Verbandschef Peter Froese

„Die Digitalisierung ist zum Totschlagargument geworden“

Kiel - 12.10.2017, 13:35 Uhr

Digitalisierung ja, Pseudo-Argumente nein! Peter Froese, Apothekerverbandschef in Schleswig-Holstein, weist darauf hin, dass Apotheker schon seit längerer Zeit sehr digital arbeiten. (Foto: Schelbert)

Digitalisierung ja, Pseudo-Argumente nein! Peter Froese, Apothekerverbandschef in Schleswig-Holstein, weist darauf hin, dass Apotheker schon seit längerer Zeit sehr digital arbeiten. (Foto: Schelbert)


Die mögliche Jamaika-Koalition, die Digitalisierung und die Apothekenhonorierung waren wesentliche Themen des Verbandsvorsitzenden Dr. Peter Froese bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. Froese stört sich daran, dass die Digitalisierung immer häufiger als „Feigenblatt für banale Geschäftsmodelle“ verwendet werde – wie etwa der Rx-Versandhandel.

In seinem Lagebericht bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein am gestrigen Mittwoch in Kiel kam der Verbandsvorsitzende Dr. Peter Froese immer wieder auf die Digitalisierung zu sprechen. Aufgrund der Erfahrungen mit der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein erklärte Froese, dass sich die kleinen Parteien in einer solchen Koalition in „Leuchtturmprojekten“ wiederfinden müssten. Auch im Interview mit DAZ.online hatte Froese schon über seine Erfahrungen mit Schwarz-Gelb-Grün berichtet.

Der Koalitionsvertrag werde noch wichtiger als in der bisherigen großen Koalition, nach dem Motto: „Was nicht geschrieben steht, findet nicht statt.“ Inhaltlich würden Digitalisierung und Vernetzung im Vordergrund stehen, weil dies für FDP und Grüne „Muss-Ziele“ seien. Ordnungspolitische Überlegungen dürften dagegen weniger prägend als in der großen Koalition sein, erwartet Froese. In der Frage nach Vergütungen für heilberufliche Leistungen sieht er die Ärzte als Treiber.

Gemeinsamkeiten der Heilberufe

In seiner Rückschau auf das Berichtsjahr betonte Froese die Arbeit der Interessengemeinschaft der Heilberufe in Schleswig-Holstein, die am 21. September erstmals einen parlamentarischen Abend veranstaltet hatte. Mit dieser bundesweit einmaligen Organisation würden die Heilberufler der Politik signalisieren, dass sie nicht auseinander zu bekommen seien. Froese wies insbesondere auf die klaren Worte des schleswig-holsteinischen Gesundheitsministers Dr. Heiner Garg (FDP) beim parlamentarischen Abend hin. Garg habe sich eindeutig zur Freiberuflichkeit bekannt und bezüglich der Apotheken erklärt: „Fremdbesitz ist Unfug.“

Sichtweisen zur Digitalisierung

Froese kritisierte, dass sich die Digitalisierung zum Totschlagargument gewandelt habe. Sie diene zunehmend „als Feigenblatt für banale Geschäftsmodelle oder den disruptiven Umbau bestehender Prozesse“. Doch „der einzige Prozess, der absolut und gar nicht digital ist, ist der ökologisch höchst fragwürdige, energetisch katastrophale, ökonomisch sinnlose und pharmazeutisch problematische Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“, so Froese. Stattdessen zerstöre die Fernversorgung die sich mühsam etablierende Arzneimitteltherapiesicherheit. So würden Lücken in den Medikationsdaten der Stammapotheke vor Ort entstehen, Behandlungen würden verzögert und Verwechslungen bei der Rezeptausstellung könnten nicht erkannt werden. Außerdem beruhe das deutsche Arzneimittelversorgungssystem auf dem Ad-nunc-Prinzip. Die Versorgung solle also unverzüglich stattfinden. Eine verzögerte Belieferung sei systemfremd. Daraus sei nur zu folgern, dass der Rx-Versand verboten werden müsse.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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7 Kommentare

