Abschluss der Trilog-Verhandlungen

Kompromiss bei Medizinprodukten

Berlin - 26.05.2016, 17:45 Uhr

Stents und andere Medizinprodukte sollen künftig sicherer sein. (Foto: Zarathustra/Fotolia)

Stents und andere Medizinprodukte sollen künftig sicherer sein. (Foto: Zarathustra/Fotolia)


Vertreter des Europäischen Parlaments, des Ministerrats und der Kommission haben sich nach langen und zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss zur besseren Regulierung von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika geeinigt. Der AOK-Bundesverband fordert bereits Nachbesserungen.

Seit Herbst 2015 fanden die Trilog-Verhandungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission statt – am Mittwochabend hat man sich endlich auf die neue EU-Medizinprodukteverordnung und neue Regeln für In-vitro-Diagnostika einigen können. Die Europäische Kommission hatte ihren Verordnungsentwurf bereits 2012 vorgelegt. Gearbeitet hatte sie daran schon länger, die Veröffentlichung erfolgte dann kurz nach dem Skandal um die mangelhaften Silikon-Brustimplantate der französischen Firma PIP. Doch der weitere Weg durch das Parlament und die Abstimmung mit den Mitgliedstaaten zog sich hin.

Die jetzt getroffene Einigung betrifft insbesondere folgende Punkte:  

  • Künftig soll es unangekündigte Kontrollen bei Herstellern nach dem Inverkehrbringen der Produkte geben. Denn genau das war bei dem französischen Hersteller PIP nicht geschehen, hier hatte man sich mit einer anfänglichen Kontrolle begnügt. Das nutzte der Hersteller, um von medizinischem Silikon auf billiges Industriesilikon umzustellen. 
  • Die benannten Stellen, die die Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte durchführen, werden künftig stärker kontrolliert und müssen medizinisches Fachpersonal einstellen. In Deutschland sind dies etwa TÜV und Dekra. Nicht durchsetzen konnte sich der Vorschlag, die Überwachung auf staatliche Stellen (nach dem Vorbild der EMA für Arzneimittel) zu übertragen. 
  • Für Hochrisikoprodukte, zum Beispiel Implantate oder HIV-Tests, soll es ein zusätzliches Sicherheitsverfahren geben. Nicht nur die benannte Stelle, sondern auch ein besonderes Expertenkomitee überprüft die Übereinstimmung mit den Regeln. Allerdings sollen dessen Ergebnisse keine Verbindlichkeit für die benannten Stellen haben.
  • Patienten sollen künftig einen Implantatepass bekommen. Er soll sicherstellen, dass stets nachverfolgbar ist, welches Produkt implantiert wurde.  
  • Medizinprodukte müssen wie bisher nur Arzneimittel einen klinischen Nachweis erbringen, vor allem bei höheren Risikoklassen müssen die Hersteller Studien durchführen. Das Koordinierte Verfahren bei Studien in mehreren Mitgliedsstaaten wird soll nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren verpflichtend werden.
  • Bei DNA-Tests werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Patienten über die Konsequenzen des Tests zu informieren.

Keine Einigung bei verpflichtender Haftpflichtversicherung 

Bei der Frage der Haftpflichtversicherung konnte sich das Parlament nicht durchsetzen wie gewünscht. Statt einer verpflichtenden Haftpflichtversicherung für die Hersteller, die Patienten im Schadensfall finanziell absichert, sieht die neue EU-Verordnung nur vor, dass Hersteller angemessene Rücklagen für den Fall von Haftungsansprüchen bilden sollen.

Dennoch zeigt sich Peter Liese (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, am Ende  erleichtert über den Kompromiss. Er ist überzeugt: „Die neue Verordnung ist gut für die Patienten und legt unsauberen und betrügerischen Herstellern das Handwerk und stärkt damit auch die seriösen Hersteller“. 

AOK hätte sich mehr gewünscht

Weniger euphorisch ist man beim AOK-Bundesverband. Der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch räumt zwar ein, dass einige der jetzt beschlossenen Regelungen „ein Schritt zu mehr Patientensicherheit“ seien. Strengere Regeln bei den Hochrisikomedizinprodukten seien „längst überfällig“ gewesen. Jedoch hätten viele wichtige Vorschläge auf EU-Ebene leider keine Mehrheiten gefunden. „Die Bundesregierung sollte jetzt nachjustieren, wo es geht“, so Litsch.

Bedarf sieht der AOK-Chef etwa bei der Versicherung: Bleibe es bei der jetzt vorgesehenen Regelung, müsse Deutschland „dringend eine eigene Pflichtversicherung für Hochrisikomedizinprodukte schaffen“.

Zudem ist aus AOK-Sicht eine zentrale Zulassungsstelle den beannnten Stellen vorzuziehen – dies sei die bessere Lösung im Sinne der Patientensicherheit. Liese ist hingegen der Auffassung, dass auch staatliche Stellen nicht mehr Sicherheit bieten könnten. Dies hätte etwa die Arzneimittelskandale zu Vioxx oder Mediator gezeigt.

Die AOK fordert überdies, dass in Deutschland über eine generelle Nutzenbewertung für Medizinprodukte gesprochen wird, die auch die Erstattungsfähigkeit durch die GKV regelt. „Was für Arzneimittel gilt, muss auch für Hochrisikomedizinprodukte gelten“, sagt Litsch.

Weiteres Prozedere

Nun müssen die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedsstaaten die Einigung noch bestätigen. Dies ist für die Ratssitzung am 16. Juni 2016 geplant. Weitere Zustimmungen wären nur noch Formsache. Die Verordnung könnte im zweiten Halbjahr 2016 veröffentlicht werden und ohne weitere Umsetzung durch die Mitgliedstaaten in Kraft treten. In Teilen kann sie aber von den einzelnen EU-Mitgliedsländern ergänzt werden. Die neuen Regelungen zu Medizinprodukten sollen nach einer Übergangsphase von drei Jahren wirksam werden, die zu In-Vitro-Diagnostika nach fünf Jahren. 


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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