BIA 10-2474

Ermittlungen wegen Tötung bei Studie in Rennes

Stuttgart - 16.06.2016, 05:55 Uhr

Das Auftragsforschungsunternehmen Biotrial führte die Studie im Auftrag des portugiesischen Pharmaherstellers Bial durch. (Photo: dpa / picture alliance)

Das Auftragsforschungsunternehmen Biotrial führte die Studie im Auftrag des portugiesischen Pharmaherstellers Bial durch. (Photo: dpa / picture alliance)


Ein Proband starb, fünf weitere erlitten bei einer Phase-I-Studie in Rennes teils schwere Nebenwirkungen. Nach langen Voruntersuchungen hat der Generalstaatsanwalt in Paris nun ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet – und neue Informationen zum verstorbenen Proband veröffentlicht. Scharfe Kritik an der Studie kommt erneut aus Deutschland.

Wie der Staatsanwalt beim „Tribunal de grande instance“ in Paris am Dienstag bekanntgab, wurden zu der klinischen Phase-I-Studie mit dem Wirkstoff BIA 10-2474 nun Ermittlungen gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Bei der Studie, die vom Auftragsforschungsunternehmen Biotrial durchgeführt wurde, starb am 17. Januar dieses Jahrs ein Proband an Hirnverletzungen, fünf weitere mussten im Krankenhaus behandelt werden und erlitten teils schwere Nebenwirkungen.

Schon am 15. Januar wurden Vorermittlungen durch die Staatsanwaltschaft aufgenommen – an dem Tag berichtete die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine erstmalig von dem Zwischenfall. Nach vielen Befragungen, Durchsuchungen und forensischen Gutachten sei auch fünf Monate später noch unklar, welche pathologischen Vorgänge die schweren Zwischenfälle auslösten, schreibt die Staatsanwaltschaft in einer Erklärung.

Vorerkrankung des Probanden

Sie schließt aus, dass die Substanz, die der portugiesische Pharmahersteller Bial entwickelt hatte, verfälscht wurde. Jedoch habe der verstorbene Proband vor seiner Teilnahme an der Studie eine unerkannte Gefäßerkrankung am Gehirn gehabt, die den bei ihm im Gegensatz zu den anderen Probanden tödlichen Verlauf möglicherweise erklären könnten. Nach Informationen der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ handelt es sich wohl um eine Zerebrale Amyloidangiopathie, bei der es durch Ablagerung von Beta-Amyloid zu Mikroaneurysmen kommt.

Die Ermittlungen sollen nun klären, ob Straftaten zu dem Todesfall und den Verletzungen der Probanden geführt haben, oder ob die Vorgänge im Rahmen der üblichen wissenschaftlichen Risiken Gefahren zu erklären seien.

Gegenüber der Tageszeitung „Le Monde“ sagte der Direktor von Biotrial, François Peaucelle, dass die Firma bei den Ermittlungen „vollständig kooperieren werde. Seines Wissens nach sei weder dem Patienten noch Biotrial die Gefäßerkrankung des Probanden bekannt gewesen.

Tod sei zu verhindern gewesen

Eine Untersuchung der Generalinspektion für Soziale Angelegenheiten (IGAS) war im Mai mit dem Ergebnis geendet, dass nur wenige klare Verstöße vorgelegen hätten – doch die Zulassung der Studie rechtmäßig gewesen sei. Jedoch habe Biotrial den Zwischenfall nicht rechtzeitig den Behörden gemeldet, und die Studie hätte nach der Einlieferung des später verstorbenen Probanden abgebrochen werden müssen. Stattdessen erhielten die fünf weiteren Versuchspersonen am nächsten Morgen die nächste Dosis der Prüfsubstanz.

Laut Joerg Hasford, Vorsitzender des Arbeitskreises medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland, sei der Todesfall zu verhindern gewesen. Er habe es nicht für möglich gehalten, dass die französischen Behörden eine derartige Studie genehmigen würden, sagt er gegenüber DAZ.online – auch angesichts des Nutzen-Risiko-Profils: Bei BIA 10-2474 handelt es sich um einen FAAH-Hemmer, aus deren Gruppe schon mehrere ähnliche Wirkstoffe zuvor keinen ausreichenden Effekt erzielten.

Experimente ohne gültige Einwilligung?

Das Studienprotokoll sieht Hasford als „klaren Fall institutionalisierter Verantwortungslosigkeit, Inkompetenz und/oder Schlampigkeit“. Er habe den massiven Verdacht, dass in der Studie aufgrund ungenügender Aufklärung über die Risiken und Tragweite „ohne wirksame Einwilligung mit Menschen experimentiert wurde“, erklärte Hasford auch auf der Sommertagung des Arbeitskreises.

„Wie konnte so etwas in einem hochzivilisierten Land der EU passieren?“, fragt sich der Biostatistiker. Eine Rolle könne die Europäische Kommission gespielt haben, die im Entwurf der 2014 verabschiedeten EU-Verordnung für klinische Studien eine „erkennbare Missachtung der Wichtigkeit unabhängiger Ethik-Kommission für den Teilnehmerschutz und für die wissenschaftliche Qualität einer Studie sein“ gezeigt habe. Hinzu kämen laut Hasford von politischer Seite falsch verstandene wirtschaftliche Interessen – wie eine bessere Positionierung im Markt der Arzneimittelforschung. 

Wettbewerb dürfe nicht zu Lasten von Standards gehen

Gleichzeitig attestiert Hasford Vertretern der pharmazeutischen Industrie in Deutschland ein starkes Interesse an einem hohen Schutzniveau für Probanden – und Auftragsforschungsinstituten ein großes Maß an Verantwortungsbewusstsein.

„Es darf nicht sein, dass der Forschungswettbewerb in Europa wesentlich über die Unterschreitung etablierter und bewährter Standards beim Schutz der Versuchsperson läuft“, erklärt Hasford. Es sei daher auch Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass deutschen Unternehmen durch das Einhalten hoher Standards  im europäischen Wettbewerb kein Nachteil entsteht.

Update: Die Ermittlungen wurden (anders als zuvor geschrieben) wegen fahrlässiger Tötung und nicht wegen Totschlags eingeleitet.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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