Spinale Muskelatrophie

Erste Therapie für schwere Generkrankung bei Kindern

Stuttgart - 15.11.2016, 09:00 Uhr

(Foto: psdesign1 / Fotolia)

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Der Wirkstoff Nusinersen verspricht zum ersten Mal eine Verbesserung der Symptome von Patienten mit einer schweren Spinalen Muskelatrophie. In einem Härtefallprogramm können Patienten ab sofort behandelt werden. Parallel beantragt der Hersteller die Zulassung.

Für Säuglinge mit einer Spinalen Muskelatrophie (SMA) des Typs 1 ist seit vergangener Woche zum ersten Mal ein Wirkstoff verfügbar, der die Symptome der Erkrankung verbessert, wie die Uniklinik Freiburg in einer Presseerklärung meldet.

Die US-amerikanischen Hersteller Biogen und Ionis Pharmaceuticals hatten im August aufgrund positiver Ergebnisse eine Zulassungsstudie frühzeitig beendet. Sie betraf Säuglinge mit einer schweren Form der Erkrankungen, die bislang oft im Alter von ein oder zwei Jahren versterben. Bei Patienten mit SMA führt ein Defekt im Gen SMN1 zu einem Defekt der Motoneurone im Rückenmark – und dadurch zu einer Abnahme der Muskelkraft.

„Nach Jahrzehnten der Forschung haben wir endlich ein Medikament, mit dem wir den schweren Krankheitsverlauf der Säuglinge positiv beeinflussen können“, erklärte Jan Kirschner, Leitender Oberarzt der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Uniklinikums Freiburg in der Erklärung. Er war als einer der Studienärzte an der Erprobung des Arzneimittels beteiligt. „Wir sind den Familien und Selbsthilfegruppen sehr dankbar, die diesen Weg mit uns gegangen sind.“ 

Fehlendes Gen wird kompensiert

Nusinersen ist ein Antisense-Oligonukleotid, das die Produktion des von den Patienten benötigten Proteins SMN erhöht, indem das Gen SMN2 vermehrt exprimiert wird. Letzteres ist dem bei SMA-Patienten fehlenden oder mutierten SMN1-Gen sehr ähnlich. Auf diesem Weg könne das Protein ersetzt werden, hoffen die Forscher.

Nusinersen muss über eine Lumbalpunktion direkt in das Hirnwasser verabreicht werden. Das bisherige Behandlungsregime sieht eine Anwendung im Abstand von zuerst 14 Tagen, dann 30 und 60 Tagen sowie anschließend alle vier Monate vor.

Der Direktor der neurologischen Klinik der Uniklinik Ulm, Albert Christian Ludolph, sieht den Erfolg als Durchbruch eines neuen Wirkprinzips an, wie er im August gegenüber DAZ.online erklärte – auch wenn bislang offenbar noch keine in wissenschaftlichen Studien veröffentlichten Daten vorliegen. Dennoch heiße dies, dass eine therapeutisch bisher völlig unzugängliche Erkrankung erstmals behandelbar wäre. „Das hätte ich mir in meinem neurologischen Leben nicht erhofft, weil ich es für unmöglich hielt“, betonte Ludolph, der selber für andere Studien mit Biogen zusammenarbeitet.

Gleichzeit warnte er vor zu großen Hoffnungen: Patienten sei schon seit Jahrzehnten eine Therapie versprochen worden – und die Behandlung sei allgemein nur schwer beeinflussbar.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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