Drohende „Informationswüste“

Bundesregierung stellt sich hinter Zentralbibliothek Medizin

Stuttgart - 03.06.2016, 13:00 Uhr

Die Zentralbibliothek Medizin erhält derzeit viel Unterstützung. (Foto: ZB MED)

Die Zentralbibliothek Medizin erhält derzeit viel Unterstützung. (Foto: ZB MED)


Die Zentralbibliothek Medizin steht vor dem Aus - gleicht droht den DIMDI-Literaturdatenbanken. Der Verlust der Angebote würde Pharmafirmen enorm einschränken, sagt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Gegenüber DAZ.online bekräftigt das Bundesgesundheitsministerium, dass die Regierung die Weiterentwicklung der Bibliothek unterstützen wird.

Wie berichtet, hat ein Aufsichtsgremium der Leibniz-Gemeinschaft empfohlen, die Finanzierung der Zentralbibliothek Medizin (ZB MED) einzustellen. Für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wäre dies ein „falsches Signal“, er fordert die weitere Förderung der Bibliothek. „Die schnelle und unkomplizierte Bereitstellung von Fachliteratur durch die ZB MED dient nachhaltig der Patientensicherheit, da durch die Datenbank eine effiziente Bearbeitung und Beurteilung von Fällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen ermöglicht wird“, schreibt er in einer Stellungnahme.

„Der Verlust der Angebote der ZB MED würde die Literaturbeschaffung für die gesamte pharmazeutische Industrie enorm einschränken“, sagt Boris Thurisch, BPI-Geschäftsfeldleiter Arzneimittelsicherheit und Pharmakovigilanz. „Es droht eine Informationswüste.“

Für pharmazeutische Unternehmer seien die Datenbanken der ZB MED für die Recherche nach Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen wichtig, wie es auch schon der Bundesverband der Arzneimittelhersteller betont hatte. Darüber hinaus sei die ZB MED die zentrale und verlagsübergreifende Bezugsquelle für medizinische Fachliteratur. „So sind in der ZB MED 2.700 Zeitschriften im nationalen Alleinbesitz, darunter auch lokale deutschsprachige Literatur, welche internationalen Datenbanken in der Regel nicht zur Verfügung stehen“, schreibt der BPI.

Bundesregierung unterstützt Weiterentwicklung

Ende letzter Woche hatte schon das Forschungsministerium in Nordrhein-Westfalen gegenüber DAZ.online angekündigt, dass es zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine weitere Förderung der Bibliothek organisieren will. Dies bestätigt nun auch das BMG DAZ.online – angesichts der absehbaren Entscheidung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), bei der nächsten Sitzung am 24. Juni die reguläre Förderung der Bibliothek am Jahresende einzustellen.

„Die Bundesregierung unterstützt die Weiterentwicklung der ZB MED zu einem modernen Fachinformationszentrum, sollte die GWK das Ausscheiden der ZB MED aus der Leibniz-Gemeinschaft beschließen“, schreibt das Haus von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auf Nachfrage. „Ziel dieser Weiterentwicklung ist es, die überregionale Informationsversorgung in den Lebenswissenschaften sicherzustellen.“ Die Gespräche würden derzeit noch andauern.

Forschungspolitisch wichtige Funktion

In einem internen Papier des Forschungsministeriums in NRW bedauern beide Ministerien die Empfehlung des Leibniz-Senats. Sie hätten der ZB MED gerne mehr Zeit für den geforderten Ausbau der Forschungstätigkeit gegeben. Diese sei zwar noch unbefriedigend, doch sei die ZB MED „wie kaum eine Einrichtung“ nach der letzten Evaluierung grundlegend transformiert worden. Gemeinsame Berufungen mit den Unis Köln und Bonn laufen noch. „Voraussetzung dafür ist aber die Perspektive einer fortgesetzten Finanzierung durch Bund und Länder“, schreibt das Ministerium.

Aufgrund der Bedeutung der Lebenswissenschaften für die Gesundheitsvorsorge „erscheint es nicht zielführend, dass für die ZB MED als eine der international größten Informationsinfrastrukturen im Bereich der Lebenswissenschaften mitten in einem tiefgreifenden und grundlegenden Transformationsprozess die gemeinsame Bund-Länder-Förderung beendet werden soll“, so das Papier. Sie erfülle eine „sehr wichtige Aufgabe“. „Es gibt in Deutschland derzeit keine andere Einrichtung, die die überregionale Informationsversorgung im Bereich der Lebenswissenschaften sicherstellen könnte, so das hier eine forschungspolitisch wichtige Dienstleisterfunktion wegbrechen würde“, schreibt das Ministerium.

Wiederaufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft möglich

Zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium bittet das Forschungsministerium die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, den Transformationsprozess zu unterstützen. Am Ende dieses Prozesses solle „eine unmittelbare Wiederaufnahme der ZB MED in die gemeinsame Bund-Länder-Förderung nach erfolgreicher wissenschaftlicher Begutachtung“ stehen. Die Ministerien sehen sich auch durch eine Online-Petition, die innerhalb einiger Wochen knapp 10.000 Personen unterzeichnet haben, bestätigt – sowie durch „zahlreiche Zuschriften von Fachverbänden“.

Die Hiobsbotschaften für die evidenzbasierte medizinische Forschung könnten sich am Ende vielleicht sogar als Segen herausstellen: Wie wohl nie zuvor wird derzeit klar, welche Bedeutung die ZB MED wie auch die Literaturdatenbanken des DIMDI für Forscher, Pharmahersteller und Politik haben. Vielleicht könnte dies eine Chance sein, die Literaturversorgung in Deutschland neu aufzustellen.

Die geplante Einstellung der Literaturdatenbanken beim DIMDI ist jedoch wohl noch nicht vom Tisch. Das Institut hatte geplant, diese an die ZB MED abzugeben. Die Bibliothek würde allerdings höchstens einige wenige übernehmen. Auch dürften die Anbieter die Preise deutlich anziehen, so dass diese Forschungsinfrastruktur zum Jahresende weiterhin zur Disposition steht. 


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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