Digitalisierung als Götterdämmerung

von Heiko Barz am 13.10.2017 um 18:12 Uhr

Viele, denen die Medienwelt ein Mikrofon vor den Mund stopft, brabbeln stereotyp das Wort DIGITALISIERUNG in die Welt hinaus, in der Hoffnung, dadurch Kompetenz zu vermitteln. Wir haben in unseren Apotheken schon "digital" gearbeitet, da hat die 'Gesundheitskasse' die Patientenkartei noch mit dem Kuli beschrieben.
Alle die schwätzenden Nerds, die der Götterdämmerung - Digitalisierung - nach hecheln, haben eigentlich kaum eine Vision, wie sie sich einen derartigen diffusen Begriff vorzustellen haben.
Wenn man sich die Digitalisierung im Bereich der Medizin und Pharmazie vorstellt, dann geht es eigentlich nur um Transparenz. Bis ins Detail muß alles auf 0 und 1 herunter gebrochen werden. Und das soll ein Vorteil sein für die individuelle Behandlung des Patienten!?
Emotionen jedenfalls können nicht digitalisiert werden, und damit haben wir im Dialog mit den Patienten jeden Tag über die Maßen zu tun.
Für die holländischen Piratenversender sind die für uns so wichtigen "Vor Ort Aktivitäten" zum individuellen Vorteil des Patienten ein Dorn, eher ein Splitter, im Auge.
Diese konzernabhängigen Sklavenapotheker aus dem Polderland sehnen sich inständig nach dem E-Rezept, damit sie mit ihren gierigen Krakenarmen und der Hilfe inländischer Politiker aus den Arztpraxen die dort ausgestellten Rezepte abgreifen können.

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Ent - Verantwortung

von Christian Giese am 13.10.2017 um 17:09 Uhr

Je anonymer, je weniger Verantwortung.
Und das in einem Gesundheitsberuf!
Dazu sagt die ABDA halt weiterhin nix! Gar nix!

Und der Pfad geht weiter:
Lesen:
Yvonne Hofstetter,
"Das Ende der Demokratie, wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und entmündigt."

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Digitale Welten

von Dr.Diefenbach am 13.10.2017 um 16:16 Uhr

Der Überschrift ist nichts hinzuzufügen .Die Anonymisierumgswelle rollt

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Rx-Versandverbot

von Michael Teschers am 13.10.2017 um 10:19 Uhr

Grundsätzlich stimme ich darin über ein, dass der zunehmende Versandhandel ökologischer Schwachsinn ist. Manchmal parken drei verschiedene Versand Firmen vor unserer Haustür. Darüber hinaus wird der Kleinhandel massiv beeinträchtigt und zur Aufgabe gezwungen. Das Problem der Grundversorgung in der Fläche besteht aber weiter: wenn nicht Hausarzt na eine Apotheke vorhanden ist, wo soll der ältere Mensch, oftmals ohne Auto, seine Medikamente herbekommen, wenn nicht im Versandhandel?

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AW: Rx-Versandverbot

von Rolf Lachenmaier am 13.10.2017 um 11:43 Uhr

Ganz einfach - aus der nächsten oder übernächsten Vor-Ort-Apo, die den nicht mobilen Patienten per pharm. Botendienst versorgt... wie das tausendfach(!) pro Tag passiert. Schnell, kompetent, sicher. Wer braucht da den (Holland-)Versand, der im Akutfall min. 2 Tage unterwegs ist, KEINE Rezepturen kann, KEINE Btm's versendet, etc. Dieses Pseudo-Argument der "unterversorgten Regionen" (was die Medikamentenversorgung betrifft) wird immer wieder angestrengt - "wahrer" wird es dadurch nicht.

AW: Rx-Versandverbot

von Florian Becker am 24.10.2017 um 14:41 Uhr

Auch wenn es interessierte Kreise und vor allem manche Politikerinnen noch so oft herbeireden wollen:
Es GIBT kein Problem mit der Versorgung in der Fläche!
Es gibt in Deutschland nicht einen einzigen Weiler oder meinetwegen Aussiedlerhof, der nicht von einer Vor-Ort-Apotheke per Botendienst beliefert werden kann!
Und zwar ohne erst das Rezept einzuschicken (wo wirft der nicht gehfähige Aussiedlerhofbewohner das eigentlich ein?)
und zwei Tage auf sein Medikament zu warten, sondern am GLEICHEN Tag, zuverlässig und persönlich!
Dieses "Argument" für den RX-Versand ist angesichts dessen geradezu absurd, aber offensichtlich nicht auszurotten..

totale Digitalisierung erstrebenswert?

von Karl Friedrich Müller am 12.10.2017 um 14:59 Uhr

Gestern in der SZ: 50% der Internetuser und online Besteller sind schon betrogen worden, sprich Internetkriminalität zum Opfer gefallen.
Auch die edle Digitalisierungmedaille hat 2 Seiten.
Aber laut Lindner: erst machen, dann denken! (und viel Lehrgeld bezahlen!)
Ich kann diesen Digitalisierungsschwachsinn nicht mehr hören. Das ist auch nur ein Schlagwort, das als Sau durch jedes Dorf getrieben wird. Und dabei helfen soll, bestimmte Personen zu fördern oder Konzerne.
Im Übrigen ist Deutschland im Ausbau der notwendigen Netzwerke Schlusslicht in der Welt. Wahrscheinlich ist Mali noch besser dran...

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