Konsens zu Null-Retaxationen

Bauchschmerzen für beide Seiten

Berlin - 24.05.2016, 18:00 Uhr


Krankenkassen und Apotheker haben sich nach jahrelangem Streit auf Änderungen am Rahmenvertrag geeinigt. Krankenkassen dürfen künftig nicht mehr aufgrund unbedeutender, formaler Fehler auf Null retaxieren. Im Rahmenvertrag soll ein Beispiel-Katalog von Formfehlern untergebracht werden, bei denen das Null-Retax-Verbot gelten soll.

Konkret geht es um die Neufassung des Paragraphen 3 des Rahmenvertrages. Dort ist bislang sehr vage geregelt, wann der Apotheker keinen Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse hat. Künftig ist dieser Abschnitt des Rahmenvertrags sehr viel detaillierter geregelt. Der Grundsatz ist: Bei unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit nicht wesentlich tangierenden Fehlern unterbleibt die Retaxation künftig. Es folgt ein von der Schiedsstelle vorgeschlagener und von beiden Seiten konsentierter, nicht abschließender Katalog möglicher Fehler. Die Regelung soll ab dem 1. Juni 2016 in Kraft treten.

Natürlich sind auch in Zukunft Null-Retaxationen grundsätzlich möglich, etwa nach der Abgabe eines nicht-rabattierten Arzneimittels trotz bestehenden Rabattvertrages. Bei Formfehlern wird dies in Zukunft aber nicht mehr so leicht möglich sein. So soll der Vergütungsanspruch weiterhin bestehen, wenn fehlerhafte Abkürzungen auftreten, bei Schreibfehlern oder divergierenden Schreib- oder Kennzeichnungshinweisen. Auch unleserliche Unterschriften oder einzelne fehlende Angaben des Arztes sollen künftig nicht mehr auf Null retaxiert werden dürfen.

Grundsätzliche Heilungschance

Weiterhin sollen die Apotheker in Zukunft grundsätzlich die Chance auf Heilung erhalten. Dazu zählen nahezu alle formalen Fehler nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. Allerdings müssen sie sich in vielen Fällen mit dem Arzt in Verbindung setzen. Ausnahmen gibt es etwa bei den Angaben zu Name und Geburtsdatum der Person, für die das Arzneimittel bestimmt ist. Hier bedarf es keiner Rücksprache, wenn der Rezept-Überbringer die Angaben nachweisen oder glaubhaft versichern kann.

Eine Heilung kommt eigentlich nur vor der Abrechnung infrage. In bestimmten Fällen kann es aber Ausnahmen geben und beispielsweise nachträglich im Beanstandungsverfahren geheilt werden. Laut dem neuen Rahmenvertrag müssen die Pharmazeuten dazu alle Korrekturen und Ergänzungen auf dem Rezept vermerken und abzeichnen.

Bei T-Rezepten sind Null-Retaxationen künftig ausgeschlossen, wenn die erforderliche Kennzeichnung durch Ankreuzen verrutscht, aber dennoch zuordnungsfähig ist. Auch wenn der Arzt handschriftlich ankreuzt, gilt das Retax-Verbot.

Bei Betäubungsmittelrezepten geht man von einem unbedeutenden Fehler aus, wenn jeweils für alle drei Teile der Verschreibung der Vermerk i.V. für den Vertretungsfall fehlt, die Apotheke aber aus der Unterschrift nicht erkennen kann, dass Praxisinhaber und Aussteller nicht identisch sind.

Landesverträge möglich

Weil der neue Fehler-Katalog im Rahmenvertrag nicht vollständig ist, sollen in den Bundesländern grundsätzlich weitergehende Landesverträge abgeschlossen werden können. In einigen Regionen, wie beispielsweise in Hamburg, gelten bereits Abmachungen mit den Krankenkassen zu Null-Retaxationen. Diese bleiben bestehen. 

