Kritische Nachbetrachtung

Schmerzmittel und Liebeskummer

Stuttgart - 03.03.2018, 10:00 Uhr

Die Übersichtsarbeit „Können
OTC-Analgetika unser Denken und unsere Gefühle beeinflussen?" fand in den Medien ein lebhaftes Echo (Foto: BestForYou

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Die Übersichtsarbeit „Können OTC-Analgetika unser Denken und unsere Gefühle beeinflussen?" fand in den Medien ein lebhaftes Echo (Foto: BestForYou / stock.adobe.com)


„Können OTC-Analgetika unser Denken und unsere Gefühle beeinflussen?, fragte eine vor kurzem in einer amerikanischen Zeitschrift erschienene Übersichtsarbeit, in der mehrere Studien zu NSAR und deren Effekt auf die Gefühle diskutiert werden. Prof. Dr. med. Thomas Herdegen von der Universität Kiel hat die Arbeit kritisch betrachtet und erläutert, ob die „Indikationen“ Herzschmerz und Liebeskummer für NSAR sinnvoll ist.

Wenn man von nicht-steroidalen Analgetika (NSAR) spricht, muss man sich mit Prostaglandinen auseinandersetzen. Die Wirkungen von Prostaglandinen und Cyclooxygenasen auf neurobiologische-psychische Prozesse sind vielfältig. Als Beispiel mag eine Patientin mit schwerster therapieresistenter bipolarer Störung dienen, bei der der COX-2-Hemmer Celecoxib das „Rapid Cycling“, also den raschen Wechsel zwischen depressiven und manischen Phasen, um die Hälfte entschleunigen konnte. Interessanterweise markieren Expressionsänderungen von Prostaglandin-metabolisierenden Enzymen den Beginn des Winterschlafes bei Tieren: Eventuell spiegelt bipolares „Zyklieren“ also das evolutionär alte Muster des Winterschlafes wider. Neuronen und Mikroglia exprimieren Cyclooxygenasen: Ihre Rolle bei der Gedächtnisbildung, der Aufmerksamkeit und der Schlafregulation sowie bei neuroinflammatorischen Prozessen ist bekanntes neurobiologisches Grundwissen. COX-Hemmer wirken sowohl auf das periphere wie auch das zentrale Schmerz- bzw. Nervensystem. Störungen von Kognition und Aufmerksamkeit gelten als bekannte neurologische Nebenwirkungen. Andererseits werden COX-Hemmer immer noch als eine wichtige neuroprotektive Therapieoption betrachtet, beispielsweise gegen das Fortschreiten einer Demenz.

Paracetamol als Tranquilizer?

Mit den Benzodiazepinen und Neuroleptika stehen Tranquilizer zur Verfügung, die hochwirksam und sofort schwerste affektive und psychomotorische Unruhezustände zu beheben vermögen. Selbst eingefleischte HSV-Anhänger würden unter Einnahme dieser Neuropharmaka den Abstieg ihrer Mannschaft aus der Bundesliga nur noch achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Ob Paracetamol Ähnliches leisten kann, darf bezweifelt werden: Paracetamol zeigte erst nach elftägiger Einnahme eine signifikante Änderung der Bewertung innerer. So lange sollte man bei Liebeskummer oder Mobbing nicht warten.

Wie gleich sind Herzschmerz und Verletzungsschmerz?

Immer wieder weist die Übersichtsarbeit darauf hin, dass die emotionale Komponente beim körperlichen Verletzungsschmerz ähnlich der beim sozialen oder psychischen Schmerz sein kann. Ihre zentrale Schlussfolgerung lautet daher: Wer Schmerzen unterdrückt, unterdrückt auch Emotionen. Doch ist das aversive „Schmerzgefühl“, das Verletzungssschmerzen und Liebeskummer teilen, zwar teilweise ähnlich, aber eben nicht gleich. So decken sich einschießende Parästhesien bei radikulärer Pathologie oder Allodynie beim Sonnenbrand offensichtlich nicht mit der Verzweiflung bei Todesfällen oder der Enttäuschung, wenn man „sitzengelassen“ oder „ausgeschlossen“ wird. Wahrscheinlich sind die sprachlichen Schmerzbilder, mit denen wir körperliche und emotional-seelische Verletzungen zu fassen versuchen, doch mehr semantischer und weniger neurobiologischer Natur, wie die Autoren der Arbeit uns glauben lassen möchten. Körperliche und psychische Schmerzen können aus neuropsychologischer Sicht vielmehr eine „Endstrecke“ teilen: ein Kerngebiet im Gehirn (oder eine zelluläre Reaktion) wird von verschiedenen Bahnen und Auslösern erreicht bzw. stimuliert. Die Hemmung dieser „Endstrecke“ verändert aber nicht die Systeme, die in diese „Endstrecke“ münden.

DAZ-Ausgabe 09/2018

Das ist ein Auszug aus dem Artikel „Herz und Schmerz(mittel)“ Die vollständige kritische Nachbetrachtung zum Valentinstag von Prof. Dr. med. Thomas Herdegen finden Sie in der aktuellen DAZ.


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