Der Saathafer – Arzneipflanze des Jahres 2017

Noch viel Potenzial bei Hautkrankheiten und Zöliakie

Stuttgart / Würzburg - 28.10.2016, 15:00 Uhr

Der Hafer: Die Arzneipflanze des Jahres 2017 deckt erstmalig die Gebiete Dermatologie und Ernährung ab. (Foto: beatuerk / Fotolia)

Der Hafer: Die Arzneipflanze des Jahres 2017 deckt erstmalig die Gebiete Dermatologie und Ernährung ab. (Foto: beatuerk / Fotolia)


Ist von Arzneipflanzen die Rede, denkt man sicher nicht gleich an die Getreidearten – obwohl sie seit Jahrtausenden ihren Platz in der Heilkunde haben. Der Saathafer liefert mehrere Arzneidrogen mit zahlreichen Einsatzmöglichkeiten: Hautkrankheiten, Magen-Darm-Erkrankungen, Atherosklerose und Diabetes mellitus Typ 2. Der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg hat den Saathafer zur Arzneipflanze des Jahres 2017 gewählt.

Der Saathafer (Avena sativa), auch ­Weißer oder Echter Hafer genannt, ist ein Getreide und gehört zu den Süßgräsern (Poaceae oder Gramineae).
Im Gegensatz zu Weizen, Roggen und Gerste bildet er seine Körner jedoch nicht in Ähren, sondern in vielfach verzweigten Rispen aus. Die Körner sind von Spelzen umschlossen, die durch einen besonderen Mahlgang entfernt werden müssen. Der Hafer bringt zwar niedrigere Hektar-Erträge als
die anderen genannten Getreidearten, er ist ihnen aber beim Nährwert und nicht zuletzt beim Geschmack überlegen. Zudem ist er weniger anspruchsvoll, denn er gedeiht auch auf kargen Böden und bei feuchter Witterung.

Haferdrogen in der Dermatologie

Drei Pflanzenteile des Hafers sind von pharmazeutischem Interesse. In der einschlägigen Fachliteratur findet man meist nur das Stroh (Avenae stramentum), in jüngerer Zeit gewinnen jedoch das Kraut (Avenae herba) und das Korn (Avenae fructus) zunehmend an Bedeutung. Dekokte des Haferstrohs werden für Bäder verwendet, die bei Hautverletzungen und Juckreiz helfen sollen.

Für die Gewinnung des Krautes wird der Hafer vor seiner Blüte geerntet. Dieses Kraut ist reich an Flavonoiden, Saponinen und Mineralien (Kalium, Calcium, Magnesium), wobei den Flavonoiden entzündungshemmende und den Saponinen immunmodulierende Eigenschaften zugesprochen werden. Extrakte des Haferkrautes werden deshalb bei trockener Haut und atopischer Dermatitis eingesetzt. In den Industrieländern leiden bis zu 20 Prozent der Kinder und drei Prozent der Erwachsenen an dieser Krankheit, die unter anderem mit hautpflegenden und entzündungshemmenden Mitteln lokal behandelt wird.

In den Neunzigerjahren erhielt man in Frankreich durch Selektion eine Hafersorte mit einem besonders hohen Anteil an Flavonoiden und Saponinen. Sie wird bereits sehr jung geerntet und durch ein spezielles Verfahren extrahiert. Der aufgereinigte Extrakt ist frei von Proteinen und wird für Hautpflegemittel wie Cremes, Körpermilch und Badezusätze verwendet, die für Allergiker besonders gut verträglich sind. Seine Relevanz für die Dermatologie wurde bereits in neueren Ver­öffentlichungen gezeigt. Daneben können Haferkrautextrakt-Produkte auch zur Pflege von empfindlicher Haut (Babys, Senioren) und zur Behandlung von Wunden, Rosacea und nicht zuletzt von Psoriasis verwendet werden.

