PrEP für Risikogruppen

Norwegen kommt für HIV-Prophylaxe auf

07.11.2016, 10:00 Uhr

Norwegen finanziert Menschen mit hohem HIV-Risiko die Prophylaxe mit Truvada. (Foto: Gilead)

Norwegen finanziert Menschen mit hohem HIV-Risiko die Prophylaxe mit Truvada. (Foto: Gilead)


In Norwegen geht die Zahl der Neuinfektionen mit HIV trotz präventiver Maßnahmen nicht zurück. Norwegen hat daher beschlossen, den Empfehlungen der WHO zu folgen und die Präexpositionsprophylaxe mit Truvada als Teil der vorbeugenden Maßnahmen gegen HIV kostenfrei anzubieten. 

Das norwegische Gesundheits- und Sozialministerium hat Mitte Oktober 2016 auf Empfehlung des norwegischen „Gesundheitsdirektorates“ beschlossen, die Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, als Teil der vorbeugenden Maßnahmen gegen HIV-Infektionen zuzulassen. Truvada (Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil) ist zu diesem Zweck seit August 2016 von der EU-Kommission zugelassen. Das norwegische Gesundheitsministerium folgt damit der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der europäischen Infektionsschutzbehörde (ECDC) und dem norwegischen Institut für Allgemeine Gesundheit (Statens Folkehelseinstittut). 

In Norwegen ist somit der Startschuss für die Implementierung einer öffentlich finanzierten PrEP gefallen. Norwegen wäre somit nach Frankreich das zweite europäische Land, in dem alle entstehenden Untersuchungs- und Behandlungskosten vollständig vom Staat übernommen werden. In Deutschland zahlen Krankenversicherungen bislang nicht für die PrEP.

Laut Statens Folkehelseinstittut gab es 2014 in Norwegen 107 neue nachgewiesene HIV-Fälle bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Viele dieser Männer haben sich in Norwegen angesteckt. Der Anteil innerhalb Norwegens ist seit 2003 in etwa gleichgeblieben. Das bedeutet, dass konventionelle Maßnahmen wie Information, Empfehlung zur Benutzung von Kondomen und HIV-Screenings offensichtlich nicht ausreichen, um die Neuinfektionen in der MSM-Gruppe zu kontrollieren. In Deutschland gingen die Zahlen zuletzt etwas zurück. 

Aktuelle Zielgruppen und Anwendung

In der aktuellen klinischen Leitlinie der „European Aids Clinical Society“ wird PrEP für HIV-negative MSM und Transgender, die bei wechselnden Partnern nur sporadisch Kondome benutzen, oder HIV-positive, nichtmedikamentös behandelte Partner haben, empfohlen. Angestrebt ist, dass norwegische Behandlungsleitlinien diesen europäischen Richtlinien folgen. Truvada kann entweder kontinuierlich (eine Tablette täglich) oder intermittierend eingenommen werden. Bei der intermittierenden Einnahme sollen zwei Tabletten Truvada zwei bis 24 Stunden vor und eine Tablette jeweils 24 und 48 Stunden nach sexuellem Kontakt eingenommen werden.

Laut Verordnung wird PrEP vom Staat übernommen

In Norwegen gibt es eine Verordnung, die definiert, welche Ausgaben für Medikamente vom Staat für spezielle Krankheitsgruppen übernommen werden („blåreseptforskrift“). Der Paragraph 4 dieser Verordnung beschreibt die Regelung der Ausgaben bei allgemeingefährlichen Infektionskrankheiten. In Norwegen werden die Kosten für alle Arztbesuche, Laboruntersuchungen und medikamentöse Behandlungen von Patienten in dieser Kategorie vom Staat übernommen.

Der Paragraph 4 lässt auch eine vorbeugende Behandlung von HIV zu. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Behandlung von einer infektionsmedizinischen Poliklinik oder einem Facharzt für Infektionsmedizin initiiert werden muss. Truvada sollte jedoch leicht zugänglich sein, auch in Notfallpraxen oder bei Allgemeinärzten, die viele MSM behandeln. Um eine gute und sichere Implementierung des PrEP zu gewährleisten, müssen Behandlungsleitlinien ausgearbeitet werden. Die Olafia Klinik am Universitätsklinikum Oslo ist Norwegens größte Spezialklinik, die niederschwellige Untersuchung und Behandlung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen anbietet. Laut Gesundheitsministerium soll die Olafia Klinik zukünftig die Qualität der staatlich finanzierten PrEP-Implementierung sichern und dokumentieren und Personal in ganz Norwegen schulen.

Kostenvoranschlag und Wirtschaftlichkeit

Eine Packung Truvada mit 30 Tabletten kostet in Norwegen 6.164 Kronen, das entspricht 680 Euro. PrEP kann als Langzeitbehandlung verordnet werden, jedoch gilt eine Verordnung nur für drei Monate. Jeden dritten Monat muss die Behandlung erneut evaluiert werden.

Je nach Anwendungsart kostet die kontinuierliche Anwendung pro Person in etwa 75.000 NOK pro Jahr, das entspricht circa 8.300 Euro. Die intermittierende Anwendung käme im Durchschnitt auf etwa 21.400 NOK (2.650 Euro). Die zusätzlichen Kosten für Arztbesuche und Kontrolltermine (alle drei Monate) werden auf 6500 NOK (ca. 720 Euro) pro Person pro Jahr geschätzt.

Zum Vergleich kostet die Behandlung einer HIV-Infektion jährlich in etwa 100.000 NOK (ca. 11.000 Euro) pro Patient. 2015 wurden für 3.600 Patienten in etwa 350 Millionen NOK für die antiretrovirale Behandlung von HIV-Infektionen ausgegeben. Ob die PrEP wirtschaftlich ist, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Zu hoffen ist jedoch, dass die Anzahl neuer HIV-Infektionen sinkt. 


Dr. Lilian Reiter, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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