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Das Für und Wider – Pro- und Antibiotika

München - 25.02.2019, 14:00 Uhr

Machen Probiotika bei Antibiotika Sinn? (c / Foto: T. L. Furrer / stock.adobe.com)
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Machen Probiotika bei Antibiotika Sinn? (c / Foto: T. L. Furrer / stock.adobe.com)


Antibiotika sind außer für ihre einzigartige Wirksamkeit gegen Bakterien leider auch für ihre schlechte Magen-Darm-Verträglichkeit bekannt. Dabei geht diese unerwünschte Begleiterscheinung weit über den Klasseneffekt hinaus, sie kann bei fast allen oral verabreichten antibiotischen Wirkstoffen festgestellt werden. Das namentliche Gegenteil, die Probiotika, gelten dabei als Hoffnungsträger im Kampf gegen Antibiotika-assoziierte Darmprobleme. 

Der antibiotische Angriff auf die funktionellen Einheiten eines Bakteriums ist nicht so selektiv, dass das menschliche Mikrobiom, also die Mikroorganismen, die den Menschen in einer friedlichen Symbiose besiedeln, nicht geschädigt würde. Durch die orale Aufnahme nimmt vor allem die individuelle Besiedlung des Darms mit Bakterien und Hefen in ihrer Vielfalt deutlich ab, besonders nach Einnahme von Breitspektrumantibiotika. sprechen.

Antibiotika-assoziierte Diarrhö bei 5 bis 40 Prozent

In einem gesunden Darm leben mehr Mikroorganismen, als der Mensch Zellen hat, schätzungsweise 1014 Bakterienarten gestalten eine intakte Intestinalflora. Unter antibiotischer Therapie reduzieren sich Anzahl und Diversität teilweise drastisch. Daher sind die häufigsten Komplikationen, die während oder auch noch nach abgeschlossener Einnahme auftreten, gastrointestinale Beschwerden, wie Übelkeit, Krämpfe und Durchfälle. 5 bis 40 Prozent der Behandelten entwickeln eine Antibiotika-assoziierte Diarrhö (AAD). Zurückzuführen ist diese auf eine Schädigung der natürlichen Darmflora, die einen Folgekomplex nach sich zieht. Kohlenhydrate aus der Nahrung werden durch Bakterien weniger verwertet und verbleiben im Dickdarm, wo sie die Resorption von Wasser behindern. Osmotische, wässrig Durchfälle sind das Resultat. Als zusätzliche Problematik hat die verminderte heimische Darmflora pathogenen Keimen nicht mehr so viel entgegenzusetzen – eine Dysbiose entsteht.

Keine generelle Empfehlung für Probiotika

Diese ansonsten oft selbstlimitierende Dysbalance im Mikrobiom des Darms kann manchmal folgenschwer sein – vorrangig für Kleinkinder, ältere oder abwehrgeschwächte Patienten. Clostridien, die den Darm sodann überwuchern können, werden häufig zu einem Problem: eine Toxin-bildende Bakteriengattung, die durch ihre Giftstoffe Darmentzündungen (pseudomembranöse Kolitis) und lebensgefährliche Durchfälle auslösen kann. Man spricht dabei von einer Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD), die wiederum eine starke antibiotische Therapie erfordert. Aber auch ohne eine CDAD leiden viele Menschen stark unter den Begleiterscheinungen ihres Antibiotikums. Oft benötigt es Wochen oder Monate bis sich die individuelle Darmflora regeneriert hat. In manchen Fällen ist der Diversitätsverlust sogar irreversibel.

