Computergestützte Datenanalyse

Welche antibiotischen Substanzen gab es schon im Mittelalter?

Berlin - 03.10.2018, 09:00 Uhr

Ein US-Forscherteam hat untersucht, welche antibiotisch wirkenden Substanzen schon im Mittelalter genutzt wurden. ( r / Foto)

Ein US-Forscherteam hat untersucht, welche antibiotisch wirkenden Substanzen schon im Mittelalter genutzt wurden. ( r / Foto)


Ein interdisziplinäres wissenschaftliches Team der University of Pennsylvania und der University of Warwick in Großbritannien analysierten mithilfe computergestützter Methoden „The Lylye of Medicynes“ – ein bekanntes mittelalterliches Medizinmanuskript. Ihre Fragestellung: Inwiefern waren damalige Therapieansätze rational gesteuert? Und wie können sie gegebenenfalls für eine zeitgemäße Behandlung von bakteriellen Infektionen erschlossen werden?

Welche medizinisch-pharmazeutischen Schätze halten alte Medizinbücher zur Anwendung bereit? Diese Frage stellte sich eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten. Das interdisziplinäre Team aus Mittelalterforschern und Sprachwissenschaftlern, Mikrobiologen, Chemikern, Parasitologen, Pharmazeuten und Computerspezialisten untersuchte verschiedene mittelalterliche Rezepturen auf der Suche nach Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen, die über antibiotische Eigenschaften verfügen. Die Rezepturen entnahmen sie dem medizinhistorisch interessanten „The Lylye of Medicynes“, einem Medizinmanuskript aus dem 15. Jahrhundert. Das Wissenschaftlerteam arbeitete mit computergestützten Methoden, um die großen Datenmengen zu analysieren und zueinander in Verbindung zu setzen.

„The Ancientbiotic Team“ – interdiziplinäre Mittelalterforschung

Geeint in dem Glauben, dass die mittelalterliche Medizin und Pharmazie viele verborgene Schätze beinhalten, die unter Umständen moderne Antibiotika ergänzen könnten, wurde im Jahr 2013 an der University of Nottingham das „Ancientbiotics Team“ gegründet. „Ancientbiotics“ soll für „Antike Antibiotika“ – oder „mittelalterliche Medizin für moderne Infektionen“ – stehen. Das Besondere war von Anfang an die Interdisziplinarität, mit deren Hilfe mittelalterliche Medizinbücher und deren Sprache zugänglich gemacht und analysiert werden konnten. Die Experten der unterschiedlichen Disziplinen wurden unter anderem für die Übersetzung der mittelalterlichen Texte, die computergestützte Datenanalyse, die Suche nach wirksamen Inhaltsstoffen und deren eventuellen Anwendungsmöglichkeiten und Unbedenklichkeit gebraucht.

Chinesische Forschung als Vorbild

Die Hoffnung des Teams ein wirksames Antibiotikum zu finden, welches auch  für eine zeitgemäße Behandlung von bakteriellen Infektionen geeignet wäre, begründen sie durch den Erfolg der chinesischen Medizin-Nobelpreisträgerin aus dem Jahre 2015, Youyou Tu. Die Pharmazeutin und ihr Team analysierten alte chinesische Handschriften auf der Suche nach einem potenten Malariamittel, welches sie schließlich in einem Handbuch aus dem Jahre 340 n.Chr. fanden.  Es handelt sich um den Wirkstoff Artemisinin aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) – inzwischen Standard in der Behandlung der Malaria. 

Pilotstudie weckt Hoffnungen

Das „Ancientbiotics Team“ begann seine Suche nach antimikrobiell wirksamer Mittelaltermedizin mit der Analyse einer Rezeptur gegen Infektionen der Augen aus einer angelsächsischen Handschrift aus dem 10. Jahrhundert – „The Bald’s Leechbook“.  Die Rezeptur mit dem Namen „Bald’s Eyesalve“ enthält die Bestandteile Zwiebeln (Allium cepa), Knoblauch (Allium sativum), Ochsengalle und Wein. Das Team bereitete die Rezeptur nach den Originalangaben, die in diesem Fall mitangegeben waren, zu und untersuchte (in vitro und an Mäusen) sowohl die Originalrezeptur als auch deren Bestandteile einzeln. Das Ergebnis belegte eine Wirksamkeit der Originalrezeptur gegenüber Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Festgestellt wurde auch ein Synergismus der einzelnen Bestandteile, die in der Kombination wirksamer waren als bei alleiniger Anwendung – und auch wirksamer als in der Aufsummierung der Effekte der Einzelanwendungen. 

Die Forschung konnte allerdings keine Klarheit über die eigentliche Wirksubstanz – bzw. Wirksubstanzen – schaffen. Angenommen wird ein Prozess, der durch die während der Herstellung der Rezeptur stattfindende Mazeration der Bestandteile bedingt ist. Enzyme der Ochsengalle scheinen dabei den Wirkstoff aus den Allium-Arten, Knoblauch und Küchenzwiebeln, zu bilden. Bekannt ist die Wirksamkeit einiger Bestandteile der Allium-Arten wie die Organoschwefelverbindung Ajoene und das unter anderem bakteriostatisch wirksame Allicin, die beide im Knoblauch vorkommen. Als weitere wirksame Bestandteile sind Flavonoide wie Quercetin, die in Allium-Spezies gefunden werden, zu nennen. 



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

es ist beschämend

von norbert brand am 04.10.2018 um 8:06 Uhr

es ist ganz einfach beschämend, daß man mit diesem Projekt das, was man in den vergangenen "evidenzbasierten" Jahrzehnten kaputt gemacht hat, mit modernen Methoden interdisziplinär erneut erforschen will. Wie oft wurden Arzneimittelkombinationen als "umstritten" abqualifiziert. Nun stellt man fest, daß die Kombination offensichtlich wirksamer ist, als ihre Einzelbestandteile? Banal!! Des weiteren sind heute Wirkstoffe obsolet, die damals einen wohl hohen Stellenwert hatten, z.B. Honig (Clostridien, Pyrrolizidinalkaloide), Ochsengalle (BSE), Weihrauch (widersprüchliche Studienlage), Fenchel (Cave Estragol!!), usw. Der Blick in eine Rote Liste der 70er Jahre zeigt noch alles das, was dann in der folgenden Phase der "Aufbereitung", oder besser: Inquisition, auf den Index gesetzt wurde. Drehen wir uns im Kreis? Vielleicht hat dieses Mittelalterprojekt ein Gutes: uns wird vor Augen geführt, daß wir mit der modernen Wissenschaft einen Kahlschlag in unserem ehem. reichen Arzneischatz vollführt haben, daß wir heute ärmer dran sind als im Mittelalter.

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