DKFZ-Studie

Zwischen Ethik und Ökonomie: Was darf es kosten, ein Jahr länger zu leben?

Berlin - 06.06.2018, 09:00 Uhr

Für einen geliebten Menschen würden wir alles tun, um ihn noch ein Jahr länger in unseren Reihen zu wissen. Doch Gesundheitsökonomen rechnen anders. (Foto: Imago)

Für einen geliebten Menschen würden wir alles tun, um ihn noch ein Jahr länger in unseren Reihen zu wissen. Doch Gesundheitsökonomen rechnen anders. (Foto: Imago)


Eigentlich ist Zeit nicht mit Geld aufrechnen. Doch viele Länder ziehen eine ökonomische Betrachtung von Lebenszeit bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln heran. Forscher haben nun ermittelt, wie viel Menschen aus verschiedenen Ländern bereit wären, für ein statistisch gewonnenes Lebensjahr zu zahlen. Die internationalen Unterschiede sind beträchtlich.

Was ist gewonnene Lebenszeit wert im Verhältnis zu dem, was ein lebensverlängerndes Arzneimittel kostet? Eine derartige Kosten-Nutzen-Bewertung des Überlebens klingt eiskalt. Ist aber im Gegensatz zu Deutschland in vielen anderen Ländern üblich, wenn es darum geht, ob ein Arzneimittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.

Ökonomen leiten „Lebenswert“ aus menschlichem Verhalten ab

Als internationale Richtgröße wird dazu der sogenannte „Wert eines statistischen Lebensjahres“ (VSLY) herangezogen. Einer Pressemitteilung zufolge haben Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) aus 120 ökonomischen Studien ermittelt, wie viel die Menschen in verschiedenen Ländern bereit sind, für ein statistisch gewonnenes Lebensjahr zu bezahlen.

Weshalb solche Berechnungen für Gesundheitsökonomen relevant sind, begründet Michael Schlander vom DKFZ damit, dass die Solidargemeinschaft die Kosten tragen muss. „Eine medizinische Leistung, die einem Patienten ein zusätzliches Lebensjahr bringt, darf die Zahlungsbereitschaft für ein VSLY nicht überschreiten“, sagt Schlander in einer Pressemitteilung.

Da die Frage nach dem Wert eines Lebensjahres schwierig direkt zu beantworten ist, leiten Ökonomen diese Kennzahl aus dem menschlichen Verhalten ab. So werden Menschen etwa befragt, wie viel sie für eine Maßnahme zu zahlen bereit sind, die ihr Sterblichkeitsrisiko senkt, wie etwa für die Anschaffung eines Airbags für das Auto. Eine alternative Fragetechnik zielt auf die Risikobereitschaft ab – beispielsweise um wie viel höher der Arbeitslohn ausfallen muss, damit Menschen eine riskantere Beschäftigung annehmen.

Nordamerikanern ist das Leben am „teuersten“

Die Forscher ermittelten aus 120 ökonomischen Studien einen Median für den Wert eines Lebensjahres von 164.409 Euro. Dabei treten erwartungsgemäß erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Weltregionen auf: So lag der Wert in Asien bei 43.000 Euro, in Europa bei 158.448 Euro, für Deutschland bei 173.868 Euro und in Nordamerika erreichte er sogar 271.179 Euro.  

Da die Kaufkraft international unterschiedlich ist, wurden die ermittelten Werte auf das jeweilige Bruttosozialprodukt (BIP) pro Kopf umgerechnet. Nach dieser Normierung lagen Asien und Europa etwa gleichauf mit einer Zahlungsbereitschaft für ein gewonnenes Lebensjahr des Fünffachen des BIP pro Kopf. Dagegen waren US-Amerikaner und Kanadier bereit, das 6,9-fache des BIP pro Kopf für weitere 12 Monate zu investieren.

Bisherige Standards zu niedrig

Mit oder ohne Normierung – die VSLY-Werte, die das DKFZ ermittelt hat, übersteigen bei weitem die Standards, die die Gesundheitsökonomie derzeit ansetzt. So ist beispielsweise in England ein Jahr Lebenszeit zwischen 20.000 bis 30.000 Pfund wert. Die WHO bemisst einem gewonnem Jahr das ein- bis dreifache des BIP pro Kopf zu. 

Aus Sicht von Schlander sind die Richtgrößen für den VSLY in den Ländern, wo er zur Rate gezogen wird, deutlich zu niedrig angesetzt. Die Berechnungen des DKFZ stuft der Wissenschaftlicher wie folgt ein: „Unsere Ergebnisse könnten als Richtwerte dabei helfen, die Kosteneffektivität von medizinischen Leistungen zu beurteilen. Dies betrifft derzeit besonders jene Länder, die medizinische Maßnahmen nach dieser Logik bewerten.“  

In Deutschland ist es derzeit nicht üblich, Lebenszeit einen direkten Geldwert zuzuordnen. Noch beruht die Nutzenbewertung von Arzneimitteln primär auf den Ergebnissen klinischer Studien. Bei vielen onkologischen Studien oder Studien zu schweren Erkrankungen geht es nicht nur um die reine Überlebensdauer, sondern auch um die Lebensqualität, die für Betroffene häufig mindestens ebenso wichtig ist. Diese spielt bei einer reinen VSLY-Betrachtung allerdings keine Rolle. 


Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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