15 Prozent Schmerzreduktion

Grünes Licht gegen Migräne-Kopfschmerz

Boston - 20.05.2016, 08:30 Uhr

Schätzungsweise leiden in Deutschland 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung an Migräne (Foto: WavebreakmediaMicro / Fotolia)

Schätzungsweise leiden in Deutschland 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung an Migräne (Foto: WavebreakmediaMicro / Fotolia)


Die meisten Migräne-Patienten reagieren äußerst empfindlich auf Licht. Dies gilt jedoch nicht für alle Frequenzen. Einer Studie zufolge kann grünes Licht bei manchen Menschen die Schmerzen sogar etwas lindern. Deutsche Experten sprechen von einem überraschenden Befund, Hoffnungen auf eine therapeutische Nutzung seien jedoch noch verfrüht.

Bei Migräne-Attacken vertragen lichtempfindliche Patienten grünes Licht wesentlich besser als andere Farben. Eine US-Studie deutet sogar darauf hin, dass gedämpftes grünes Licht bei etlichen Patienten die Schmerzen lindert. Das berichtet ein Team um Rami Burstein von der Harvard Medical School in Boston (US-Staat Massachusetts) im Fachblatt «Brain».

In Deutschland leiden schätzungsweise 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung an Migräne, Frauen wesentlich häufiger als Männer. Bei den Kopfschmerz-Attacken reagieren fast 80 Prozent von ihnen sehr empfindlich auf Licht. «Diese Lichtphobie ist zwar nicht so schlimm wie der Kopfschmerz selbst, aber die Unfähigkeit, Licht zu ertragen, ist sehr einschränkend», wird Burstein in einer Mitteilung der Zeitschrift zitiert. «Viele Migräne-Patienten suchen die Dunkelheit und isolieren sich von Arbeit, Familie und Alltagsaktivitäten.»

Intensives Licht verschlimmert den Schmerz

Vor einigen Jahren hatte Burstein schon gezeigt, dass blinde Migräne-Patienten empfindlich auf blaues Licht reagieren. Nun prüfte das Team, wie Licht verschiedener Frequenzen auf normalsichtige Menschen wirkt, die gerade eine Migräne-Attacke erleiden. Dazu ließen sie 69 Patienten während eines Anfalls die Schmerzintensität auf einer Skala von 1 bis 10 einstufen. Die Studie bestätigte, dass fast 80 Prozent der Teilnehmer bei intensivem Licht - vergleichbar einer hellen Büro-Beleuchtung - eine Verschlimmerung ihrer Schmerzen empfanden, nur bei Grün waren es lediglich 40 Prozent.

Bei Licht mittlerer Intensität steigerten Blau (Frequenz um 447 Nanometer) und Rot (um 627 Nanometer) den Schmerz um etwa 19 Prozent, Gelb (um 590 Nanometer) um 15 Prozent, Grün (um 530 Nanometer) dagegen um weniger als 5 Prozent. Bei niedriger Intensität habe Grün die Schmerzstärke sogar um gut 15 Prozent gelindert, schreibt das Team.

In einem zweiten Versuch maßen die Forscher die Stärke der elektrischen Signale in der Netzhaut (Retina) und in der Großhirnrinde (Cortex). Tatsächlich lösten blaues und rotes Licht in beiden Regionen die stärksten Signale aus, grünes dagegen die schwächsten.

Im dritten Schritt prüften die Wissenschaftler schließlich an Ratten die Aktivität von Nervenzellen im Hirnareal Thalamus, das wesentlich an der Schmerzweiterleitung zum Cortex beteiligt ist. Auch die dortigen Neuronen reagierten auf grünes Licht schwächer als auf alle anderen Farben. «Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lichtphobie bei Migräne in der Netzhaut entsteht und im Thalamus justiert wird, aber nicht im Cortex», schreibt das Team. «Das weicht von derzeitigen Annahmen deutlich ab.»

«Alles Licht außer Grün herauszufiltern, könnte sich als therapeutisch günstig für die Verbesserung der Lichtphobie und möglicherweise auch des Kopfschmerzes selbst erweisen», folgern die Autoren. Burstein ergänzt: «Ich hoffe, dass Patienten sehr bald direkt von diesen Resultaten profitieren können.» So könne man etwa Lichtquellen entwickeln, die gedämpftes grünes Licht aussenden oder aber Brillen, die andere Farbfrequenzen herausfiltern.

Experten sind zurückhaltend mit ihrer Bewertung

Professor Wolfgang Heide, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Allgemeinen Krankenhaus Celle, spricht von einer sehr ausführlichen, detaillierten und technisch anspruchsvollen Studie. «Sowohl die an der menschlichen Netzhaut mit dem Elektroretinogramm erhobenen Befunde als auch die tierexperimentellen Erkenntnisse zum Thalamus sind sehr überraschend. Sie bieten - sofern sie sich auf den Menschen übertragen lassen - eine neurophysiologische Erklärung dafür, dass bestimmte Wellenlängen des Lichts, ausgehend von den farbempfindlichen Sinneszellen der Netzhaut, die Schmerzempfindlichkeit unterschiedlich beeinflussen», sagt der Sprecher der Kommission Neuroophthalmologie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Der Neuroophthalmologe Helmut Wilhelm von der Universitäts-Augenklinik Tübingen findet es hochinteressant, aber auch überraschend, dass Migräne-Patienten ausgerechnet Grün besser vertragen als andere Frequenzen. «Grün ist der Lichtbereich, auf den das Sehsystem eigentlich am empfindlichsten reagiert», sagt Wilhelm, der bei der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) die Sektion Neuroophthalmologie vertritt.

Die Experten bewerten die Vermutung, dass grünes Licht sich als therapeutische Maßnahme zur Schmerzlinderung eignen könnte, zurückhaltend. Zum einen müsse dieses Resultat in größeren Studien bestätigt werden, zum anderen sei eine Linderung um 15 Prozent sehr gering. Dennoch könnten größere Studien zeigen, ob bestimmte Patientengruppen besonders stark davon profitieren. Zudem könne man den Frequenzbereich des grünen Lichts möglicherweise noch optimieren.


Walter Willems, dpa
redaktion@daz.online


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