Ethische Bedenken

Weiter erhebliche Kritik an Forschung mit Demenzkranken

Berlin - 08.09.2016, 07:05 Uhr

Stark umstritten: Inwieweit dürfen nicht-einwilligungsfähige Menschen bei Forschungsprojekten einbezogen werden? (Foto: Klaus Eppele / Fotolia)

Stark umstritten: Inwieweit dürfen nicht-einwilligungsfähige Menschen bei Forschungsprojekten einbezogen werden? (Foto: Klaus Eppele / Fotolia)


Unter welchen Bedingungen darf an Menschen mit geistigen Behinderungen geforscht werden? Die Bundesregierung will zukünftig Forschung ermöglichen, die nicht zum Nutzen der Betroffenen ist. Nachdem viele Parlamentarier, Patientenschützer und Forscher Einspruch einlegten, wurden die Pläne verschoben – doch sie könnten bald in den Bundestag kommen.

Die Änderungen am Arzneimittelgesetz, die die Bundesregierung vor dem Sommer beschließen wollte, bargen viel Zündstoff: Mit ihnen sollten in einigen Fällen medizinische Studien an Menschen erlaubt werden, die beispielsweise aufgrund von Demenz nicht mehr selber einwilligen konnten – auch wenn sie selber von den Forschungsprojekten nicht profitieren können. Dies sollte zwar nur möglich sein, wenn sie vorher bei klarem Bewusstsein eingewilligt hatten, dennoch stießen die Pläne auf erhebliche Kritik von Patientenschützern, Behindertenverbänden, Kirchen und Gesundheitspolitikern.

„Je schwächer das menschliche Leben, desto stärker muss die Schutzfunktion des Staates sein“, erklärte beispielweise der behindertenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Uwe Schummer, gegenüber DAZ.online. Zusammen mit der ehemaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und den Gesundheitspolitikerinnen Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke) diskutierte er am Dienstag das Thema mit Experten in Berlin. Die Politiker wie auch die geladenen Experten unterstrichen ihre Kritik am Gesetzesvorhaben. „Wir wollen es so lassen, wie es ist“, erklärte Schmidt laut „Westdeutscher Zeitung“.

Kommt es zum Dammbruch?

Es ginge um Menschenrechte und Menschenwürde, betonte Schummer, der durch die erhebliche Lockerung einen Dammbruch befürchtet. „Wir reden hier vielleicht in ein paar Jahren nicht von einer Blut- oder Speichelprobe“, sagte er laut der Zeitung. „Vielleicht reden wir dann darüber, ob und wie lange ein Patient, der darüber selbst nicht mehr bestimmen kann, in einer Röhre fixiert werden soll, um sehen zu können, wie ein Medikament sich im Körper verteilt.“

„Die geplante Novellierung des Arzneimittelgesetzes, mit der man Arzneimittelstudien an Demenzerkrankten unter bestimmten Bedingungen erlauben will, muss sofort gestoppt werden“, erklärte beispielsweise Vogler (Linke) in einer Stellungnahme. Und laut Schulze-Asche (Grünen) müsse vor derartigen Änderungen erst ein ausreichender Diskussionsprozess eingeleitet werden. „Diesen hat es bisher nur völlig unzureichend gegeben“, sagte sie. Es ginge ihr nicht um neue Verbote, sondern die Beibehaltung der aktuellen Rechtslage – für die sich der Bundestag erst 2013 ausgesprochen hatte, und die vor der überraschenden Änderung der Bundesregierung auch der Referentenentwurf vorsah.

Viele kritische Angriffspunkte

Arzneimittelforschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten sei nicht nur unnötig, sondern auch medizinisch, juristisch und ethisch fragwürdig, argumentierten die Politiker wie auch geladene Experten. So erklärte Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und Mitglied im Deutschen Ethikrat, dass es nicht nur bei der Aufklärung von Probanden Schwierigkeiten gebe – da zum Zeitpunkt der Einwilligung nicht abzusehen sei, welche Fragestellungen Jahre später untersucht werden sollen. Sondern aus seiner Sicht ist auch ein anderer Aspekt sehr problematisch: Versuchsteilnehmer müssen das Recht haben, jederzeit ihre Einwilligung widerrufen zu können. „Der Proband muss Herr des Verfahrens bleiben“, erklärte er laut „Tagespost“. Doch ist dies bei Demenzkranken oder Patienten im Koma oder mit psychischen Erkrankungen tatsächlich möglich?

Wenig Verständnis besteht auch für die Frage, wofür die Änderung überhaupt nötig ist. Laut dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) gibt es hierfür keine Notwendigkeit, da die nötigen Studien auch so ausgestaltet werden können, dass der einzelne Proband einen individuellen Nutzen hat. „Nach wie vor gibt es keine plausible Begründung seitens der Befürworter der fremdnützigen Forschung, warum diese Änderung notwendig ist“, erklärt Schulz-Asche in einer Stellungnahme. Trotz mehrmaligen Nachhakens habe die Bundesregierung nicht sagen können, welche Forschung in den letzten Jahren aufgrund der geltenden Rechtslage nicht stattfinden konnte. „Das ist es ja: es kann niemand einen Grund nennen“, sagte auch Ulla Schmidt – es gäbe „kein Argument, kein einziges Forschungsvorhaben, das am derzeitigen Recht gescheitert wäre“. 

Keine Schnellschüsse

Der Bundestag solle das Thema noch einmal ausführlich und besonnen diskutieren, fordern die Politiker – und nicht etwa noch im September durchdrücken, wie sie befürchten. „Dafür braucht es eine ernsthafte Anhörung und keine Änderungen im Schnelldurchgang“, erklärt beispielsweise Schulz-Asche. Dies hatte auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach im Juni angekündigt: „Wir wollen die offenen Fragen und ethischen Bedenken jetzt ohne Zeitdruck klären, damit wir zu einer gereiften und guten Entscheidung kommen können“, schrieb er an Parteimitglieder.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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