UN-Sonderbeauftragter

Auch Apotheker haben Gewissensfreiheit

Stuttgart - 14.07.2016, 12:30 Uhr

Ein Berliner Apotheker eckt an: Bei der Abgabe von Arzneimitteln kann es zu Konflikten zwischen Gesundheitsversorgung und Gewissensfreiheit kommen. (Foto: Saskia Gerhard)

Ein Berliner Apotheker eckt an: Bei der Abgabe von Arzneimitteln kann es zu Konflikten zwischen Gesundheitsversorgung und Gewissensfreiheit kommen. (Foto: Saskia Gerhard)


Inwiefern können Apotheker gezwungen werden, gegen ihr Gewissen bestimmte Arzneimittel abzugeben? Und sind abschreckende Hinweise in Kondompackungen in Ordnung? DAZ.online sprach mit Heiner Bielefeldt, dem UN-Sonderbeauftragten für Religionsfreiheit, über Spielräume und Grenzen individueller Gewissensentscheidungen.

Wenn es um die Abgabe verschriebener Arzneimittel geht, müssen Apotheker teilweise gegen ihr Gewissen handeln: In Deutschland wie auch in anderen Ländern gilt der allgemeine Kontrahierungszwang. Der oberste Gerichtshof der USA hat kürzlich erst eine Klage gegen die Abgabepflicht im US-Bundesstaat Washington abgewiesen. Über die Rolle der Religions- und Gewissensfreiheit sprach DAZ.online mit Heiner Bielefeldt, UN-Sonderbeauftragter für Religionsfreiheit und Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg.

DAZ.online: Herr Bielefeld, in Deutschland herrscht ja eine allgemeine Trennung zwischen Staat und Religion. Welche Rolle spielt in säkularen Staaten die Religionsfreiheit?

Heiner Bielefeldt: Religionsfreiheit ist ein unveräußerliches Menschenrecht, garantiert in unserer Verfassung und in internationalen Konventionen. Säkularität des Staates kann ganz Unterschiedliches bedeuten. Ich persönlich verstehe die Religionsfreiheit als Begründung einer positiven Säkularität, wonach der Staat Raum für eine angstfreie und diskriminierungsfreie Entfaltung des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus bietet.

DAZ.online: Die Religionsfreiheit hat ja durchaus auch Grenzen – so beispielsweise, wenn streng gläubige Eltern ihre Kinder nicht medizinisch behandeln lassen wollen.

Bielefeldt: Es gibt Bestandteile der Religionsfreiheit, die genauso absolut und ausnahmslos gelten wie das Folterverbot und das Verbot der Sklaverei. Beispielsweise darf unter keinen Umständen so etwas wie Gehirnwäsche stattfinden. Eingriffe in das sogenannte „forum internum“ der Religionsfreiheit, das heißt in die innere Überzeugungsbildung, können niemals legitim sein. Anders verhält es sich mit äußeren Manifestationen der Religionsfreiheit, die ja auch andere Menschen betreffen können. Hier können staatliche Beschränkungen gerechtfertigt werden, wenn sie bestimmten Kriterien genügen. Zu den Kriterien zählt etwa der Nachweis, dass ein Eingriff eine gesetzliche Grundlage hat, für die Verfolgung eines legitimen Ziels geeignet und erforderlich ist und sich auf ein unumgängliches Minimum konzentriert. Diese Kriterien gelten auch für ein gewissensbestimmtes Handeln außerhalb religiöser Motive. 

(Foto: Harald Sippel)
Der Theologe und UN-Sonderbeauftragte Heiner Bielefeldt

DAZ.online: Im Gesundheitswesen entstehen schnell Gewissenskonflikte – sei es bei der Abtreibung oder der Sterbehilfe.

Bielefeldt: Hier gibt es erhebliche Auseinandersetzungen, und die Regeln unterscheiden sich auch in Europa von Staat zu Staat. Schweden verfolgt beispielsweise eine recht harte Linie, wonach eine professionelle Tätigkeit im Gesundheitswesen die Bereitschaft voraussetzt, auch an Abtreibungen mitzuwirken. Ich hatte kürzlich Kontakt mit einer schwedischen Hebamme, die aus diesem Grund nicht in ihrem Heimatland berufstätig sein kann, sondern in Norwegen arbeitet. Die meisten europäischen Länder sehen die Möglichkeit für gewissensbedingte Verweigerung innerhalb des Gesundheitsbereichs vor, formulieren zugleich aber Bedingungen und Auflagen, darunter etwa Mitwirkungspflichten in Notfällen. 

DAZ.online: Und inwiefern können Ärzte oder Apotheker aus Gewissensgründen eine Handlung verweigern, wenn es sich nicht um einen Rettungseinsatz handelt?

Bielefeldt: Derjenige, der eine Tätigkeit in diesem Feld verweigert, hat in jedem Fall zunächst eine Reihe von Mitteilungspflichten: Wer etwa an Abtreibungen aus Gewissensgründen nicht mitwirken kann, muss dies der entsprechenden Institution rechtzeitig mitteilen, damit keine Überraschungen und Planungsprobleme auftreten. Natürlich darf man Patientinnen und Patienten nicht austricksen und sich ihnen beispielsweise erst vor einer Operation mit Gewissensbedenken offenbaren. Hinzu kommen Kooperationspflichten bei der Suche nach Alternativlösungen. Gewissensbedingte Verweigerungen dürfen sich auch nicht auf das weite Umfeld der verweigerten Tätigkeit erstrecken. Frauen im Anschluss an einen erfolgten Schwangerschaftsabbruch eine angemessene Versorgung zu versagen, wäre ein Akt privater „Bestrafung“, der nichts mehr mit gewissensbedingter Verweigerung zu tun hat. Diese Grenze darf nicht verschwimmen. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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