch egal, ob das eine oder andere Arzneimittel oft auch mal monatelang nicht lieferbar ist. !
Die Damen und Herren sollten uns im Zuge der Globalisieung lieber erlauben uns in preiwerteren Ländern zu versichern, wegen der viel zu hohen Verwaltungskosten deutscher Krankenversicherungen.
Ach wie unglücklich, dann gäbe es ja Gutachten der Kassen für diese Damen und Herren nur zum Lowcost Preis.
Diese Coniferen merken echt gar nichts mehr, wie es am HV nervt.Beispiel gefällig!?
Ca. 80 Anrufe w.g. Grippeimfstoff in den letzten beiden Wochen.
Alles klar!

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Stellt sie so vor unterversorgte Patienten

von Thomas Kerlag am 18.11.2020 um 20:29 Uhr

Den Leuten erklären, dass nicht geliefert werden kann.
"Qualitäten" die man selbst nicht schlucken wollte....
Aber interessant wie fast lächerlich diese "Profs in Inkompetenz"
herumstehen

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Sachverstand

von ratatosk am 16.11.2020 um 11:39 Uhr

Wieso diese Leute als Sachverständige für ein komplexes System bezeichnet werden ist schleierhaft.
Leider sind diese Leute eben nur in der Lage in den schmalen Bahnen ihrer eigenen BWL Theorien zu theoretisieren.
Daß aber gerade in Pandemien ihre Prämissen nicht haltbar sind, können oder wollen sie nicht erkennen. Auch ist nicht die Rückverlagerung der gesamten Produktion nötig, hier wir d schon mit bewußt falschen Forderungen argumentiert, sondern ein größerer Anteil wäre in Notlagen sehr hilfreich. Frankreich plant hier intelligenter als Deutschland, was aber auch nicht mehr sehr schwierig ist, da die Ignoranz unserer Politik schwer zu toppen ist, oder die Ausrichtung an anderen Interessen.

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Wieso ist die Rückverlagerung kritisch?

von Thomas Bsonek am 14.11.2020 um 9:58 Uhr

Der Fehler liegt schon im Ansatz: Wie kann ich von einem Gremium, das ausschliesslich aus Ökonomen besteht, eine andere als ausschliesslich wirtschaftliche Betrachtung erwarten? Hier fehlt einfach die Expertise aus der nicht-wirtschaftlichen - also medizinischen oder pharmazeutischen - Sichtweise. Die einseitig rein ökonomische Betrachtungsweise hat zu Oligo- und Monopolbildung und somit zur aktuellen Situation geführt. Wenn sich der Blick nicht wieder ein Stück hebt, werden wir von denen, die das Gesamtgeschehen betrachten, überrollt werden. Seien es Wirtschaftsgiganten wie Amazon oder Google, Volkswirtschaften wie China oder eben einem Virus.
Sie alle machen - aktuell - ihre Hausaufgaben offensichtlich besser.....

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