Immunologische Forschung

Möglicher Auslöser chronischer Darmerkrankungen entdeckt

Remagen - 04.05.2017, 09:30 Uhr

Colitis-ulcerosa-Patienten sind Stammkunden in der Apotheke. Sie sind ihr Leben lang immer wieder auf Medikamente angewiesen. (Foto: tashatuvango / Fotolia)

Colitis-ulcerosa-Patienten sind Stammkunden in der Apotheke. Sie sind ihr Leben lang immer wieder auf Medikamente angewiesen. (Foto: tashatuvango / Fotolia)


Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind die beiden häufigsten entzündlichen Darmerkrankungen. Die meisten Menschen erkranken im jugendlichen oder jungen Erwachsenenalter daran und haben dann lange Jahre darunter zu leiden. Die Ursache ist nicht bekannt. Jetzt haben Forscher eine mögliche Erklärung gefunden.

Chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind für die Betroffenen sehr belastend. Zu den häufigsten Beschwerden, die die Erkrankungen auslösen, gehören Bauchschmerzen, wiederkehrende Durchfälle, Darmblutungen und Koliken. Der pathologische Prozess beinhaltet Zyklen von Entzündungen, Geschwüren und anschließender Regeneration der Darmschleimhaut. Nach heutigem Verständnis beruhen solche chronischen Darmerkrankungen auf Störungen der körpereigenen Immunabwehr. Wo die entscheidenden Ursachen genau liegen, ist allerdings noch nicht bekannt. Das Immunsystem in der Darmschleimhaut sorgt für die Immunität gegenüber fremden Erregern und vermittelt gleichzeitig die Toleranz gegenüber Mikroben im Darm. Eine Intoleranz gegen mikrobielle Antigene kann zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen führen, so die Annahme.

Onkogenes Protein Bcl-3 ist der Auslöser

Einem Forscherteam von der Universitätsmedizin in Mainz und vom Institut für Diabetes und Adipositas des Helmholtz Zentrums München könnte jetzt ein entscheidender Durchbruch in der Ursachenforschung geglückt sein. Die Gruppe um Elke Glasmacher, Nadine Hövelmeyer und Ari Waisman hat einen neuen Mechanismus aufgedeckt, der die Entzündung im Darm über eine Entgleisung des Immunsystems verursacht. Wie es dazu kommt, beschreiben sie in der Zeitschrift „Nature Communications“. „Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern konnten wir zeigen, dass das Protein Bcl-3, das auch bei verschiedenen Krebserkrankungen eine Rolle spielt, im Darm von Colitis-Patienten erhöht ist", erläutert Nadine Hövelmeyer, Arbeitsgruppenleiterin am Mainzer Institut für Molekulare Medizin. 

Angriffspunkt an den regulatorischen T-Zellen

Nach der Studie hat Bcl-3 seinen Angriffspunkt in den sogenannten regulatorischen T-Zellen (Tregs). Diese sind unerlässlich für die Aufrechterhaltung der Immunhomöostase im Darm, indem sie die Produktion von Zytokinen in TH1 und TH2-Zellen unterdrücken. Darüber hinaus sind Treg-Zellen wichtige Mediatoren der Toleranz im Darm. Verschiedene Studien haben Störungen der Treg-Zell-Entwicklung oder -Funktion bereits mit der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen in Verbindung gebracht. Ihr Beitrag zur Verhinderung solcher Erkrankungen gilt zwar als anerkannt, aber die molekularen Faktoren, die die Funktionalität von Treg-Zellen regulieren, sind noch nicht vollständig beschrieben. 

Genblockade bremst regulatorische T-Zellen aus

Hier sind die Wissenschaftler nun einen guten Schritt vorangekommen. Sie haben herausgefunden, dass die Aktivierung der Tregs offenbar durch Bcl-3 unterbunden wird. Wie das genau abläuft, erklärt Glasmacher, Gruppenleiterin am Institut für Diabetes und Adipositas des Helmholtz Zentrums München und Wissenschaftlerin im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), so: „Bcl-3 verhindert das Ablesen dafür notwendiger Gene. Es interagiert mit dem Transkriptionsfaktor p50, der für die Aktivierung zuständig wäre, und blockiert ihn.“ Dadurch bleiben die regulatorischen T-Zellen passiv, das Immunsystem wird nicht mehr reguliert. Die Erst-Autorin der Publikation Sonja Reissig, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universitätsmedizin Mainz, schildert, was sie im Modellversuch gesehen hat: „Bei erhöhten Mengen an Bcl-3 wandern bestimmte Zellen in den Darm ein und lösen dort starke Entzündungen aus.“ 

Suche nach Wirkstoffen hat schon begonnen

Hövelmeyer ist überzeugt, dass die Forschungsergebnisse wesentlich zum Verständnis von chronischen Darmentzündungen beitragen. Sie könnten zudem langfristig neue Angriffspunkte für Therapien eröffnen, hofft sie. Laut Auskunft ihres Kollegen, des Leiters des Instituts für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz Ari Waisman sucht die Gruppe bereits nach neuen Wirkstoffen, die die Interaktion zwischen Bcl-3 und p50 verhindern und so die normale Treg-Funktion erhalten könnten. 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Darmerkrankung

von Wird langsam Zeit am 04.05.2017 um 11:04 Uhr

Das die Medizin die Ursache bekämpft statt die Symptome zu lindern und hoffe das dies bald Heilungschancen ermöglicht, denn schon sehr lange warte ich auf positive Errungenschaften der Pharmaindustrie und der Medizin

» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten

AW: Darmerkrankung

von Markus Lesch am 02.10.2017 um 22:38 Uhr

Die verdienen lieber Unmenge an Kohle mit Betroffenen wie uns anstatt ne richtige Medizin zu erforschen ... Ich hab da die Hoffnung aufgegeben ....

AW: Darmerkrankung

von Christian Müller am 02.11.2017 um 16:31 Uhr

@Markus Lesch
Also so etwas negatives lese ich selten. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben. Gerade nicht jetzt wo die Forschung immer mehr Fahrt aufnimmt.

@Wird langsam Zeit
Genau, auch wenn es noch ein paar Jahre dauern sollte, es kommen die nächsten Monate sowieso viele neue Medikamente, die Chancen werden immer besser für Betroffene. Bis noch bessere Medikamente kommen ist es nur eine Frage der Zeit, die Hoffnung und gerade den glauben an unsere Gesellschaft und Medizinische Forschung sollte man nicht aufgeben, damit würde man sich ja in gewisser weise auch selbst aufgeben. Ich bin trotz vielem was ich mit meiner Colitis Ulcerosa durchgemacht habe guter Dinge (und werde es auch bleiben)!

AW: Darmerkrankung

von Jennifer am 05.03.2018 um 8:10 Uhr

Da stimme ich Markus voll zu.
Aza ist doch das beste Beispiel dafür.

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