Plötzlicher Herztod beim Sport

Kann eine Voruntersuchung wirklich Leben retten?

Remagen - 06.05.2016, 07:25 Uhr

Wie lässt sich der plötzliche Herztod, etwa beim Marathon, verhindern? Belgische Forscher haben es untersucht. (Foto: pavel1964 / Fotolia)

Wie lässt sich der plötzliche Herztod, etwa beim Marathon, verhindern? Belgische Forscher haben es untersucht. (Foto: pavel1964 / Fotolia)


Vor dem Halbmarathon oder einem Marathon erst mal zum EKG? Die wenigsten Hobby-Läufer vor allem im jüngeren Alter kämen wohl auf eine solche Idee. Tatsächlich zeigt eine neue Auswertung der Literatur, dass man hier auch übertreiben kann.

In Italien und Frankreich ist das Screening auf mögliche Herzkrankheiten schon seit einigen Jahrzehnten Pflicht, bevor ein Leistungssportler an einem Wettkampf teilnimmt. Das verhindere den plötzlichen Herztod bei der Anstrengung. Damit könne man nämlich diejenigen, die diesbezüglich gefährdet sind, vorher aussortieren. Stimmt das tatsächlich? 

Nein, sagt ein Forscherteam aus dem belgischen Health Care Knowledge Centre. Die Wissenschaftler werteten die verfügbare Evidenz zu dieser These anhand von Daten zu Pre-Screenings nicht-professioneller Sportler im Alter von 18 bis 34 Jahren aus, die an Wettkämpfen teilnehmen. Das Ergebnis ihrer Analyse, die im British Medical Journal veröffentlicht wurde: Der Ansatz steht wissenschaftlich auf tönernen Füßen. Es gebe lediglich eine einzige Studie, die nahelege, dass man damit Leben retten könne, die Veneto-Studie aus dem Jahr 1976, aber Kritiker halten die Ergebnisse nicht für valide genug. Randomisierte kontrollierte Studien gibt es nicht.

Außerordentlich seltenes Ereignis

Die belgischen Autoren schätzen, dass etwa 0,001 Prozent der jungen Sportler pro Jahr plötzlich an einem Herzstillstand versterben. Dieser könne durch eine Vielzahl seltener genetisch bedingter oder erworbener Herzkrankheiten ausgelöst werden. Als häufige Ursachen werden Anomalien der Koronararterien und die hypertrophe Kardiomyopathie angeführt. Viele Betroffene wüssten davon nichts und führten ein ganz normales Leben ohne Symptome. Obwohl gar nicht klar sei, ob der plötzliche Herztod häufiger unter Belastung vorkommt als in Ruhe, habe sich die Forschung vornehmlich auf Sportler konzentriert, in der Annahme, dass das Training das dramatische Ereignis auslösen könne.

Körperliche Untersuchung bringt nicht viel

Über die Vor- und Nachteile des Screenings sind sich die Experten ebenso wenig einig wie über die Methoden, die dabei eingesetzt werden sollen. Die American Heart Association empfiehlt eine persönliche und familiäre Anamnese zusammen mit einer körperlichen Untersuchung. Das scheint aber nicht sehr zielführend zu sein. Von 115 jungen Athleten, die sich vorher einer solchen Maßnahme unterzogen hatten und plötzlich verstarben, war nur bei vier eine Herzkrankheit vermutet worden, und die Erkrankung, die zum Tode geführt hatte, wurde nur bei einem Sportler identifiziert. 

Und ein EKG?

Ein Elektrokardiogramm (EKG), wie es die European Society of Cardiology empfiehlt, mag zwar für die Voraussage bestimmter Arrhythmien besser sein, meinen die belgischen Reviewer, aber auch damit könne man nicht alle Anzeichen und Symptome der Erkrankung des Herzens erkennen, und die Sensitivität des Tests sei im Allgemeinen niedrig. Insgesamt würde ein Viertel der Menschen mit einer Erkrankung, die zu einem plötzlichen Herztod führen kann, damit nicht erkannt, sagen sie.  

Fehldiagnose mit zusätzlichen Belastungen

Zudem müsse man die hohe Zahl an Fehldiagnosen bei solchen Screenings mit berücksichtigen. Bei bis zu 5 Prozent aller Gesunden könne sich nach einem EKG ein Verdacht auf eine Krankheit ergeben. Rund ein Drittel der Gescreenten würde sich  zusätzlichen Herz-Kreislauf-Tests unterziehen, mit all den Konsequenzen in Form von Angst und psychologischen Traumata sowie einer etwaigen Fehlbehandlung. Für aktive Sportler käme möglicherweise ein unnötiger Ausschluss von Training und Wettkampf hinzu.

Aufklärung statt Screening

„Der plötzliche Herztod eines jungen Menschen auf einem Sportplatz ist ein verheerendes Ereignis,“ schließen die Autoren, „aber es gibt keine robusten Beweise dafür, dass das Screening solche Todesfälle tatsächlich verhindert. Solange diejenigen mit einem hohen Risiko nicht zuverlässig ermittelt und entsprechend betreut werden können, sollten junge Sportler nicht an Pre-Screenings teilnehmen."

In einem verknüpften Leitartikel sieht Christopher Semsarian von der University of Sydney den Ausweg eher in einer besseren Aufklärung und Ausbildung von Trainern und Sportlern, etwa in pulmonaler Reanimation. Außerdem sollten bei allen sportlichen Veranstaltungen zur Verbesserung der Überlebenschancen nach einem Herzinfarkt Defibrillatoren verfügbar sein, so seine Empfehlung.

Quelle

Van Brabandt H, Desomer A, Gerkens S, Neyt M. Harms and benefits of screening young people to prevent sudden cardiac death. BMJ. 2016 Apr 20;353:i1156. doi: 10.1136/bmj.i1156. 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.