Nun ist es nur verständlich, dass man die geschädigten Bakterien ersetzen möchte. Dafür stehen zahlreiche probiotische und synbiotische Produkte zur Verfügung. Als Probiotika gelten lebende Mikroorganismen, die, aktiv in den Darm gelangt, gesundheitsfördernde Eigenschaften für ihren Wirt besitzen. Kombiniert mit Präbiotika (Ballaststoffe, die als bakterielle Nahrung dienen), laufen diese Produkte unter dem Namen „Synbiotika“. Sie können laut Studien die Auswirkungen der AAD signifikant reduzieren, Stuhlfrequenz und Erkrankungsdauer sind unter Einnahme probiotischer Kulturen verringert zu erwarten. Hierbei scheint die Datenlage allerdings nach wie vor undurchsichtig und nicht ganz ausreichend, um eine generelle Empfehlung für die Anwendung von Probiotika auszusprechen.

Probiotika prophylaktisch?

Wurden die Präparate zunächst nur bei bestehenden Komplikationen wie Durchfällen, Krämpfen und Blähungen eingesetzt, geht der Trend – proportional zum vorherrschenden Probiotika-Boom – zur präventiven Empfehlung. Wer also ein Antibiotikum auf einem Rezept verordnet bekommt, erhält meist beim Arzt, spätestens aber in der Apotheke, den dringlichen Rat, sich schon prophylaktisch mit einem Probiotikum zu versorgen. Einige Hersteller haben dafür eigens abgestimmte Produkte, randvoll mit Lactobazillen und Bifidobakterien, die die Auswirkungen der antibiotischen Therapie eindämmen sollen. Das leuchtet ein, leidet doch die natürlich Darmumgebung, die eben von diesen Mikroorganismen besiedelt wird, unter dem Antibiotikum. Doch so einfach scheint es nicht zu sein.

Vorsicht bei Immungeschwächten

Die individuelle Zusammensetzung der Darmmikrobiota kann nicht einfach imitiert werden. Folglich erfüllen die Probiotika nicht zwingend den gewünschten Zweck. Neueste Erkenntnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Cell, lassen sogar vermuten, dass die unbedarfte Einnahme von Probiotika die selbstständige Wiederbesiedlung der eigenen Darmflora nach – besonders mehrmaliger – Antibiotika-Gabe verzögert. Entgegen früheren Publikationen verweisen diese großangelegten Studien darauf, dass sogar gesundheitliche Schäden durch probiotische Produkte nicht auszuschließen sind. Das Problem bei den vorgefertigten Präparaten liegt im großen Teil darin, dass sie nicht optimal auf den jeweiligen Patienten abgestimmt sind. Einige Bakterienkulturen schaffen es überhaupt nicht an ihren Hauptwirkort, den Dickdarm, sondern werden vorher verdaut. Bei einigen Anwendern greift die Besiedlung von außen nicht, selbst wenn die Mikroorganismen lebend bis zum Darm durchgedrungen sind. Für einen Bruchteil der Patienten, besonders für ältere und immungeschwächte, können sogar ernsthafte bakterielle Infektionen die Folge von Probiotika sein, wenn die Bakterien die Überhand über die „heimischen“ im Darm gewinnen. Das Prinzip dabei ist das gleiche wie bei der CDAD. Hier gilt unbedingt die  Anwendungsbeschränkung: Probiotika? Nur wenn ärztlich abgesegnet! 

Für alle anderen sollte das Probiotikum zu oder nach einem Antibiotikum eine Einzelfallentscheidung bleiben. Der Markt bietet dafür allerhand Produkte, die auch von Kunden mehr und mehr gefordert werden. Wer ansonsten fit und gesund ist und bisher keine Unverträglichkeiten zeigt, kann mit Probiotika – besser noch mit einem Synbiotikum – einen Versuch starten, die unerwünschten Begleiterscheinungen, vor allem die Diarrhö, zu minimieren, obwohl eine fundierte Datenlage zur Wirksamkeit nur in Teilen vorliegt und der Effekt nicht für jeden Menschen zu erwarten ist. Präbiotika bieten dabei eine etwas weniger kräftige, aber sichere Alternative zu Produkten mit lebenden Kulturen. Wenn sich Probleme nicht eindämmen lassen oder wiederkehren, sollte sich der Anwender in ärztliche Obhut begeben.


Ariane Gerlach, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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