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Die Zukunft liegt uns im Blut

Stuttgart - 01.03.2017, 12:30 Uhr

Das Leben lesen: Im Blut, dem ‚flüssigen Organ’ des Menschen.  (Foto: psdesign1 / Fotolia)

Das Leben lesen: Im Blut, dem ‚flüssigen Organ’ des Menschen.  (Foto: psdesign1 / Fotolia)


Was das Blut über unsere Zukunft verrät, darüber schreibt  Wissenschaftsjournalist Ulrich Bahnsen in seinem neuen Buch „Das Leben lesen". Natürlich sind wir (fast) alle neugierig darauf. Und der Gedanke, dass ein so altes Thema in der Medizin nun der Schlüssel für alles Neue sein soll, ist einfach faszinierend.

Wer kennt den Hausarzt-Ausspruch „da müssen wir wohl das Blut befragen“ nicht. Aber wahrscheinlich haben doch die Wenigsten vermutet, wie weitgehend wir einmal das Blut würden befragen können.

Inhaltlich lässt sich „Das Leben lesen“ in drei Teile unterteilen – es geht um Pränataldiagnostik, Krebsdiagnostik und das Thema Altern. Ausgehend vom menschlichen Blut, dem ‚flüssigen Organ’, geht der Autor auf wissenschaftliche Spurensuche, schildert zunächst was der Stand der bisherigen Möglichkeiten war, um dann neuere und neueste Forschung vorzustellen und darzulegen, was daraus für Möglichkeiten entstanden beziehungsweise noch entstehen werden.

Die Suche nach der „Vital-Formel“

Nicht nur für die Pränataldiagnostik ist der springende Punkt, dass die körpereigenen Makrophagen, die als Reparatur- und Recyclingsystem arbeiten, die DNA toter Zellen erstaunlicherweise nicht vollständig verdauen, sondern nur zerschneiden und wieder ausstoßen. Über diese DNA-Teile können dann Rückschlüsse gezogen werden.

Auch die abgestorbenen Zellen von den ersten Zellteilungen eines Embryos lassen sich aufspüren. Im Blut der Mutter befinden sich also über die Plazenta bereits Informationen zum Embryo, selbst wenn es sich erst in einem ganz frühen Stadium des Wachstums befindet.

Was die Krebsdiagnostik betrifft, lässt sich auch hier schon in einem sehr frühen Stadium ein Tumor ausfindig machen, der wächst, aber noch nicht so auffällig ist, dass sich massive Beschwerden einstellen. Denn auch die ersten Tumorzellen erzeugen Abfallprodukte, die sich dann wieder nachweisen lassen. Sogar für die Stelle im Körper, an der sich der Tumor gebildet hat, findet sich ein Hinweis: die sogenannten Epimarks auf den Erbmolekülen.

Die Implikationen solcher Möglichkeiten sind im Falle der vorgeburtlichen Diagnostik sehr ausführlich und auch einfühlsam dargelegt. Die ethische Diskussion erreicht eine neue Dimension im Angesicht der Tatsache, dass schon in naher Zukunft werdende Eltern die kompletten genetischen Anlagen ihres Embryos kennen werden.

Krebspatienten mit unwirksamen Medikamenten behandelt

Bei der Krebsdiagnostik gibt es eine schwer zu ertragende Einsicht: „Wir haben 80 Prozent der Krebspatienten mit Medikamenten behandelt, die bei ihnen gar nicht wirken können“, so das Zitat eines Wissenschaftlers. Erst jetzt stellt sich heraus, wie viele verschiedene Arten auch eines Krebs es gibt und das könnte gleichzeitig auch die Erklärung dafür sein, warum ein und dasselbe Medikament beispielsweise gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs dem einen hilft und vielen anderen nicht. Nun ist es durch einen vorherigen Bluttest möglich, gezielter zu behandeln.

Das Leben lesen: Der Autor

Dr. Ulrich Bahnsen, Jahrgang 1959, ist Diplom-Biologe und wurde am Hamburger Uniklinikum im Bereich molekulare Neurogenetik promoviert. 1994 wechselte er in den Wissenschaftsjournalismus. Seit 2001 ist er Redakteur im Ressort Wissen der Wochenzeitung Die Zeit. Sein Buch ist das Ergebnis von fünf Jahren Recherche und Beschäftigung mit dem Thema Blutdiagnostik. Ulrich Bahnsen wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Best Cancer Reporter Award (2008) und dem Medienpreis Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2016).

Das Leben lesen: Was das Blut über unsere Zukunft verrät, Ulrich Bahnsen, Gebundene Ausgabe, Droemer Verlag, 1. März 2017. 

Da man bisher davon ausging, dass Altern eine Einbahnstraße ist und die typischen Alterserscheinungen salopp gesprochen Verschleißerscheinungen, wurde zwar nach Heilmitteln für Krankheiten gesucht, die typischerweise überwiegend im Alter auftreten, wie beispielsweise die Alzheimer-Demenz, aber das Geheimnis des Alterns blieb ein solches. 

Dank der heutigen Möglichkeiten der Blutdiagnostik stellte sich heraus, dass sich der Prozess des Alterns auch umkehren lässt – zumindest im Tierversuch. „Altern ist wohl wesentlich ein Altern der Stammzellen in unseren Organen.“ In ‚jungem’ Blut finden sich Substanzen, die diese wach und vital halten und in ‚altem’ Blut entsprechend Stoffe, die sie stilllegen und die Vergreisung einleiten.

Führte man alten Mäusen junges Blut zu, begannen diese ihre Zellen zu regenerieren, während junge Mäuse, denen altes Blut injiziert wurde, vorzeitig alterten. Die Suche nach der „Vital-Formel“ dahinter hat bereits begonnen. „Das Limit für unsere Lebensspanne ist immer da, wo das Limit unserer Technologie sich gerade befindet“, wird im Buch ein Wissenschaftler zitiert. Das ist so ein Satz, bei dem einem zumindest ein wenig mulmig wird.


„Das Limit für unsere Lebensspanne ist immer da, wo das Limit unserer Technologie sich gerade befindet.“


Alles Weitere wird hier nicht referiert, sondern zum Lesen empfohlen. Das Verdienst des Buches von Ulrich Bahnsen ist es, aus dem Bauch der Wissenschaft heraus zu berichten und so die Leserschaft auch besser verstehen zu lassen, was die sonstige Berichterstattung von außen darlegt.

Insgesamt wagt das Buch die schwierige Balance, alle mitnehmen zu wollen und doch einfach nicht vollkommen populärwissenschaftlich sein zu können – um der Sache willen. Für ein an diesen Themen bereits interessiertes Publikum sicherlich besonders unter dem Aktualitätsgesichtspunkt lesenswert.



Stephanie Hanel, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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