AOK-Chef Martin Litsch zu Lieferengpässen

„Das Modell Exklusivvertrag hat sich einfach bewährt“

Berlin - 31.05.2016, 11:40 Uhr

Kein zusätzliches Beratungshonorar: Aus Sicht von AOK-Chef wäre ein Extra-Rabattvertragshonorar für Apotheker unangemessen. (Foto: dpa)

Kein zusätzliches Beratungshonorar: Aus Sicht von AOK-Chef wäre ein Extra-Rabattvertragshonorar für Apotheker unangemessen. (Foto: dpa)


Wer ist eigentlich aus Sicht der Krankenkassen daran schuld, dass es immer wieder zu Lieferengpässen kommt? Im Interview mit DAZ.online schiebt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, den Herstellern den schwarzen Peter zu und sagt, dass es „unangemessen“ wäre, wenn Apotheker eine Beratungspauschale für Rabattverträge bekämen.

DAZ.online: Herr Litsch, ist die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Lieferengpässe schon gefährdet?

Martin Litsch: Die Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland ist sicher. Alle Medikamente sind in den rund 20.000 öffentlichen Apotheken vorrätig oder kurzfristig beschaffbar. Dazu trägt auch das Engagement der Apotheker bei, die sich um die Bevorratung der notwendigen Arzneimittel kümmern.

DAZ.online: Ist das Gerede um die Lieferengpässe also nur heiße Luft?

Litsch: Laut freiwilliger Meldungen der Hersteller an das BfArM sind die Lieferschwierigkeiten überschaubar. Betroffen sind vor allem stationär eingesetzte Produkte wie Antibiotika oder Krebsmittel, weniger die öffentlichen Apotheken.

DAZ.online: Warum kommt es denn gerade in Kliniken immer wieder vor, dass Ärzte auf andere Medikamente umsteigen müssen?

Litsch: Lieferengpässe entstehen hauptsächlich durch das globale Handeln von Pharmakonzernen und dessen Folgen. Herstellerprobleme gibt es beispielsweise wegen Rohstoffverknappungen der Zulieferer oder Qualitätsmängel in der Produktion, was auch zu Chargen-Rückrufen führen kann. In einzelnen Fällen hat das auch eine reduzierte Produktion oder gar die Einstellung von Produkten zur Folge. Oder das Frühwarnsystem funktioniert nicht, weil die Hersteller gar nicht oder nicht rechtzeitig über Produktionsengpässe informieren.

DAZ.online: Wie könnten die Krankenkassen denn die Situation verbessern?

Litsch: Wir gestalten unsere Verträge mit Herstellern jetzt schon so, dass Lieferengpässe möglichst ausgeschlossen werden. Auch die ausgewogenen Vorlaufzeiten vor dem Vertragsstart, die zur rechtzeitigen Bevorratung in Apotheken beitragen, sind hier zu nennen.

(Foto_ AOK BW)

AOK-BV-Chef Martin Litsch 

DAZ.online: Gerade die Vorlaufzeiten stehen ja in der Kritik. Im Pharmadialog haben die Bundesregierung und die Pharmaindustrie eine sechsmonatige Vorlaufzeit vereinbart…

Litsch: Es ist richtig, dass eine ausreichende Vorlaufzeit bis zum jeweiligen Vertragsstart zur Liefersicherheit beitragen kann. In den AOK-Verträgen wird das aber schon bereits garantiert. Dort schwanken die Vorlaufzeiten zwischen drei und fünf Monaten. Sechs Monate sind also mehr als ausreichend.

DAZ.online: Nun waren die Krankenkassen am Pharmadialog ja nicht beteiligt. Zum Thema Lieferengpässe heißt es in den Beschlüssen, die Industrie „verpflichte sich“ zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beizutragen. Ist diese Formulierung nicht zu lasch?

Litsch: Keine Frage, wenn wir den zumeist hersteller-bedingten Lieferengpässen entgegentreten wollen, müssen wir die Pharmaindustrie stärker in die Pflicht nehmen. Eine Möglichkeit ist die obligatorische und sanktionsbewehrte Meldung von Lieferengpässen, damit man die Versorgung zeitgerecht umorganisieren kann.

DAZ.online: Herstellern drohen Vertragsstrafen, wenn sie nicht lieferfähig sind. Sollte sich an diesem System nicht etwas ändern, um Beteiligungen an Rabattverträgen für Hersteller attraktiver zu machen?

Litsch: Wenn ein Bauunternehmer zusichert, ein Haus zu einem bestimmten Termin fertig zu stellen, und diesen Termin reißt, ist es das Normalste der Welt, dass er Vertragsstrafen zahlen muss. Warum sollte das nicht umso mehr auch für die Lieferung von Arzneimitteln gelten?


