Untätigkeitsklage gegen EU-Kommission scheitert

EuGH enttäuscht Phyto-Hersteller

Berlin - 24.11.2017, 17:30 Uhr

Ungleichlange Spieße: NEM mit pflanzlichen Bestandteilen dürfen derzeit ohne Einschränkung mit gesundheitsbezogenen Angaben werben. Phyto-Hersteller müssen sich an strenge Regeln halten. (Foto:                             
                                    


                                    Botamochy

                                    
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Ungleichlange Spieße: NEM mit pflanzlichen Bestandteilen dürfen derzeit ohne Einschränkung mit gesundheitsbezogenen Angaben werben. Phyto-Hersteller müssen sich an strenge Regeln halten. (Foto: Botamochy / stock.adobe.com)


Der Europäische Gerichtshof hat eine Untätigkeitsklage abgewiesen, die die EU-Kommission beflügeln sollte, endlich die seit zehn Jahren ausstehende Liste zulässiger gesundheitsbezogener Werbeaussagen für „Botanicals“ zu erstellen. Geklagt hatte unter anderem Phyto-Hersteller Bionorica. Das Unternehmen spricht von einer „Niederlage für Verbraucher und Patienten“.

Seit dem 1. Juli 2007 regelt die europäische Health-Claims-Verordnung, wie nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln zu handhaben sind. Gesundheitsbezogene Angaben sind demnach nur noch gestattet, wenn sie zuvor wissenschaftlich bewertet und von der EU-Kommission zugelassen wurden. Dazu müssen sie in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen sein. Eine solche umfangreiche „Positivliste“ gibt es bereits seit Jahren für diverse Vitamine und Spurenelemente.

Die Überprüfung der gesundheitsbezogenen Aussagen zu pflanzlichen Stoffen und Zubereitungen wie beispielsweise Cranberry, Ginkgo oder Ginseng – sogenannte „Botanicals“ – wurde jedoch im Jahr 2010 zurückgestellt. Es zeigte sich, dass viele der Aussagen nicht ausreichend wissenschaftlich belegbar sind. Und seitdem geht es nicht voran. Sehr zum Ärger der Hersteller pflanzlicher Arzneimittel, die die gleichen Bestandteile wie die Nahrungsergänzungsmittel (NEM) enthalten. Sie beklagen einen Wettbewerbsnachteil. Schließlich müssen sie die Wirksamkeit ihrer Arzneien mit Studien belegen. Die NEM-Hersteller können hingegen auch ohne diese gesundheitsbezogen werben. Darin sehen die Phyto-Hersteller jedoch eine Irreführung der Verbraucher.

Bionorica bohrt schon lange nach

Bionorica hatte bereits 2014 gegen die Untätigkeit der Kommission geklagt. Doch dem Unternehmen war kein Erfolg in Luxemburg beschieden. Damals nicht und auch heute nicht. Zwar erkennen die Luxemburger Richter im aktuellen Urteil durchaus an, dass die Kommission zeitlich hinterherhinkt und unzureichend über den Stand der Dinge informiert hat. Allerdings fehle Bionorica als Arzneimittelhersteller das Rechtsschutzbedürfnis für eine erfolgreiche Klage. Nicht anders erging es Diapharm, einer Dienstleistungs- und Beratungsgesellschaft für die Pharmaindustrie. Auch dieses Unternehmen hatte Untätigkeitsklage erhoben; beide Verfahren wurden daher verbunden.  

Prof. Dr. Michael A. Popp, Vorstandsvorsitzender und Inhaber der Bionorica, ist mehr als enttäuscht: „Das ist ein Schlag für die Verbraucher! Sie wurden und werden in unseren Augen getäuscht. Viele meinen ja, dass sie ein geprüftes Arzneimittel kaufen, weil sie falschen Werbeversprechen glauben.“ 

Diapharm-Geschäftsführer Dr. Stefan Sandner kritisierte, dass die Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln weiter im Unklaren darüber blieben, wann über die Health Claims für Botanicals entschieden werden wird. „Auf dieser Basis kann kein Marktteilnehmer langfristige Entscheidungen treffen. Ausgerechnet ein Gericht hat hier die Chance vergeben, Rechtssicherheit herbeizuführen.“

BPI: Politik muss auf zügige Umsetzung drängen

Und auch Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), zeigte sich unzufrieden: „Das Gericht hat versäumt, der Kommission ein zeitliches Limit zu setzen, um nicht genehmigte Werbeaussagen zu unterbinden. Es darf also weiterhin der Eindruck erweckt werden, dass ungeprüfte, pflanzliche Lebensmittel einen gesundheitlichen Zusatznutzen haben. Die Verbrauchertäuschung wird auf unbestimmte Zeit mit dem Urteil manifestiert.“

Doch Gerbsch sieht einen Lichtblick: Selbst wenn das Gericht die Klage aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses abgewiesen habe, habe es doch die unbefristete Verlängerung der Übergangsfristen kritisiert. „Da müssen die Alarmglocken der Politik schrillen! Sie muss endlich auf die zügige und vollständige Umsetzung der Verordnung drängen“, sagte Gerbsch.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 23. November 2017, Rs. C‑596/15 P und C‑597/15 P


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Ahnungslos im Griff des Kommerz

von Bernd Jas am 25.11.2017 um 8:42 Uhr

Ahnungslos sowohl als Entscheider in der Gesetzessteuerung (wahrscheinlich gewollt), als auch und im Besonderem (in kommerzberauschter Unwissenheit) als Verbraucher, bröckelt so die großartige Konstruktion Europa unter der Abrissbirne der Großkonzerne.

Es braucht dringend mehr Demokratie. Unser Europa.

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