Schlechter Deal? 

Kabinett verabschiedet neues Hilfsmittelgesetz

Berlin - 31.08.2016, 17:33 Uhr

Die Qualität von Hilfsmitteln wie Inkontinenzhilfen soll gesteigert werden. (Foto: Laboko / Fotolia)

Die Qualität von Hilfsmitteln wie Inkontinenzhilfen soll gesteigert werden. (Foto: Laboko / Fotolia)


Patienten sollen künftig bessere Windeln und Rollstühle bekommen: Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch das Gesetz zur Stärkung der Qualität der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Innerhalb der ABDA ist man skeptisch. Das Regelwerk bringe vor allem mehr Bürokratie, die Qualität werde dadurch nicht verbessert.

Bald soll die Qualität bei Hilfsmitteln wie Windeln, Kompressionsstrümpfen, Schuheinlagen, Prothesen, Hörgeräten oder Rollstühlen für Patienten eine bessere sein. Zudem soll Therapeuten bei medizinischen Behandlungen wie Krankengymnastik oder Massagen sowie bei der Behandlung von Sprech- und Sprachstörungen mehr Verantwortung übertragen werden.

Das Kabinett verabschiedete am Mittwoch den entsprechenden Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung.

Im Detail sind folgende Verbesserungen geplant: 

  • Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) muss bis Ende 2018 das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend aktualisieren. Zudem muss er bis Ende 2017 darlegen, wie er dieses künftig regelmäßig aktualisieren will.
  • Krankenkassen dürfen künftig nicht mehr nur auf den Preis von Hilfsmitteln schauen, sondern müssen auch deren Qualität berücksichtigen und ihren Versicherten eine Auswahl zwischen verschiedenen Hilfsmitteln ermöglichen, ohne dass sie draufzahlen müssen. Dies muss regelmäßig kontrolliert werden.
  • Versicherte müssen von den verordnenden Leistungserbringern und den Kassen ausreichend beraten werden, welche Hilfsmittel, die die Kassen übernehmen, für sie geeignet sind.
  • Heilmittel werden weiter vom Arzt verordnet, der Therapeut bestimmt aber Auswahl und Dauer der Therapie (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie) sowie Häufigkeit der Behandlungseinheiten. Diese „Blankoverordnungen“ sollen vorerst in einem Modellvorhaben getestet werden.

Hintergrund des neuen Gesetzes: Nach Klagen über die vielfach schlechte Qualität der von den Kassen bezahlten Hilfsmittel, wie wenig saugfähige, billige Windeln, will Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Katalog der Hilfsmittel auf den aktuellen technischen Stand bringen und diesen regelmäßig anpassen lassen.

Mehr Bürokratie, dennoch nicht mehr Qualität? 

Häufig zwang die schlechte Qualität Patienten zu Aufzahlungen, um bessere Hilfsmittel zu bekommen. Mit angestoßen hatte die Überarbeitung die Initiative des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, der öffentlichkeitswirksam die schlechte Qualität der Inkontinenzversorgung kritisiert hatte.

Daher muss der GKV-Spitzenverband in nächster Zeit sein Sortiment mit 35.000 Einzelprodukten auf den aktuellen Stand der Technik bringen. Zudem müssen die Kassen ihren Versicherten eine größere Auswahl innerhalb der jeweiligen Hilfsmittelgruppen – etwa bei Hörgeräten, Rollstühlen oder Windeln – zur Verfügung stellen, ohne dass diese draufzahlen müssen. Und alles dies soll besser kontrolliert werden.

Die ABDA äußerte sich am gestrigen Dienstag kritisch über das neue Gesetz. „Wir begrüßen das Ziel, die Qualität der Hilfsmittelversorgung zu stärken, haben allerdings erhebliche Zweifel, ob dies mit dem vorliegenden Gesetz gelingen wird“, erklärte der stellvertretende DAV-Vorsitzende Rainer Bienfait.

Nach der aktuellen Auswertung des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) haben Apotheken im vergangenen Jahr Hilfsmittel im Wert von 637 Millionen Euro an gesetzlich versicherte Patienten abgegeben. Dabei beliefen sich Applikationshilfen wie Insulin-Pens auf 246 Millionen Euro, Inkontinenzhilfen auf 137 Millionen Euro und Kompressionsstrümpfe oder ähnliche Hilfsmittel auf 92 Millionen Euro. „Hilfsmittel machen am Gesamtumsatz der Apotheken kaum mehr als ein Prozent aus, sind aber eine wichtige Ergänzung für die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Patienten mit ärztlich verordneten Arzneimitteln“, erklärte die ABDA in einer Pressemitteilung.

Bienfaits Einschätzung nach ist der Gesetzesentwurf in zwei Punkten dringend verbesserungswürdig. „Verstärkte Dokumentationspflichten werden zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führen, so dass gerade kleine Apotheken im ländlichen Raum womöglich ihr Engagement in der Hilfsmittelversorgung überdenken müssen“, sagte er. Aktuell seien mit rund 18.000 Apotheken ungefähr 90 Prozent aller Apotheken berechtigt, ihre Patienten zumindest mit bestimmten Hilfsmitteln zu versorgen.

Und auch beim Ziel der Qualitätsverbesserung sieht er wenig Veränderung. „Bei den Exklusivausschreibungen der Krankenkassen wird es trotz eines neu eingeführten Qualitätskriteriums dabei bleiben, dass der niedrigste Preis das vorrangige Kriterium für den Zuschlag ist“, sagte der Verbandsvize. Nach dem Gesetzesentwurf sollen die Qualität nur zu 40 Prozent Berücksichtigung finden, 60 Prozent wird über den Preis gesteuert. So bliebe der Preis in der Praxis höchst wahrscheinlich allein maßgeblich und die Versorgungsqualität zweitrangig, wie die ABDA schon in ihrer Stellungnahme von Juli betonte. „Dies war und ist leider überhaupt nicht patientengerecht“, bemängelte Bienfait.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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