Klarstellung bei Importarzneimitteln

Außerdem haben beide Vertragspartner eine neue Regelung zur Abgabe von Importarzneimitteln vereinbart. Das gesetzte Aut-idem-Kreuz soll demnach den Austausch im Verhältnis von Original- und Importarzneimittel nicht verhindern. Damit wird die Rechtsprechung des Sozialgerichts Koblenz mit Wirkung für alle Krankenkassen als nicht anwendbar erklärt. Außerdem dürfen keine auf das Wirtschaftlichkeitsgebot gestützten Retaxationen erfolgen, wenn das namentlich verordnete Arzneimittel abgegeben wird.

Derzeit ist die Schiedsstelle noch damit beschäftigt, den von beiden Seiten abgenickten Beschluss zu verschriftlichen. In den kommenden Tagen soll das Papier Kassen und Apothekern förmlich zugestellt und zum 1. Juni 2016 in den neuen Rahmenvertrag aufgenommen werden.


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7 Kommentare

Verschriftlichung

von Reinhard Rodiger am 24.05.2016 um 23:29 Uhr

Verschriftlichung kennzeichnet den Vorgang, unanständiges Verhalten durch Worte zu begrenzen und gleichzeitig methodisch bedingt für ausreichende Unschärfen zu sorgen.
Verfallstrickung wäre bezeichnender ?.
Sicher, das Unwürdige wurde ein bisschen weniger.Aber ein Bekenntnis zu konstruktiver Zusammenarbeit ist das nicht.
Sollte die Politik ein Interesse daran haben, müsste sie hier eingreifen. Denn Respekt und Achtung sind tragende Säulen
jeder Zusammenarbeit..Diese elementare Voraussetzung bleibt unbeachtet.Das beweist die Verschriftlichung solcher Details
.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

"Einigung"

von Dr.Diefenbach am 24.05.2016 um 20:37 Uhr

DAS soll eine Lösung sein?Das ist schlichtweg peinlich für einen akademischen Gehorsamsberuf...manchmal ist es peinlich "dazuzugehören"

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Ist das eine Einigung?

von Ulrich Ströh am 24.05.2016 um 22:48 Uhr

Gut formuliert ,Herr Kollege.
...aber es wird nichts ändern!

AW: Danke...

von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 27.05.2016 um 15:31 Uhr

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Was jetzt - Sieg oder Bauchschmerz "

von Michael Wiench am 24.05.2016 um 18:55 Uhr

Äh wie ist das jetzt zu verstehen: Einmal steht "Apotheker siegen im Retaxstreit" über dem Artikel, ein paar Minuten später "Bauschmerzen für beide Seiten". Sollte dieselbe Mitteilung so unterschiedlich bewertet werden ? Seltsamer journalistischer Auswuchs

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Sieg im RETAXSTREIT?

von Heiko Barz am 24.05.2016 um 18:10 Uhr

Ich vergaß noch, die Schlagzeile zu bewerten.

APOTHEKER SIEGEN IM RETAXSTREIT??!!

Wie hieß noch der alte Grieche? -- PYRRHUS -- ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Retax-Konsens??

von Heiko Barz am 24.05.2016 um 18:03 Uhr

Der Kernpunkt ist doch schon ganz vorn zu lesen.
" bei unbedeutend formalen Fehlern darf es nicht mehr zu Null Retaxionen kommen".
Hier werden sich Kohorten von Juristen bemühen müssen, was ein "unbedeutend formaler Fehler" ist.
Im Satz darauf erfahren wir dann des "Pudels Kern"
Es wird ein Katalog erstellt, der zwingend Null Retax nach sich zieht.
Wer wird diesen Katalog erstellen?? Und bei welchen KKassen in welchen Bundesländern gilt dann welche Regelung?
Wir sind schon sehr gespannt, wie der von "beiden Seiten"'abgenickte' Beschluss verschriftlicht wird.
Welch ein unglaubliches Traktat Deutschen Schrifttums.
In diesem kurzen Statement sind schon so viele unabwägbare Fallstricke zu erkennen, dass ich mich auf die VERSCHRIFTLICHUNG so richtig freue.
Hoffentlich werden wir auch namentlich erfahren, wer auf 'Unserer' Seite die Verhandlungen so 'erfolgreich' geführt hat.

Ich glaube, der Tisch wird immer glatter, über den wir gezogen werden.

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