Hausarztzentrierte Versorgung in BaWü

Vertragshausärzte sind besser informiert

Berlin - 15.06.2016, 17:45 Uhr

Dr. Werner Baumgärtner (MEDI), Dr. med Christopher Herrmann, Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi und Dr. med. Berthold Dietsche bei der Vorstellung der 8-Jahres-Bilanz in Berlin (Foto: AOK)

Dr. Werner Baumgärtner (MEDI), Dr. med Christopher Herrmann, Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi und Dr. med. Berthold Dietsche bei der Vorstellung der 8-Jahres-Bilanz in Berlin (Foto: AOK)


Gut für die Ärzte, gut für die Patienten, gut für die Kasse: Die AOK Baden-Württemberg ist zufrieden mit der 8-Jahres-Bilanz der hausarztzentrierten Versorgung im Südwesten, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Das sei das Konzept der Zukunft, hieß es. Kein gutes Haar hingegen ließ der Vorstandsvorsitzende Christopher Herrmann am Innovationfonds. 

Das Modell der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) der AOK läuft in Baden-Württemberg seit 2008. Rund 4000 Haus- und Kinderärzte und mehr als 1500 Fachärzte sind beteiligt. Bei der Vorstellung der 8-Jahresbilanz am Mittwoch in Berlin wurden erstmalig echte Endpunkte präsentiert, die die Vorteile des Programms im Vergleich zur Regelversorgung zeigen.

Der Auswertung zufolge konnten bei Diabetikern beispielsweise über einen Zeitraum von drei Jahren 1700 schwerwiegende  Komplikationen vermieden werden. Die Zahl der vermeidbaren Krankenhauseinweisungen bei Herzpatienten wurde pro Jahr um 3900 reduziert. Vorgestellt wurden die Ergebnisse durch die beiden Studienleiter Professor Ferdinand Gerlach (Frankfurt/Main) und Professor Joachim Szecsenyi (Heidelberg). Mit dem Modell sei auch die Zahl der „unkoordinierten Facharztbesuche" verringert worden, die Hausärzte würden ihrer Lotsenfunktion gerecht, erklärten die Studienleiter

Bessere Therapie für weniger Geld

Auch auf die Arzneimitteltherapie wirkt sich die HZV positiv aus. So seien HZV-Ärzte besser über Leitlinien informiert, berichtete Gerlach. Sie erhielten regelmäßig industrieunabhängige Fortbildungen und müssten an Qualitätszirkeln teilnehmen. Die Vernetzung zwischen Haus- und Fachärzten sei ebenfalls besser, Behandlungsentscheidungen würden gemeinsam getroffen.

Patienten in der HZV erhielten beispielsweise weniger potenziell inadäquate Arzneimittel (PIM) als Patienten in der Regelversorgung. Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen in der HZV beispielsweise erhielten öfter eine leitlinengerechte Pharmakotherapie als andere.  

Für die Kasse scheint sich die zielgerichtete Pharmakotherapie ebenfalls zu lohnen. Eine Kostenreduktion der Arzneimitteltherapie um etwa 40 Euro pro Versichertem in der HZV - im Vergleich zu Regelversorgung im Jahr - scheine auf den ersten Blick nicht viel zu sein. Hochgerechnet auf alle Versicherten ergebe sich jedoch eine ganz schöne Summe, hieß es. 

HZV als Anreiz für den Nachwuchs

Die Ärzte erhalten zudem eine bessere Vergütung als in der Regelversorgung. Der Landesvorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg sieht darin auch eine Chance dem Hausärztemangel entgegen zu wirken. Er sei optimistisch, dass man mit den Anreizen, die die HZV biete, „das Ruder herumreißen könnte“. Durch die vereinfachte Abrechnung bliebe mehr Zeit für den Patienten. Überhaupt fördere das Honorarsystem durch erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten, zum Beispiel für Folgebesuche beim Facharzt und Gespräche, die sprechende Medizin. 

 „klein-klein weiterwurschteln“ - Kritik am Innovationsfonds

Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann sieht sich in seiner Strategie bestätigt, verstärkt in neue Versorgunsgstrukturen zu investieren. Die Selektivverträge seien mitnichten eine Versuchswerkstatt, sondern eine alternative Regelversorgung. Diese sei schon heute nicht mehr wegzudenken. Man erwarte, dass sich die Qualitätsvorteile im Vergleich zur herkömmlichen Regelversorgung tendenziell noch vergrößern, so Hermann. Er betonte auch die Freiwiligkeit der HZV sowohl für Ärzte als auch für Patienten.

Deutliche Kritik übte Hermann am Innovationsfonds, der auch Versorgungskonzepte fördert. Es sei ein Irrglaube, dass „unter Laborbedingungen“ getestete Projekte in die Regelversorgung ausgebreitet werden könnten. Er bemängelte zudem die fehlenden Nachhaltigkeit der Maßnahmen im Gesundheitswesen. Statt auf systemische Ziele zu setzen, würde man „klein-klein weiterwurschteln“. Der Innovationsfonds solle diesen Pfusch jetzt richten, sagte er. 

Regionalität und Wettbewerb 

Im Wettbewerb und regionalen Regelungen liegt in seine Augen der Schlüssel, den „Tanker Gesundheitssystem flächendeckend in die richtige Richtung zu bringen“. Und zwar unter transparenten Bedingungen, die von niemandem manipulierbar sind. Die Regionalität hält Herrmann im Übrigen auch mit für einen Grund des Erfolges der HZV in Baden-Württemberg.  

Bislang hat die AOK BaWü 530 Millionen Euro in die alternative Regelversorgung investiert, darunter auch 32 Millionen Euro für die Zuzahlungsbefreiung der Versicherten. Bei einem Einsparvolumen von 565 Millionen Euro ergibt das unter dem Strich ein Plus von 35 Millionen Euro. 


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