Wir sprechen uns klar für Ausschreibungen im Bereich der Zytostatika- und Impfstoffversorgung aus. Das führt zu mehr Effizienz und vor allem zu einer transparenten Auftragsvergabe in einem sonst wettbewerbsfernen Markt.

Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender AOK Bundesverband


DAZ.online: Aus Sicht der Apotheker trägt auch die Gestaltung der Rabattverträge zu Lieferengpässen bei. Warum halten sie beispielsweise an Exklusivverträgen fest?

Litsch: Das Modell hat sich einfach bewährt. Es stärkt die Therapietreue der Patienten. Denn die haben zwei Jahre lang garantiert das gleiche Arzneimittel. Und natürlich lassen sich so auch höhere Rabatte erzielen.

DAZ.online: Im Pharmadialog wurde die Exklusivität in Frage gestellt. Was halten Sie davon?

Litsch: Wo es passt, ziehen wir auch das Mehrpartnermodell in Betracht. Allerdings sollte es nicht zur Pflicht werden. Mehrfachvergaben können Lieferengpässe nicht verhindern. Über exklusive Verträge ist eine sichere Versorgung gut machbar. Sollten dann doch mal einzelne Packungsgrößen nicht verfügbar sein, kann die Versorgung problemlos und zeitgerecht durch die Abgabe von gleichwertigen Alternativen gesichert werden. Und noch etwas: Unsere Vertragspolitik führt auch zu gut kalkulierbaren Aufträgen, das stärkt den Markt vor allem auch für mittelständische Anbieter.

DAZ.online: Gerade die beschweren sich über viel zu niedrige Preise. Einige Firmen haben begonnen, ihre Ware zu exportieren. Bedroht der Export die Versorgungslage aus Ihrer Sicht?

Litsch: Wie gesagt, der Arzneimittelmarkt ist ein globaler Markt, und die Hersteller handeln entsprechend. Dennoch haben wir hier in Deutschland keinen Versorgungsnotstand. Für Pharmafirmen ist Deutschland doch das reinste Eldorado mit hohen Marktpreisen für alle Arzneimittel. Immerhin übernimmt die Gesetzliche Krankenversicherung für jedes Arzneimittel im ersten Jahr nach Markteinführung garantiert die Kosten. Egal, zu welchem Preis.

DAZ.online: Die niedrigen Preise haben also nichts mit den Lieferengpässen zu tun?

Litsch: Nein. Die sporadisch auftretenden Lieferengpässe haben nichts mit Rabattverträgen oder Ausschreibungen oder deren Attraktivität für die Hersteller zu tun. Das sieht man auch daran, dass Lieferengpässe schon weit vor der Etablierung der Rabattverträge auftraten.

DAZ.online: Aber sollte man nicht wenigstens in „empfindlichen“ Märkten mit wenigen Teilnehmern auf Ausschreibungen verzichten? Zum Beispiel bei Zytostatika oder Impfstoffen?

Litsch: Wir sprechen uns klar für Ausschreibungen im Bereich der Zytostatika- und Impfstoffversorgung aus. Das führt zu mehr Effizienz und vor allem zu einer transparenten Auftragsvergabe in einem sonst wettbewerbsfernen Markt. Der Patient selbst wird von den Ausschreibungen und der Vertragsumsetzung nicht tangiert, es berührt allein die Lieferbeziehung zwischen Apothekern und Ärzten und den Herstellern. Durch bessere Planbarkeit verbessert sich dann auch die Lieferfähigkeit bei allen Beteiligten. Gerade bei Impfstoffen haben die Lieferverpflichtungen durch Ausschreibungen für Versorgungssicherheit gesorgt.

(Foto: Sket)

DAZ.online: Ein Wechsel in die Apothekenpraxis. Einige Kassen akzeptieren nur einen Beleg des Herstellers, um die Lieferfähigkeit nachzuweisen. Wie sehen Sie das?

Litsch: Laut Rahmenvertrag zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband muss als Nachweis entweder eine Erklärung des Herstellers selbst oder aber eine Erklärung des Großhändlers, dass der betroffene Hersteller nicht lieferfähig ist, als Nachweis vorliegen.

DAZ.online: Apotheker weisen seit Jahren auf den gesteigerten Informationsbedarf durch Rabattverträge hin. Wäre eine zusätzliche Beratungspauschale gerechtfertigt?

Litsch: Das wäre unangemessen. Beratung ist die Kernkompetenz eines Apothekers. Ob sie für ein OTC-Produkt stattfindet oder für ein Rabattarzneimittel, spielt aus meiner Sicht keine Rolle. Mit Laufzeiten von zwei Jahren sorgen wir sogar dafür, dass die Beratungsintensität abnimmt, da zwei Jahre lang kein Produktwechsel ansteht.


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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