Segensreiche Ballaststoffe: die Hafer-Beta-Glucane

Das Haferkorn, aus dem die allseits bekannten Haferflocken hergestellt werden, ist reich an Ballaststoffen (Polysacchariden), von denen die lös­lichen β-Glucane etwa die Hälfte ausmachen. 100 Gramm Haferflocken enthalten etwa 4,5 Gramm β-Glucane, in der Haferkleie sind es sogar über 8 Gramm pro 100 Gramm. Sie geben dem Haferschleim seine Konsistenz. Indem sie die Verdauung und den Stoffwechsel beeinflussen, wirken sie sich positiv auf den Cholesterin- und den Blutzuckerspiegel aus.

Die Fähigkeit der β-Glucane, Gallensäuren zu binden, führt vermutlich zur Ausscheidung von Cholesterol und zur Senkung des Gesamt- und des LDL-Cholesterol-Spiegels, was einer Atherosklerose vorbeugen kann. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat im Jahr 2011 bestätigt, dass der Verzehr von Hafer-β-Glucanen zur Senkung des Cholesterolspiegels beitragen kann.

Die unlöslichen Ballaststoffe wirken regulierend auf die Verdauungstätigkeit. Da sie die Resorption der Nährstoffe verzögern, steigt der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit zeitverzögert an, was zu einer geringeren Ausschüttung von Insulin führt. Bereits vor 100 Jahren wurden deshalb diätetische „Hafertage“ für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 eingeführt. Eine neuere Studie am Diabetologikum in Berlin hat ergeben, dass die Insulindosis bei Patienten mit einem hohen Insulinbedarf nach zwei Hafertagen um bis zu 30 Prozent gesenkt werden kann. Der positive Effekt soll bis zu vier Wochen nachweisbar sein.

Daneben zeigen Haferflocken positive Effekte auf die Verdauungsorgane. Die viskösen löslichen Ballaststoffe schützen die Darmwand vor Reizen aus dem Darmlumen und beruhigen den empfindlichen Magen.

Gluten und Zöliakie – eine differenzierte Betrachtung

Ob Menschen mit Zöliakie zu Haferprodukten greifen können, ist noch umstritten. Bei ihnen entzündet sich die Schleimhaut des Darms nach 
dem Verzehr von Gluten, dem Kleber-Eiweiß in verschiedenen Getreidekörnern. Gluten ist die vorherrschende Proteinfraktion im Weizenkorn, während es im Haferkorn nur einen Anteil von 15 Prozent hat; hier dominiert das Globulin Avenalin (80%). Hirse, Mais und Reis gelten als glutenfrei.

Die Zusammensetzung des Glutens differiert in den einzelnen Getreidearten und ihren Sorten. Generell besteht es aus den Proteingemischen der Prolamine und Gluteline, die aufgrund ihres hohen Anteils an den Aminosäuren Prolin und Glutaminsäure 
so benannt worden sind. Krankheitsauslöser sind die Prolamine, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Für viele Zöliakie-Patienten ist zwar das Weizen-Prolamin Gliadin, nicht aber das Hafer-Prolamin Avenin unverträglich. Und die relative Unverträglichkeit des Avenins hängt wiederum von der Hafersorte ab; es gibt ­Sorten, die sogar für eine glutenfreie Diät infrage kommen.

In mehreren Studien zur Verträglichkeit des Hafers bei Zöliakie-Patienten hat sich gezeigt, dass kleinere Mengen Hafer in der Regel gut vertragen werden. In Schweden und Finnland gilt die Aufnahme von bis zu 50 g täglich als unbedenklich, allerdings muss es sich um „nicht-kontaminierten Hafer“ handeln, der nicht mit anderem Getreide verunreinigt sein darf und eigens für diesen Zweck angebaut wird.

Das diätetische und therapeutische ­Potenzial des Hafers ist sicher noch nicht ausgeschöpft. Der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ hofft, dass die Arzneipflanze des Jahres 2017 Gegenstand weiterer Forschungen sein wird.


Dr. Johannes Gottfried Mayer, Autor DAZ
redaktion@daz.online


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